Interview

Grünen-Obmann Wieland zum Rücktritt von Fromm "Die Sicherheitsorgane haben versagt"

Stand: 02.07.2012 15:42 Uhr

Der Grünen-Politiker Wieland sieht nach dem Rücktritt von Verfassungsschutzchef Fromm noch offene Fragen - zum Beispiel, ob das Zwickauer Trio Verbindungen zum Verfassungsschutz hatte. Gegenüber tagesschau.de spricht Wieland von einer "riesigen Vertrauenskrise". Die damaligen Vorfälle seien möglicherweise nie mehr aufzuklären.

tagesschau.de: Wie bewerten Sie den Rücktritt des Verfassungsschutzpräsidenten?

Wolfgang Wieland: Heinz Fromm übernimmt damit Verantwortung für Fehler, die in seiner Behörde gemacht wurden. Das tun nicht alle Amtsträger. Insofern sage ich: Respekt! Er hat damit die Konsequenz gezogen aus einem schier unglaublichen Vorgang: dass nämlich in seiner Behörde Akten in dem Moment vernichtet wurden, als die Öffentlichkeit sie haben wollte und der Generalbundesanwalt Herr der Akten geworden wäre.  

tagesschau.de: Welches Licht wirft die Vernichtung von Akten auf die damaligen Ermittlungen und auf das Neonazi-Trio?

Wieland: Der gesamte Untersuchungsausschuss war elektrisiert, als er von dem Vorfall erfahren hat. Jetzt stellen sich natürlich wichtige Fragen: Warum hatte der Ausschuss von der ganzen Aktion "Rennsteig" bis dato nichts erfahren? Wieso wurde das planmäßige Durchdringen der Thüringer Neonazi-Szene mit V-Leuten durch drei Nachrichtendienste unter Leitung des Bundesamtes nicht in der ganzen Dimension dargestellt? Wurden die Klarnamen-Dateien von damals korrekt geführt? Ist angesichts dieser Dateien überhaupt nachzuvollziehen, wer mit dem Verfassungsschutz wie zusammengearbeitet hat? Wer also garantiert uns, dass niemand von dem Zwickauer Trio Informant des Verfassungsschutzes war? Diese Gerüchte gibt es seit langem, es gibt solche Vermutungen sogar bei der Thüringer Polizei. Und auch die Eltern des Zwickauer Trios gingen davon aus, dass ihre Kinder Verbindungen zum Verfassungsschutz haben.

Dies ist für mich das eigentlich Beunruhigende, dass wir vielleicht gar nicht mehr in der Lage sind, die Vorfälle ganz und gar aufzuklären. Die "riesige Vertrauenskrise" von der Heinz Fromm sprach, ist tatsächlich eingetreten.

tagesschau.de: Wer ist für diese Vertrauenskrise noch verantwortlich?

Wieland: Wir haben die Akten beim Bundesinnenminister angefordert. Er haftet mit seinem Apparat letztlich dafür, dass wir alles vollständig bekommen.

tagesschau.de: Müssten also noch weitere Amtsträger - zum Beispiel der Innenminister - Konsequenzen ziehen?

Wieland: Dies abschließend zu beurteilen, dafür ist es heute noch zu früh. Wir müssen jetzt erst einmal rekonstruieren: Was ist da eigentlich passiert? Wer hat welche Dateien nicht ordnungsgemäß geführt? Welche Logik steckte dahinter? Was sollte verborgen werden? Gibt es eine aktive Spurenverwischung - und wenn ja, von wem? Und dann erst stellt sich die nächste Frage: Was wusste ein Staatssekretär oder ein Innenminister von den Vorfällen?

tagesschau.de: Und wer trägt die politische Verantwortung für die Ermittlungspannen bei den Ermittlungen zur Thüringer Neonazi-Zelle?  

Wieland: Auch das wird die weitere Arbeit des Untersuchungsausschusses ergeben. Fromm jedenfalls hat jahrelang vor dem Rechtsterrorismus gewarnt. Heute schon lässt sich aber sagen: Es handelt sich um ein Versagen unserer Sicherheitsorgane auf ganzer Linie. Wir können bisher von keiner Behörde sagen, dass sie bei dieser Mordserie intensiv in Richtung Rechtsextremismus ermittelt hat. Das zog sich durch die Länder und die Bundesorgane.

tagesschau.de: Wer kommt für Sie als Nachfolger für Fromm infrage?

Wieland: Nicht umsonst kam die erste Rücktrittsforderung am Wochenende aus den Reihen der CSU. Und nicht umsonst hat die FDP mit Nachdruck darum gekämpft, dass Herr Fromm schnell als Zeuge im Untersuchungsausschuss gehört wird. Da liegt die Vermutung nahe, dass die Bundesregierung diese Position mit einer Person aus den eigenen Reihen neu besetzen will. So hat sie es mit dem Generalbundesanwalt gemacht, und so will sie es im kommenden Jahr mit dem Chef des Bundeskriminalamts machen. Und das bedeutet, dass bis zu den Bundestagswahlen alle Leitungsfunktionen im Bereich der  Inneren Sicherheit neu besetzt sein werden - und zwar von Leuten, die der Koalition nahestehen oder ein entsprechendes Parteibuch haben.

tagesschau.de: Wird Fromm am Donnerstag wie geplant vor dem Ausschuss aussagen?

Wieland: Davon gehe ich aus. Er bleibt ja ein ganz wichtiger Zeuge für uns.

Das Interview führte Simone von Stosch, tagesschau.de.