Markus Gerd Krämer und Jan Fredrich

Folgen der Katastrophe im Ahrtal Versichert, vertröstet - verschaukelt?

Stand: 25.01.2024 10:44 Uhr

Der Gesamtverband der Versicherer legt sein Branchenergebnis für 2023 vor. Im Ahrtal können viele Flutopfer noch keine Abschlussbilanz ziehen. Tausende Versicherungsfälle sind noch immer nicht reguliert.

Vor Jan Fredrich liegt ein dicker Aktenordner. Darin abgeheftet ist die Korrespondenz mit seiner Gebäude-Versicherung, der Alten Leipziger. "'Schnell und unbürokratisch'" hieß es nach der Flutkatastrophe von allen Seiten. Das war vor zweieinhalb Jahren", sagt Fredrich. Beim Wiederaufbau unseres Hauses ist bei uns aber nicht viel passiert - außer viel Ärger mit unserem Versicherer." Der 50-Jährige ist Berufssoldat bei der Bundeswehr.

Fredrich, seine Frau und die vier Kinder haben das Unglück an der Ahr knapp überlebt. Ihr Fertighaus stand in Ufernähe in Bad Neuenahr/Ahrweiler. Als das Wasser immer weiter stieg, retteten sie sich in das oberste Stockwerk. Als sie am Morgen herunterkamen, besaßen sie nur noch das, was sie am Leib trugen. Vom Haus blieb nur ein Totalschaden.

"Wir haben schnell gehandelt: Am Tag nach der Flut haben wir den Schaden telefonisch gemeldet. Ende September lag das Gutachten der von der Versicherung bestellten Sachverständigen vor", sagt Fredrich. Allerdings: In dem Gutachten seien nicht alle Schäden aufgelistet gewesen. Unter anderem gehe es um eine Bodenplatte im Wert von rund 100.000 Euro, so Fredrich. Er habe zahlreiche Briefe geschrieben, die Alte Leipziger habe aber nicht reagiert. Die Familie habe sich hilflos gefühlt und schaltete einen Anwalt ein.

Zeitwert wird relativ schnell ausgezahlt

Die Kommunikation sei trotzdem weiter nur schleppend verlaufen, klagt Fredrich. Immerhin überweist die Versicherung in einer ersten größeren Auszahlung im April 2022 knapp 264.000 Euro - den sogenannten Zeitwert. Da aber das Gutachten Schäden nicht mit aufgelistet habe, sei diese Summe zu gering gewesen, moniert Fredrich. Da weiter nicht absehbar gewesen sei, wann und wie viel Geld die Versicherung in der Schlussabrechnung überweisen wolle, sei auch ein Verkauf des Grundstücks nicht möglich gewesen.

Im Sommer 2022 habe sich die Familie dann für einen Neubau entschieden und einen Bauwerkvertrag für ein Massivhaus unterschrieben, so Fredrich. Das Gebäude soll an der gleichen Stelle mit Hochwasserschutzauflagen neu gebaut werden. "Wir haben den Vertrag fix gemacht, um die damals am Bau rasant steigenden Kosten zu deckeln. Wir sind also ins Risiko gegangen. Wir hatten keine finanzielle Planungssicherheit", so Fredrich. Auf die Restsumme für den Gesamtschaden des Hauses durch die Alte Leipziger warten die Fredrichs bis heute. Die Versicherung verlange immer wieder neue Nachweise. Der neue Bauvertrag sei der Gesellschaft zu wenig.

Versicherungen zahlten bisher insgesamt 6,7 Milliarden Euro

Der Gesamtverband der Versicherer (GDV) hat genaue Zahlen, wie viel Geld bislang von Gesellschaften an Flutopfer im Ahrtal gegangen ist. Danach wurden bis Mitte vergangenen Jahres mehr als 6,7 Milliarden Euro ausgezahlt. Das entspreche 80 Prozent der Gesamtsumme der versicherten Schäden, so der GDV.    

Markus Gerd Krämer kennt die Daten. "Diese Aufstellung liest sich besser, als sie ist", sagt er. Krämer ist Fachanwalt für Versicherungsrecht und vertritt mehr als 150 Mandaten aus dem Ahrtal gegenüber Versicherungen. "80 Prozent sind die bilanzierten Schäden der Versicherungen. Die Schadens-Bilanzen der Versicherten sind oftmals deutlich höher", so der Anwalt. "Zudem handelt es sich bei den ausstehenden 20 Prozent meist um die großen Summen." Der Fall Fredrich gehöre mit dazu. Krämer vertritt die Familie gegenüber der Alten Leipziger.    

Blick auf eine Baustelle

Die Baustelle in Bad Neuenahr. Dort sind die ersten Tiefbauarbeiten für das neue Haus abgeschlossen.

Krämer kann das Verhalten der Versicherung nicht nachvollziehen: "Mit dem Bauvertrag hätte die Versicherung den Gesamtbetrag auszahlen müssen." Der Fall sei ein besonders krasses Beispiel aus dem Ahrtal. Es gebe aber zahlreiche ähnliche Streitigkeiten. "Viele Versicherte kommen gegen die Gesellschaften nicht an", erklärt Krämer. Einige Gesellschaften versuchten, Auszahlungen zu verschleppen und so Kunden mürbe zu machen. So solle die Schadenssumme gedrückt werden. Kunden sollten sich mit einem Teilbetrag zufriedengeben und sich dann die Restsumme bei der Investitions- und Infrastrukturbank Rheinland-Pfalz (ISB) holen, vermutet Krämer. Dort liegen in einem aus Steuermitteln finanzierten Fonds 15 Milliarden Euro für Flutopfer bereit.

Versicherung sieht sich im Recht

Auf Anfrage von tagesschau.de weist die Alte Leipziger die Vorwürfe zurück. Man bedauere, dass sich die Familie bei der Kommunikation mit Fachleuten nicht ausreichend eingebunden fühle. Für die Verzögerungen macht die Versicherung aber die Fredrichs verantwortlich: Es fehlten weiter Nachweise rund um den Neubau des Hauses - etwa eine abermalige Bestätigung der Baufirma, dass der Vertrag noch gültig ist. "Allein die Unterzeichnung eines Bauwerkvertrags ist nicht ausreichend", so das Unternehmen.

Und weiter: "Leider ist der Totalschaden eines Wohngebäudes langwieriger, als es für die Betroffenen wünschenswert ist", heißt es auf die Frage nach dem inzwischen zweieinhalbjährigen Verfahren. Auch bei der Höhe des gesamten Schadens liegen beide Seite völlig auseinander: Die Alte Leipziger geht von knapp 470.000 Euro netto aus - Fredrichs dagegen fordern knapp eine Million Euro.

Zeitdruck und Klageandrohung

Fredrichs wohnen weiter in einer Mietwohnung in Remagen. Inzwischen wächst der Zeitdruck auf die Familie. Am 14. Juli läuft die sogenannte Wiederherstellungsklausel ab. Diese Regel in Gebäudeversicherungsverträgen besagt, dass nach drei Jahren die notwendigen Maßnahmen zum Wiederaufbau getroffen werden müssen.

Die Alte Leipziger schreibt dazu: "Wir benötigen bis dahin die Nachweise, die sicherstellen, dass das Gebäude wieder aufgebaut wird. Andernfalls bewirkt die Wiederherstellungsklausel, dass wir streng genommen nicht mehr zur Zahlung verpflichtet sind."

Jan Fredrich will sich aber nicht unter Druck setzen lassen. Er will die aus seiner Sicht gesamte Schadenssumme von der Versicherung für einen Neustart im Ahrtal erhalten. "Wir werden eine fehlende, uns vorenthaltene Restsumme nicht aus dem Steuertopf holen. Das entspricht nicht unserem Rechtsempfinden. Der Fluthilfefonds ist für Menschen ohne Versicherung gedacht - wenn es drauf ankommt, müssen wir klagen", sagt Fredrich.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die WDR-Sendung "Lokalzeit aus Bonn" am 04. Januar 2024 um 19:30 Uhr.