Stillgelegte Bahnschienen werden von Bäumen und Büschen überwuchert

Erreichbarkeit der Bahn Es fährt kein Zug nach Nirgendwo

Stand: 15.07.2023 18:27 Uhr

Wer auf dem Land auf Bus und Bahn setzt, hat es schwer. Die Busse fahren zu selten, Bahnhalte werden abends ausgesetzt. Das erschwert den Umstieg vom Auto zum ÖPNV. In den Städten sieht die Lage besser aus.

"Züge, die an unserem Bahnhof nicht halten, Züge, die einfach ausfallen und für die es keinen Schienenersatzverkehr gibt - hier mit den öffentlichen fahren zu wollen? Im Prinzip lachen wir darüber." Aber eigentlich findet Birgit Kolakowski das Ganze nicht wirklich witzig. Sie wohnt mit ihrem Mann in Ingelbach im Westerwald, die nächstgelegenen größeren Städte sind Montabaur, knapp 40 Kilometer weit weg, Koblenz und Bonn - je 60 Kilometer entfernt.

Mit dem Auto etwa eine Stunde Fahrt, mit Bus und Bahn: rund vier Stunden. Vorausgesetzt, der Bus fährt. Das tut er aber in der Regel nur an Schultagen, drei- bis fünfmal täglich. Und die Bahn? Kolakowski winkt ab. Zum Lokalbahnhof sind es zwei Kilometer, die könnte man noch laufen. Aber: "Der Zug kann nicht immer abends hier halten, wenn er aus Richtung Hachenburg kommt, weil dann ein Bahnsteig nicht beleuchtet ist. Der fährt einfach weiter." Das bedeutet: an der nächsten Haltestelle ein Taxi nehmen. "Ist doch klar - dann fahren wir eben lieber mit dem Auto."

Ohne Auto geht oft nichts

Auch Jutta Künemund aus Kriegsfeld im Südwesten von Rheinland-Pfalz kennt das. Sie wollte eigentlich ihr Auto abschaffen und mit dem Bus zur Arbeit in Kirchheimbolanden fahren. Gerade mal 13 Kilometer, morgens kein Problem. Aber: Wenn sie um 17 Uhr Feierabend hat, also zu einer durchaus normalen Zeit, fährt kein Bus mehr.

Künemund bleibt also ebenfalls Autofahrerin - auch in der Freizeit. "Da würde ich eigentlich gerne das Deutschlandticket nutzen. Das kann ich aber nicht bei Bedarf einzeln am Automaten kaufen, sondern nur als Abo. Das ist mir dann zu teuer."

Wo Bahnfahren gut geht - und wo gar nicht

Zwei von mehr als 3000 Rückmeldungen, die die Initiatoren der ARD-Mitmachaktion #besserBahnfahren erreicht haben. Noch bis Ende Juli läuft die zweite Runde, die Ergebnisse werden von einem Wissenschaftlerteam des Baden-Württemberg-Instituts für Nachhaltige Mobilität (BWIM) ausgewertet. Dabei geht es um Fragen wie: Wie weit haben es die Fahrgäste zur nächsten Haltestelle? Verfügen sie über ein Auto? Wofür nutzen sie das Deutschlandticket?

Das Ende Juni erschienene Erreichbarkeitsranking der "Allianz pro Schiene" geht in dieselbe Richtung. Der bundesweite Vergleich der Erreichbarkeit des Öffentlichen Nahverkehrs legt den Handlungsbedarf offen - besonders in ländlichen Regionen. Die Studie konstatiert: "Ein kurzer Weg zur Haltestelle bedeutet Freiheit bei der Verkehrsmittelwahl. Viele Menschen würden ihr Auto gerne stehen lassen, wenn sie ihr Ziel mit dem öffentlichen Verkehr klimaschonend erreichen könnten. Dabei steht fest: Wenn Bahnen und Busse für die Menschen gut erreichbar sind, steigert das nicht nur die Lebensqualität durch kürzere Fahrtzeiten. Mit einem dichten Haltestellen-Netz und guten Verkehrsangeboten kann die Politik auch die Belastung der Luft mit Schadstoffen mindern und die Klimabilanz verbessern."

Besonders gut schneiden, wenig überraschend, die Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen ab, Schlusslichter im Ländervergleich sind Bayern und Mecklenburg-Vorpommern.

Stadt und Land: Viel Luft nach oben

Das Erreichbarkeitsranking zeigt aber auch, dass der ÖPNV nicht nur in den ganz großen Städten gut ausgebaut ist. Die rheinland-pfälzische Landeshauptstadt Mainz etwa liegt bei den kreisfreien Städten auf Platz zwei - hinter Bonn, aber vor Frankfurt am Main. In den Nutzereinsendungen zur Mitmachaktion spiegelt sich das nur bedingt so wider. Zu teuer, zu unpünktlich, zu wenige Informationen, bemängeln Fahrgäste.

Darüber kann Kolakowski nur müde lächeln. Engere Taktung, mehr Zuverlässigkeit, dann würde sie gerne mehr Bahn fahren - der Umwelt zuliebe.

Die Bundesregierung will die Fahrgastzahlen bis zum Jahr 2030 auf der Schiene verdoppeln. Dazu müsste die Schieneninfrastruktur auch in der Fläche ausgebaut werden. Zusätzlich fordert die "Allianz pro Schiene" eine bessere Verknüpfung von Bus und Bahn und ein Recht auf Mobilität ohne Auto. In Ingelbach im Westerwald ist das noch sehr, sehr leise Zukunftsmusik.