Die zerstörte Brücke in Schuld, aufgenommen zwei Tage nach dem verheerenden Hochwasser vom Juli 2021

Flut im Ahrtal "Es ging um Minuten"

Stand: 08.12.2022 11:19 Uhr

Am heutigen bundesweiten Warntag wurde getestet, was bei der Flutkatastrophe im Ahrtal nicht funktioniert hat: Alarm zu geben, wenn Gefahr droht. Die örtlichen Behörden hatten die Menschen in der Flutnacht nicht informiert. Von Axel John.

Am heutigen bundesweiten Warntag wurde getestet, was bei der Flutkatastrophe im Ahrtal nicht funktioniert hat: Alarm zu geben, wenn Gefahr droht. Die örtlichen Behörden hatten die Menschen in der Flutnacht nicht informiert.

Florian Ulrich sitzt bei der Feuerwehr in Ahrbrück im Küchenraum und schaut nachdenklich in seinen frisch gebrühten Kaffee. "Wir waren auf uns alleine gestellt. Wir haben einfach gehandelt", erzählt der 33 Jahre alte Feuerwehrmann über die Flutnacht vor knapp anderthalb Jahren. Er war damals in Ahrbrück im Einsatz.

Ulrich ist inzwischen Wehrführer. Er erinnert sich noch sehr genau an den Tag der Katastrophe: "Wir hatten am Nachmittag noch Kontakt zu unserer Leitstelle in Koblenz. Die Kollegen berichteten über massiv steigende Pegel an der Ahr. Daraufhin haben wir eine Einsatzzentrale im Feuerwehrhaus eingerichtet", erzählt Ulrich. Das Team mit 25 Menschen habe sich auf ein Hochwasser wie 2016 eingestellt, damals hatte der Pegel der Ahr 3,71 Meter angezeigt. Deshalb verteilten Ulrich und seine Kollegen am frühen Nachmittag des 14. Juli noch Sandsäcke und Wasserpumpen an die Anwohner.

Im Ahrtal ahnte man nichts

Am Oberlauf der Ahr gingen zu diesem Zeitpunkt bereits erste Ortschaften und Campingplätze komplett unter. In Ahrbrück erfuhr Ulrich davon nichts. Auch die Menschen im Ahrtal ahnten nichts von der heranrollenden Katastrophe. Im weiteren Verlauf der Nacht erreichte der Pegel in Ahrbrück dann mehr als zehn Meter. Am späten Nachmittag spitzte sich die Lage weiter zu. "Zu diesem Zeitpunkt hatten wir zwar noch Strom und Funk. In solchen Lagen ist der Landkreis zuständig für Information und Koordination. Von da kam aber nichts", erinnert sich Ulrich. Das Wasser stieg und stieg weiter.

Am Abend fing die Feuerwehr dann an, Ahrbrück zu evakuieren. "Das haben wir selber entschieden. Wir mussten etwas tun. Wir haben die Anwohner gewarnt, sind von Haus zu Haus gezogen. Viele konnten mit dem Pkw Ahrbrück noch verlassen", schildert Ulrich. Andere hätten sich noch in höhergelegene Gebäude gerettet. Trotz der sich zuspitzenden Lage hörten Ulrich und seine Feuerwehrkollegen von höheren Behördenstellen weiter gar nichts.

Retter in Lebensgefahr

Am späten Abend brach dann das Strom- und Mobilfunknetz zusammen. Ulrich und sein Team waren nun endgültig abgeschnitten. Kurz danach wurde das Feuerwehr-Team selbst von den Fluten eingeschlossen. Der Trupp war aber weiter unterwegs - bis in den Morgen. Sie kämpften sich durch reißende Fluten, schlugen sich noch über einen Berg zu etwa 30 Menschen durch, die sich in den Bahnhof geflüchtet hatten, retteten zwei Männer vor dem Ertrinken. "Wir konnten die Lage und die Gefahren längst nicht mehr einschätzen. Es gab keine Führungsstruktur. Wir hatten keine Informationen", erzählt Ulrich. "Wir haben getan, was wir konnten. Trotzdem sind neun Menschen in Ahrbrück in den Fluten ums Leben gekommen. Das beschäftigt mich bis heute."

Auch in Bad Neuenahr-Ahrweiler wussten die Einwohner am Tag der Katastrophe noch nichts von der Flutwelle - auch nicht im Ortsteil Ehlingen. Robert Füllmann und sein Schwager wohnen in der Bodendorferstraße, die sich quer durch die Ortschaft zieht. Beide hörten tagsüber im Radio von einem drohenden Hochwasser. "Das ist an der Ahr aber nichts Besonderes. Nach starken Regenfällen in den vorangegangenen Tagen fingen wir an, Sandsäcke zu füllen und sie auch an ältere Anwohner zu verteilen", erzählt Koglin.

Am späten Abend änderte sich die Lage plötzlich: Zwei Feuerwehrmänner waren im angrenzenden Heimersheim im Einsatz. Sie wohnen in Ehlingen und berichteten von stark ansteigenden Pegelständen entlang der Ahr. "Sie sprachen von bis zu sieben Metern. Da braue sich etwas Außergewöhnliches zusammen. Aber was bedeutet das konkret für uns in Ehlingen? Offizielle Warnungen gab es nicht", erzählt Koglin. Beide Männer liefen zur nahgelegenen Ahr. Aus dem Flüsschen war längst ein mächtiger brauner Strom geworden. Unruhe und Unsicherheit wuchsen. Aber niemand wusste Bescheid.

Tochter-Vater-Meldekette

Nach Mitternacht gegen 1.30 Uhr herrschte immer mehr Ungewissheit in Ehlingen. Dann schlug die Tochter eines der beiden Feuerwehrmänner Alarm. "Aufgefordert von ihrem Vater lief sie durch die Bodendorfer Straße und schrie: Alle raus aus den Häusern und weg hier. Sofort! Das Wasser kommt", erzählt Füllmann. Er lief mit anderen von Haus zu Haus und weckte schlafende Nachbarn. Die Nachricht verbreitete sich jetzt wie ein Lauffeuer durch Ehlingen.

"Manche haben ihre Tiere in Katzenkörbe gesteckt, rauf auf Schubkarren und dann schnell die Hauptstraße hoch, die auf eine Anhöhe zum Dorfgemeinschaftshaus führt", erzählt Koglin. "Es ging um Minuten. Alarmierte Eltern zogen noch ihre Kinder an und standen schon hüfthoch im Wasser, als sie aus dem Haus raus sind", ergänzt Füllmann. Andere hätten zunächst noch ihren Pkw hochgefahren, um dann ihre Hunde zu holen. Die Flut wälzte sich derweil aber schon durch Ehlingen. Die Tiere ertranken in der Wohnung. Aber alle Anwohner konnten sich retten - in ein ehemaliges Schulgebäude am oberen Ende der Ortschaft. Niemand kam in Ehlingen ums Leben. Im restlichen Ahrtal starben hingegen insgesamt 134 Menschen.

Warum hat niemand gewarnt?

"Es ist ein physikalischer Grundsatz, dass Wasser von oben nach unten läuft. Wenn am Oberlauf der Ahr die ersten Menschen ertrinken, sollte man entlang des Flusses schnellstens warnen! Wo war Landrat Pföhler? Wo die übrigen Behörden?", ärgert sich Füllmann. Diese Fragen werden derzeit auch in einem Untersuchungsausschuss des rheinland-pfälzischen Landtages zur Flut gestellt. An echte Aufklärung glauben beide nicht: "Alle Parteien stecken doch drin. Der Landrat von der CDU musste zurücktreten - ebenso die damalige Umweltministerin von den Grünen und jetzt der Innenminister von der SPD. Was soll da noch rauskommen?", fragt Koglin.

In der Nacht heulten dann doch noch die Sirenen in Ehlingen - um etwa 2.15 Uhr, nachdem sich alle Anwohner längst auf die Anhöhe gerettet hatten und der tiefergelegene Ortsteil schon überflutet war. "Wer das Ding ausgelöst hat und warum, ob es eine Fehlschaltung war, wissen wir bis heute nicht", sagt Füllmann. "Aber es war sowieso zu spät. Die Flut hatte auch Ehlingen verwüstet, ohne offizielle Warnung der Menschen durch Behörden und Politik. Das schnelle Handeln der beiden Feuerwehrmänner und der Tochter in der Flutnacht hat hier bei uns möglicherweise viele Menschenleben gerettet. Wir wussten eben Bescheid und konnten handeln."

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 08. Dezember 2022 um 09:00 Uhr sowie Deutschlandfunk um 13:00 Uhr.