Zum Teil abgerissen ist das bei der Flutkatastrophe im Ahrtal weitgehend zerstörte Gebäude eines Hotels in Mayschoß.

Zwei Jahre nach der Ahrtalflut Katastrophe auf Wiedervorlage?

Stand: 12.07.2023 15:57 Uhr

Zwei Jahre nach der Flutkatastrophe läuft der Wiederaufbau an der Ahr teilweise schleppend. Am Geld liegt es nicht. Eher an einer Vorschrift, die zusätzliche Maßnahmen zum Hochwasserschutz erschwert.

Von Axel John, SWR, SWR

Jörn Birkmann ist an der Ahr unterwegs. Er leitet das Institut für Raumordnung und Entwicklungsplanung an der Universität Stuttgart. Der Stadtentwickler ist als unabhängiger Sachverständiger immer wieder in der Region.

"Der Hochwasserschutz kommt beim Wiederaufbau in vielen Stellen zu kurz", sagt Birkmann. "Aufgrund des Klimawandels müssen wir uns auf Extremwetterereignisse wie häufigere Starkregen einstellen. Das gilt natürlich auch für das Ahrtal. Entsprechend sollte der Wiederaufbau auch geplant und umgesetzt werden." Es sei an vielen Stellen zu überlegen, ob der gleiche Wiederaufbau am gleichen Standort wirklich sinnvoll sei.  

Ein Beispiel in Bad Neuenahr-Ahrweiler ist die Don-Bosco-Schule, die an der Ahr steht und bei der Flut schwer beschädigt wurde. Die Behörden wissen noch nicht, wie es mit dem Gebäude weitergeht. Birkmann hat eine klare Empfehlung: "Hier sollte man prüfen: Gibt es nicht baulich und auch für den Standort eine bessere Alternative?" Die Schule sei kritische Infrastruktur, in der sich schützenswerte Bevölkerung aufhält, die sich nicht selbst evakuieren kann. "Da macht es wenig Sinn, wenn man die direkt an der Ahr lässt", so Birkmann.

Einen anderen Standort oder Maßnahmen gegen Überschwemmungen verhindert aber die rheinland-pfälzische Verwaltungsvorschrift für den Wiederaufbau. Im Ministerialblatt vom 1. Oktober 2021 ist geregelt, wofür staatliche Finanzhilfen aus dem milliardenschweren Fluthilfefonds fließen. Danach gibt es nur öffentliche Gelder, wenn genau wie vor der Flut wieder aufgebaut wird. Zusätzliche Hochwasserschutz-Maßnahmen sind nicht vorgesehen - und werden auch nicht bezahlt.

Ein Mann steht vor einem Baugerüst.

Stadtentwickler Jörn Birkmann kritisiert, dass beim Wiederaufbau im Ahrtal der Hochwasserschutz zu kurz kommt.

Schadensbehebung, aber kein nachhaltiges Bauen

Ein paar Straßen weiter geht der Geschäftsführer der Aufbaugesellschaft Bad Neuenahr-Ahrweiler an einigen Baustellen vorbei. Hermann-Josef Pelgrim zieht eine bittere Zwischenbilanz zum Wiederaufbau. Für ihn ein großes Problem: die Verwaltungsvorschrift, die nur auf Schadensbehebung, aber nicht auf nachhaltiges Bauen setzt.

"Für den öffentlichen Bereich ist es fatal, dass wir nicht zukunftsgerichtet und klimaresilient aufbauen können - etwa mit mehr Bäumen, mit Maßnahmen im Gewässer für den Hochwasserschutz", sagt Pelgrim. "Das entspricht nicht den Zukunftsvoraussetzungen hinsichtlich des Klimawandels."

Dabei habe sich die Bundesrepublik doch etwa im Klimaabkommen von Paris genau zu diesen klimaresilienten Maßnahmen verpflichtet, so Pelgrim. Aufgrund der geltenden Verwaltungsvorschrift sei das aber im Ahrtal rechtlich nicht umzusetzen. Auch Pelgrim wünscht sich eine Neufassung der bisherigen Flut-Regelung.        

Aber wieso planen Politik und Behörden einen Wiederaufbau ohne Hochwasserschutz - gerade im Ahrtal? Stadtentwickler Birkmann erinnert an die ersten Wochen nach der Flut: "Nach dem Unglück haben Bund und Ländern schnell reagiert und 30 Milliarden Euro für den Wiederaufbau bereitgestellt worden. Der Zeitdruck war groß. Die Menschen wollten zurück in ihre Häuser."

Die Karte zeigt das Ahrtal mit Bad Neuenahr-Ahrweiler und Dernau.

Baugesetz und Verwaltungsvorschrift unabhängig voneinander

Damals habe man nur an die Schadenskompensation gedacht - nicht an einen klimaresilienten Wiederaufbau. "Das sollte jetzt bei den Förderregeln geändert werden. Derzeit zahlt oftmals derjenige drauf, der zusätzlich in Hochwasserschutz investiert. Bund, Länder, Behörden und Versicherungen sollten handeln."

Wichtig sei zudem ein Ansatz, der über den Wiederaufbau einzelner Gebäude weit hinausgehe. Birkmann spricht sich deshalb für ein Gesamtkonzept für die gesamte Region aus. Ziel müsse sein, eine Infrastruktur zu schaffen, die nicht nur ein paar Jahre, sondern viele Jahrzehnte den Herausforderungen des Klimawandels entspreche.     

Dabei hatte der Bund vor Kurzem das Baugesetzbuch wegen der Ahrtalflut sogar geändert. Nach Paragraph 246c sollen künftig Hochwasserschutz und Klimaresilienz ausdrücklich gefördert werden. Das Problem: Verwaltungstechnisch und juristisch sind Baugesetz und Verwaltungsvorschrift unabhängig voneinander. Die geänderten Rahmenbedingungen aus Berlin sind daher noch nicht in die Verwaltungsvorschrift in Rheinland-Pfalz eingegangen.

Im SWR-Sommerinterview verweist Ministerpräsidentin Malu Dreyer daher auf die aktuelle Rechtslage - mehr nicht. "Wir schauen immer, wenn eine Beschwerde kommt: Was können wir tun? Wenn die Förderrichtlinien unklar sind, dann bringen wir alle an einen Tisch", so Dreyer. "Es ist kein Misstrauen gegenüber den Bürgern. Aber wir haben auch Rechenschaftspflichten gegenüber dem Bund. Das sind Steuergelder. Die müssen wir auch so verwenden, dass es auch gegenüber dem Rechnungshof klar ist."

Ein Mann steht vor einem Neubau.

Sebastian Tetzlaff aus Dernau baut sein Haus wieder auf - und fühlt sich dabei alleingelassen.

Anwohner fühlen sich wieder alleingelassen

Die Verwaltungsvorschriften von Rheinland-Pfalz erschweren auch Privatleuten den Schutz vor künftigem Extremwetter. Sebastian Tetzlaff aus Dernau hat sein Haus wieder aufgebaut. "Der Neubau ist hochwassergerecht. Das Geld kam aus meinen eigenen Ersparnissen und von meiner Versicherung", erzählt der Handwerker.

Aber auch sein Grundstück muss Tetzlaff gegen künftige Fluten absichern und entsprechend komplett umbauen. Die Zusatzkosten wollen die Behörden aber nicht übernehmen, weil es diese neuen Schutzmaßnahmen vor der Flut auch nicht gegeben habe.

"Man hört immer wieder, dass die Gelder aus dem Flutfonds noch da sind, aber dass sie wegen der vielen Auflagen nicht verteilt werden. Das verstehe ich nicht", schimpft Tetzlaff. "Mir geht es ja noch relativ gut. Aber ich kenne noch viele andere Menschen hier im Ahrtal, denen es mit der dem Wiederaufbau noch viel schlechter geht als mir. Das ist einfach eine Katastrophe."

Die Politik hatte den Menschen an der Ahr nach der Flut versprochen, sie nicht alleine zu lassen. Genau so aber fühlt sich Tetzlaff: "Beim Blick auf mein Geld und den Neubau und Grundstück mit Hochwasserschutz weiß ich nicht, ob ich das Haus auf Dauer alleine halten kann. Ich werde sehen, ob ich das schaffe - oder eben nicht."

Nada Fiebes, SWR, tagesschau, 12.07.2023 16:25 Uhr