Aktivisten und Aktivistinnen der Klimaschutzgruppe "Letzte Generation" blockieren eine Straße in Berlin.

Aktionen der "Letzten Generation" Blockierte Realität

Stand: 13.09.2023 12:38 Uhr

Von der kommenden Woche an will die "Letzte Generation" die Hauptstadt wieder lahmlegen. Die Ablehnung, die ihr inzwischen entgegenschlägt, ist groß. Die Aktivisten zeigen sich davon unbeirrt.

Berlin soll wieder Schauplatz der Klebeaktionen der "Letzten Generation" werden. Die Bilder sind fast schon programmiert: Aktivisten, die stoisch auf dem Asphalt sitzen, aufgebrachte Autofahrer und Polizisten, die dazwischengehen.

Dennoch könnte die Situation sich in der kommenden Woche zuspitzen, darauf deutet zumindest einiges hin. Berlins Polizeipräsidentin hat angekündigt, dieses Mal "sehr konsequent und sehr zügig" gegen die Aktionen vorzugehen. Sogar mithilfe von verdeckten Streifen sollen Straßenblockaden schon im Ansatz unterbunden werden. 

Blockaden ohne Enddatum

Die Aktivisten der "Letzte Generation" wollen so lange weitermachen, bis ihre Ziele von der Bundesregierung umgesetzt werden. Ihr Sprecher Rolf Meyer antwortet auf die Frage nach dem geplanten Zeitrahmen der Aktionen trocken: "Dauerhaft. Das heißt: ohne Enddatum."

Meyer ist 56 Jahre alt, Vater von zwei erwachsenen Kindern und Großvater. Der studierte Physiker arbeitet als Entwickler in der Luft- und Raumfahrtbranche - wenn er nicht gerade Straßen blockiert. Das hat er zuletzt öfter gemacht.

"Ich habe fast jeden Tag in Bayern mitblockiert", sagt Meyer. Das von der CSU geführte Bundesland sei am repressivsten. "Da wurden 30 Tage Präventivhaft verhängt." Damit müsse man rechnen. "Aber es ist eben so, dass ich meinen Kindern nicht ins Gesicht schauen kann, wenn ich meine Verantwortung, alles zu tun, nicht wahrnehme - die Regierung zu mahnen, die Lebensgrundlagen zu schützen."

Vor einigen Tagen war in einem Video der "Letzten Generation" zu sehen, wie sich die Gruppe den Protest vorstellt. Kim Schulz, Mitglied im Führungszirkel der Organisation, verliest eine "Erzählung, wie es ablaufen könnte". In seinem Szenario beteiligen sich immer mehr Menschen an den Protesten in Berlin - bis es so viele sind, dass Kreuzungen "nicht mehr geräumt werden können". In seiner Erzählung wird aus der Splittergruppe plötzlich so etwas wie eine Massenbewegung.

85 Prozent Ablehnung

Die Selbstwahrnehmung als anschlussfähige Organisation steht jedoch im Widerspruch zu Umfrageergebnissen: Im Juni ergab der ARD-Deutschlandtrend, dass 85 Prozent der Befragten die Straßenblockaden für "nicht gerechtfertigt" hielten. 13 Prozent sahen sie als "gerechtfertigt" an. 

Die Sozialpsychologin Maria-Christina Nimmerfroh von der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg hat die Gruppe genauer untersucht und sich sogar unter falschem Namen in Netzwerken angemeldet. Für sie ist die Ablehnung in weiten Teilen der Gesellschaft leicht erklärbar: "Die 'Letzte Generation' hat ein Logikproblem. Viele Bürger erkennen den Zusammenhang nicht zwischen: 'Die blockieren die Straße, auf der ich fahre' und 'Deshalb soll die Regierung etwas Bestimmtes tun'."

Das sei einer der wichtigsten Gründe, warum die besondere Protestform mit dem Festkleben so viel Ablehnung hervorrufe: "In der Psychologie sprechen wir von Reaktanz - der Reaktion auf Freiheitseinschränkungen. Menschen versuchen normalerweise, ihre Freiheit wieder zu erlangen. Und der erste Impuls als Reaktion auf die Blockaden ist häufig, dass die Leute einfach sauer werden."

Kein "Weiter so"

"Letzte Generation"-Sprecher Meyer zeigt sich verständnisvoll: "Den Menschen auf der Straße sehe ich ihre Emotionen an, die Verzweiflung, den Hass. Davor habe ich sehr, sehr großen Respekt. Und das berührt mich auch. Aber das hilft ja nichts. Deren 'Weiter so', unser aller 'Weiter so', wird nicht funktionieren."

Das ist die Kernbotschaft der Gruppe: Der Klimawandel sei existenzbedrohend und es werde nicht genug dagegen getan. Die "Letzte Generation" handelt also aus Verzweiflung über die Realität. Aus ihrer Sicht ist es eine Notwehrreaktion. Dass eine Mehrheit laut Umfragen für Klimaschutzmaßnahmen ist, reiche nicht aus.

"Es kann in keinem Sektor so weitergehen wie bisher: Verkehr, Fliegen", argumentiert Meyer. "Eine Mehrheit für diese Maßnahmen ist ja da, denn wir wollen alle, dass unser Grundgesetz hinsichtlich wirksamem Schutz der Lebensgrundlagen durch Klimaschutzmaßnahmen von der Bundesregierung eingehalten wird. Ich erwarte, dass wir dazu als Gesellschaft wieder zusammenfinden."

Aktivisten und Aktivistinnen der Klimaschutzgruppe "Letzte Generation" während eines Pressestatements.

Rolf Meyer, Nikolaus Froitzheim, Chiara Malz, Carla Hinrichs und Lina Johnsen haben in der vergangenen Woche vor dem Kanzleramt ein Pressestatement zu den geplanten Protesten der "Letzten Generation" ab dem 13. September in Berlin abgegeben.

Klebeaktionen alternativlos?

Das Problem für viele Menschen seien weniger die Ziele der "Letzten Generation", sagt Sozialpsychologin Nimmerfroh, sondern vielmehr ihre Mittel und ihre Radikalität. Bei ihren Recherchen habe sie eine eng verschworene Gemeinschaft vorgefunden, in der der Glaube, das Richtige zu tun, beinahe schon religiöse Züge angenommen habe. Die Realität, dass die Mehrheit sie schlicht ablehne, werde blockiert.

Nimmerfroh, die seit Jahren soziale Bewegungen untersucht, fasst ihre Eindrücke so zusammen: "Das ist ganz anders als in anderen Non-Profit-Organisationen. Die Kausalkette 'Blockade führt zu Reaktion der Politik' wird intern nirgends in Frage gestellt." Nur so könne das überhöhte Ziel der "Weltrettung" erreicht werden, das sei Konsens in der Gruppe, so die Forscherin.

Nimmerfrohs Erkenntnisse bestätigen damit auch, was Mitglieder der "Letzten Generation" immer wieder betonen: Sie sind fest entschlossen, weiterzumachen. Über die Monate haben sich ihre Forderungen immer wieder verändert - aktuell ist der Ausstieg aus fossilen Brennstoffen bis 2030 das erklärte Ziel und Bundeskanzler Olaf Scholz ihr erklärter Gegner, weil dieser den Ausstieg blockiere.

3,5 Prozent der Bevölkerung als Ziel

Irgendwann, so der feste Glaube der Aktivisten, werde die Stimmung sich drehen. Sie berufen sich unter anderem auf eine Studie der amerikanischen Politikwissenschaftlerin Erica Chenoweth, nach der 3,5 Prozent der Bevölkerung sich an friedlichen Protesten beteiligen müssten, um einen Politikwechsel herbeizuführen. Davon ist die Gruppe mit wenigen Hunderten Aktiven derzeit allerdings mehrere Größenordnungen entfernt.

Entmutigt zeigen sie sich davon nicht. Und von den Ankündigungen der Berliner Polizei, konsequent gegen die Aktionen vorzugehen, ließen sie sich auch nicht einschüchtern. "Das ist halt so", sagt Sprecher Meyer. "Das hat keinen Effekt. Was ist daran abschreckend? Wir wissen, worauf wir uns einlassen. Das tut mir auch leid, dass die Polizei jetzt kompensieren soll, was unsere Regierung versäumt."

Überschätzte Erfolgsaussichten?

Sozialpsychologin Nimmerfroh glaubt jedoch, dass die Gruppe an ihren begrenzten Möglichkeiten und ihrer mangelnden Akzeptanz scheitern wird. "Berlin lahmlegen bis Weihnachten - ich halte das für nicht durchführbar", sagt die Forscherin. Dafür fehlten der Gruppe die Mitglieder und die Mittel. "Die Vorstellungen sind absolut naiv. So ausgefeilt und detailliert die Aktionen selbst geplant sind, so unplausibel sind die politischen Strategiepapiere." Es gebe eine deutliche Überschätzung der eigenen Möglichkeiten und Erfolgsaussichten. "Aber, um es so zu sagen: Die glauben das tatsächlich", so Nimmerfroh.

Dass es ihnen ernst ist, würde wohl keiner der Aktivisten bestreiten. Sprecher Meyer beschreibt es ganz pragmatisch: "Ich will eigentlich auch nicht auf die Straße gehen. Ich würde auch lieber etwas anderes machen, zum Beispiel ans Meer fahren. Aber ich kann das vor meinen Kindern und Enkelkindern nicht verantworten."