Der Tübinger Infektiologe Peter Kremsner gibt einem Probanden eine Spritze mit einem experimentellen Corona-Impfstoff.

Corona-Pandemie Wie gut könnten Impfstoffe schützen?

Stand: 01.10.2020 05:49 Uhr

Die Herausforderungen bei der Suche nach einem Corona-Impfstoff sind immens: Noch immer ist unklar, wie gut die Mittel wirken. Gerade bei älteren Menschen könnte der Schutz schwächer ausfallen.

Peter Kremsner ist zuversichtlich. Der Infektiologe forscht an der Universitätsklinik Tübingen an Impfstoffen gegen das Coronavirus. Weltweit werden bereits 40 mögliche Mittel an Menschen getestet. Und Kremsner geht davon aus, dass sogar mehrere von diesen neuen Impfstoffen Menschen vor einer Erkrankung schützen können. Man wisse aber noch nicht, "ob die Wirksamkeit bei zehn, 20 Prozent liegen wird oder bei 80, 90 Prozent" - also, bei wie vielen Menschen die Impfung zu einem Schutz führt.

"Es gibt mehr offene als beantwortete Fragen", sagt sogar Tobias Welte, Pneumologe an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH). Zum jetzigen Zeitpunkt könne man sagen, bei gesunden, jungen Probanden erzeugen die Impfstoffe eine Immunantwort. "Aber wir wissen nicht, ob das tatsächlich einen Impfschutz gegen die Erkrankung gibt."

Der Tübinger Infektiologe Peter Kremsner gibt einem Probanden eine Spritze mit einem experimentellen Corona-Impfstoff.

Der Tübinger Infektiologe Peter Kremsner leitet die Studie zu einem Corona-Impfstoff.

Immense Herausforderungen

Wie gut die einzelnen Mittel tatsächlich wirken, sollen nun die zum Teil bereits laufenden großen Phase-3-Studien mit Zehntausenden Probanden klären. Dabei könne man natürlich "auch noch Überraschungen erleben", sagt Kremsner. Er selbst nimmt das zwar nicht an, aber die Herausforderungen bei der Impfstoff-Entwicklung seien "immens".

Welche Fragen noch offen sind und welche Schwierigkeiten möglicherweise auftreten können, hat der New Yorker Virologe Florian Krammer in der Zeitschrift "Nature" beschrieben. So seien etwa alle Kandidaten, die jetzt am weitesten vorangeschritten seien, Mittel, die gespritzt würden, so der Impfstoff-Experte. Dies sei gut, um bestimmte Antikörper hervorzubringen, die die Lunge schützen. Das sei "großartig", schreibt Krammer. Aber gleichzeitig würden diese Impfstoffe nur wenige Antiköper in den oberen Atemwegen hervorbringen - also in der Nase und im Mund, genau dort, wo das Virus zunächst ankommt. So könne es weiterhin zu Ansteckungen und Übertragungen des Erregers kommen, meint Krammer.

Bei Älteren könnten Impfstoffe schlechter wirken

Das Wichtigste sei natürlich, mit einer Impfung eine Erkrankung zu verhindern, sagt Kremsner. Aber wenn man Covid-19 weltweit angehen wolle, sei es auch wichtig, Impfstoffe zu entwickeln, die "schon in den Schleimhäuten wirken und möglichst die Eintrittspforten blockieren". Auch solche Ansätze gebe es. Bislang wird zwar kein solcher Impfstoff bei Menschen getestet. Sie selbst wollen aber an der Uniklinik Tübingen Anfang des Jahres eine klinische Studie mit einem solchen Mittel beginnen, sagt Kremsner.

Eine weitere Frage betreffe alte Menschen, meint der New Yorker Virologe Krammer. Sie sind besonders gefährdet. In Deutschland sind laut Robert Koch-Institut bis Mitte September fast 10.000 Corona-Infizierte verstorben. 85 Prozent von ihnen waren mindestens 70 Jahre alt.

Doch gerade bei älteren Menschen könnten die Impfstoffe schlechter wirken. Sie sprechen in der Regel nicht gut auf Impfungen an, schreibt Krammer. "Wir kennen das auch von der Grippe." Deshalb gibt es bei einigen Impfungen spezielle Mittel für Ältere - etwa mit einer höheren Dosis oder Zusatzstoffen, die die Wirkung steigern. Das Problem: Das Immunsystem altert ebenfalls und funktioniert nicht mehr so gut wie bei Jüngeren.

"Je älter der Mensch wird, desto schlechter wird die Immunantwort", sagt auch Kremsner. "Ab 60 kann man das schon sehen, ab 80 wird es dann deutlich." Noch ist vollkommen unklar, ob das auch die Wirkung möglicher Coronavirus-Impfstoffe beeinträchtigt. Aber Ergebnisse von ersten Studien deuten daraufhin, dass es zumindest bei einigen Mitteln der Fall sein könnte.

Geringere Mengen an Antikörpern

Das chinesische Unternehmen Sinovac etwa hat in einer Phase-2-Studie 600 gesunde Erwachsene im Alter bis 59 Jahre untersucht. Dort beobachteten die Forscher, dass die unter 40-Jährigen deutlich mehr Antikörper bildeten als die älteren Teilnehmer. Und auch bei einer Studie zum Impfstoff-Kandidaten der deutschen Firma Biontech und dem US-Konzern Pfizer zeigte sich, dass ältere Probanden geringere Mengen an Antikörpern produzierten. Sie hatten eine Gruppe von 65- bis 85-Jährigen untersucht. Im Vergleich zu jüngeren Teilnehmern hatten die älteren nach der Impfung im Durchschnitt weniger als halb so viele Antikörper im Blut.

Bei den meisten anderen Impfstoff-Kandidaten gibt es noch keine Hinweise darauf, wie gut sie bei älteren Menschen funktionieren. Denn in den frühen klinischen Studien der Phasen 1 und 2 werden in der Regel nur gesunde Erwachsene bis zum Alter von 59 Jahren untersucht. Zwar haben etwa die Firmen Moderna und Johnson & Johnson einige ältere Probanden untersucht, und ihren Angaben zufolge ist die Immunantwort bei ihnen ähnlich ausgefallen wie bei den jüngeren. Aber solch kleine Untersuchungen mit nur zehn bis 20 Probanden haben kaum Aussagekraft.

Daten zu Risikogruppen würden bislang "komplett fehlen", sagt Welte von der MHH, also nicht nur zu Älteren sondern auch etwa zu Herz- und Kreislauferkrankten, Diabetikern, Übergewichtigen oder Menschen mit einem geschwächten Immunsystem.

Suche nach der optimalen Dosis

Deshalb versuchen die Forscher nun in großen Studien herauszufinden, ob und bei welchen Gruppen der Impfstoff wirkt. Zudem laufen ergänzende Untersuchungen, um die optimale Dosis herauszufinden. Unter anderem an der Uniklinik in Rostock werden dafür seit Anfang September Probanden mit dem Mittel von Johnson & Johnson geimpft, darunter auch eine Gruppe von Teilnehmern, die mindestens 65 Jahre alt sind.

Emil Reisinger, der dort die Studie leitet, zeigt sich optimistisch. Man wisse zwar, dass bei älteren Menschen die Immunantwort etwas schwächer ausfalle, sagt er, das sei aber nicht bei allen Impfstoffen so. Er rechnet damit, "dass in den nächsten Monaten einer oder mehrere dieser Impfstoffe zugelassen werden". Und bis Mitte nächsten Jahres könne sich ein Großteil der Bevölkerung impfen lassen, sagt Reisinger.

Diesen Optimismus könne er überhaupt nicht teilen, erwidert dagegen Welte. Die Impfstoffe müssten zunächst in einer ausreichend großen Population sowohl Wirksamkeit, als auch Sicherheit zeigen, "und diese Daten kriegen wir nicht vor Frühjahr nächsten Jahres". Und dann heiße es noch lange nicht, dass genug Impfstoff da sei, um alle zu impfen.

Auf jeden Fall wird es wohl deutlich länger dauern, bis ein Impfstoff auch für Kinder und Jugendliche zugelassen wird. Denn zunächst werden alle Mittel an Erwachsenen getestet, geschaut, ob sie wirken und wie sicher sie sind. Erste Untersuchungen mit Kindern sind gerade erst angelaufen.

Nebenwirkungen möglich

Krammer sieht hier ein mögliches Problem bei einigen Impfstoff-Kandidaten. Denn einige Mittel würden teils stärkere Nebenwirkungen verursachen, etwa Schmerzen oder Fieber. Sie sind für Erwachsene unangenehm, aber nicht gefährlich, aber bei Kindern möglicherweise problematisch. Einige der ersten Impfstoffe könnten eventuell für sie nicht verträglich sein, so Krammer. Möglicherweise müssen die Dosierungen für sie niedriger ausfallen.

Doch auch er zeigt sich insgesamt "vorsichtig optimistisch" und rechnet mit möglichen schnellen Zulassungen. Erste Impfstoffe könnten vielleicht schon dieses Jahr auf den Markt kommen, vielleicht noch nicht in großer Zahl, sagt Krammer. Aber jeder Tag danach werde "uns wieder ein wenig mehr zurück zu unserer normalen Lebensweise bringen".

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Visite am 08.09.2020 um 15:22 Uhr.