Studierende mit ihrem Professor in der "Ukrainischen Universität" in München.
Reportage

Ukrainische Universität München Wo der Krieg ganz nah ist

Stand: 04.03.2022 03:05 Uhr

Ein geflüchtetes Professoren-Paar, das gerade angekommen ist, verweinte Gesichter bei Studierenden, Hilfstransporte, die organisiert werden: An der Ukrainischen Uni in München merkt man gerade sehr konkret, was Krieg bedeutet.

Von Hermann Scholz, BR

Im ersten Stock der Ukrainischen Freien Universität München (UFU) sitzen Psychologie- und Pädagogik-Studenten zusammen. Sie beraten, welche psychologische Hilfe die Geflüchteten brauchen, die jetzt aus der Ukraine ankommen. Klar ist: Viele werden Traumata mitbringen durch ihre Kriegserlebnisse, besonders die Kinder.

"Zuerst werden sie einfach das Gefühl brauchen, dass sie in Sicherheit sind. Dass hier Leute sind, die ihnen helfen die Bomben zu vergessen. Damit sie zur Ruhe kommen", sagt Yarina. Andere schlagen vor, über die sozialen Netzwerke für Beratung zu werben und sich eng mit den deutschen Hilfsorganisationen zu verzahnen.

Der Alltag an der Ukrainischen Freien Universität ist binnen einer Woche ein völlig anderer geworden. Die UFU wurde 1921 von Ukrainern gegründet, die vor dem Sowjetregime flohen, zuerst in Wien, dann ging die Hochschule nach Prag, 1945 schließlich nach München. Lange führte die Universität hier ein Nischendasein, sie residiert noch heute in einem unscheinbaren grauen Haus in einer Münchner Wohngegend.

Ansturm an Studenten erwartet

Das wird bald nicht mehr reichen. Im Moment sind knapp 300 Studenten eingeschrieben, die in zwölf Fächern studieren können - von Ukrainistik bis Internationale Beziehungen. Unterrichtssprachen sind Ukrainisch, Deutsch und Englisch, für die private Hochschule sind Studiengebühren fällig.

Kanzlerin Yanina Lipski hat jetzt schon Anmeldungen von geflüchteten Studentinnen, die in München weiterstudieren wollen - und sie rechnet mit noch viel mehr. Der Platz in dem kleinen Haus wird nicht reichen. Und viele der Geflüchteten werden die Studiengebühren nicht aufbringen können, 600 Euro pro Semester. Lipski muss Lösungen finden. Die UFU ist durch den Krieg auf einmal ins Zentrum des Weltgeschehens gerückt.

Hilfe für Geflüchtete aus der Ukraine

Und das gilt nicht nur für die Studenten. In der Bibliothek sitzt ein Professoren-Ehepaar aus Kiew, noch im Mantel. Nach tagelanger Flucht sind sie gerade angekommen. Auf dem Hof kommt ein VW-Bus mit einer Familie aus der Ukraine an - auch die Katze haben sie retten können. Die Universität ist zur Drehscheibe für die Hilfe in München geworden. Ehrenamtliche fahren an die Grenze und holen Menschen von dort ab. Die Universität vermittelt sie an die vielen Münchner, die angeboten haben, Menschen unterzubringen. Es werden Spenden gesammelt und Hilfe in die Ukraine geschickt.

Studenten zwischen Schock und Wut

Viele Studenten haben blasse, verweinte Gesichter. Fragt man etwa Viktorija, wie es ihr geht, sagt sie: Furchtbar, aber heute sei es ein bisschen besser, immerhin habe sie vergangene Nacht schlafen können. Olga erzählt von ihren Eltern in einem kleinen Dorf im Süden der Ukraine. Nur mit viel Mühe hätten ihr Bruder und sie die beiden überzeugen können, sich im Westen der Ukraine in Sicherheit zu bringen - die Rentner wollten ihr Haus nicht zurücklassen. Und Vadim sagt, es falle ihm schwer, den Bildern aus dem Krieg zu glauben, das sei einfach ein Albtraum.

Gruppe gegen russische Propaganda-Lügen

Viele antworten auf den psychischen Druck mit Aktivität - durch Hilfe für die Geflüchteten, aber auch auf andere Weise: Sie sammeln Spenden für humanitäre Hilfe für ihr Land, kaufen Lebensmittel und organisieren Transporte.

Mariana erzählt, dass sie in München eine Gruppe auf die Beine gestellt haben, die gegen die russischen Propaganda-Lügen über den Krieg arbeiten will: "Die Ukrainische Nation ist stark. Wir werden kämpfen." Auf Viktorijas Pullover ist ein Portrait der ukrainischen Dichterin Lesja Ukrainka abgebildet und der Titel eines ihrer Gedichte: Contra spem spero - grob übersetzt: die Hoffnung stirbt zuletzt. "Ich weiß nicht, ob man das sagen darf", meint Viktorija, "aber ich hoffe, dass Putin stirbt."

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete BR am 02. März 2022 um 18:00 Uhr.