Umstrittene Gasfördermethode Ist Fracking in Deutschland eine sinnvolle Option?
Um Gasvorkommen aus tiefen Gesteinsschichten zu fördern, müsste die umstrittene Fracking-Methode eingesetzt werden. Laut der FDP verursacht das unter modernen Sicherheitsstandards "keine relevanten Umweltschäden". Was ist da dran?
Fracking ist in Deutschland verboten - zumindest teilweise: Laut dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) betrifft das Verbot das sogenannte unkonventionelle Fracking bei der Erdgasgewinnung in Ton-, Mergel- und Kohleflözgestein. Dabei gibt es nach Angaben des Bundesumweltministeriums eine Ausnahme: Zu wissenschaftlichen Zwecken können die Bundesländer bundesweit maximal vier Probebohrungen zulassen - unter bestimmten Bedingungen.
Konventionelles Fracking von dichtem Sandgestein ist in Deutschland zwar nicht verboten - de facto werde aber auch diese Methode nicht eingesetzt, sagt Ludwig Möhring, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Erdgas, Erdöl und Geoenergie e.V. (BVEG). Grund dafür sei die politische und gesellschaftliche Kritik an Fracking.
Beim konventionellen Fracking wird dichter Sandstein angebohrt. Das unkonventionelle Fracking hingegen bezeichnet die Erdgasförderung aus Tongestein und Steinkohle. Weil das Erdgas im Tonschiefer sehr fein verteilt ist, wird beim unkonventionellem Fracking nicht nur senkrecht Kilometer in die Tiefe, sondern auch bis zu mehrere Kilometer zur Seite gebohrt. Dabei wird das Gestein hydraulisch aufgebrochen - über die Bohrungen wird mit hohem hydraulischem Druck eine Flüssigkeit (Wasser-Sand-Chemikalien-Gemisch) eingepresst, um Risse im Gestein zu erzeugen oder bestehende Risse zu weiten, sodass das Gas aufsteigen kann.
FDP befürwortet Fracking
Aus Politik und Wirtschaft kommen immer wieder Forderungen, das Verbot des unkonventionellen Frackings aufzuheben. Ein prominenter Befürworter von Fracking in Deutschland ist zum Beispiel Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP). Auch er forderte zuletzt, das Verbot der Fördermethode aufzuheben.
Die FDP veröffentlichte dazu ein Argumentationspapier. Darin heißt es: "Wissenschaftliche Studien zeigen, dass Fracking unter modernen Sicherheitsstandards keine relevanten Umweltschäden verursacht. Denn Technik und Methoden der Gasgewinnung wurden in den letzten Jahren deutlich weiterentwickelt." Dabei verweist die FDP auf einen Bericht der Expertenkommission an die Bundesregierung von 2021.
Experten: Methode hat sich weiterentwickelt
Aber ist die Fracking-Technologie heutzutage tatsächlich harmloser als noch vor einigen Jahren? Christoph Hilgers, Geologe und Professor für Strukturgeologie am Karlsruher Institut für Technologie (KIT), sagt: "Es gibt heutzutage umweltschonendere Möglichkeiten zu fracken als früher." So würden mittlerweile andere Chemikalien in Frack-Flüssigkeiten eingesetzt. Laut Hilgers besteht der größte Anteil der Fluide aus Wasser - nämlich zu mehr als 95 Prozent. Dazu kommen laut Hilgers etwa vier Prozent Stützmittel wie Sand oder Keramikkügelchen und etwa ein Prozent Chemikalien. Die Stützmittel halten die Risse gegen den Gebirgsdruck offen, sodass das Erdgas fließen kann.
Die neuen Frackfluide - etwa die von "Bio Enhanced Energy Recovery" (BEER) der Universität Leoben - bestünden etwa aus modifizierter Stärke aus der Lebensmittelindustrie und aus Kaliumkarbonat, also Düngemittel aus der Landwirtschaft, sagt Hilgers.
Das Umweltbundesamt (UBA) teilt auf Anfrage mit, die Veröffentlichung der Frack-Fluidmischung sei in Deutschland nicht verpflichtend - die Industrie gebe jedoch auf der Internetseite des BVEG Auskunft über die eingesetzten Chemikalien. Damit ist nachvollziehbar, welche Chemikalien bei früheren Fracks in Deutschland eingesetzt wurden - laut Geologe Hilgers handelte es sich dabei um "Stoffe, die in Haushaltsmitteln, zum Beispiel zum Waschen oder in der Wandfarbe, drin sind."
Fracking auf weniger Fläche?
Außerdem sei im Vergleich zu früher der Flächenverbrauch an der Oberfläche erheblich geringer geworden, sagen sowohl Möhring als auch Hilgers. Die Richtbohrtechnik - also die Art, wie man bohrt - habe sich weiterentwickelt.
Laut Möhring liegt das daran, dass mittlerweile Horizontalbohrungen über mehrere Kilometer vorgenommen würden. "Das ermöglicht sogenannte Clusterbohrplätze mit beispielsweise zwölf Bohrungen, die nur eine Fläche so groß wie zwei Fußballplätze einnehmen würden." Es werde demnach erwartet, dass etwa zwei solcher Clusterplätze - und damit rund 25 Bohrungen - eine Produktion von rund einer Milliarde Kubikmeter Gas pro Jahr ermöglichen können, so Möhring.
Messungen sind genauer als früher
Sowohl die Expertenkommission als auch KIT-Geologe Hilgers und BVEG-Geschäftsführer Möhring verweisen zudem auf verbesserte technische Möglichkeiten, Fracking zu überwachen.
Auf Anfrage führt die Expertenkommission aus, es gebe inzwischen hochsensible Messgeräte, mit denen man Fracking besser überwachen könne. Diese Messgeräte würden etwa zur Erfassung von Emissionen, der Wasserqualität oder zur Messung der mikroseismischen Aktivität eingesetzt - vor und während eines möglichen Fracks. So könnten auftretende Störfälle wie Erdschwingungen sofort erkannt werden, schreibt die Kommission.
Hilgers sagt, die angesprochene Mikroseismizität sei nicht spürbar - Seismizität dagegen schon. Die Expertenkommission geht laut Hilgers davon aus, dass keine Schwingungen der Erde bei möglichen Fracks zu spüren wären, wenn die Vorgaben der Kommission eingehalten würden.
Darüber hinaus könne eine Projektregion heutzutage über eine 3D-Seismik im Vorfeld strukturell sehr detailliert erkundet werden, heißt es in der Stellungnahme der Expertenkommission weiter. "So können Gebiete, in denen tiefgreifende Störungszonen, ausgehend von oberflächennahen und für die Trinkwassergewinnung bedeutsamen Gesteinsschichten bis in tiefliegende potenzielle Zielformationen, beispielsweise von vorneherein für die Erdgasgewinnung ausgeschlossen werden."
Welches Potenzial gibt es in Deutschland?
Der BVEG hat die Summe der geschätzten sicheren und wahrscheinlichen Erdgasreserven Deutschlands Ende 2021 mit 32,4 Milliarden Kubikmeter Erdgas angegeben. Diese genannten Reserven beziehen sich danach auf die bereits erbohrten konventionellen Erdgasmengen, die wirtschaftlich förderbar wären.
Außerdem gibt es noch die Zahl der Potenziale, die in Deutschland vermutet werden: Das Umweltbundesamt geht hier von einem technisch förderbaren Schiefergasvolumen zwischen 800 Milliarden Kubikmetern und 940 Milliarden Kubikmetern aus - abhängig davon, in welchen Tiefen gebohrt wird.
Eine Studie der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) ermittelte 2016 technisch förderbare Schiefergasressourcen von 320 bis 2030 Milliarden Kubikmetern Erdgas in 1000 bis 5000 Metern Tiefe. Da das Schiefergaspotenzial in Deutschland laut Hilgers kaum erkundet wurde, sei die Abschätzung allerdings mit Unsicherheiten behaftet.
Zum Vergleich: In den vergangenen 40 Jahren ist der Verbrauch in Deutschland laut BVEG auf circa 104 Milliarden Kubikmeter Erdgas in 2021 angestiegen. Im vergangenen Jahr ist der Verbrauch hierzulande danach auf ungefähr 89 Milliarden Kubikmeter Erdgas gesunken.
Zahlen in diesem Spannungsfeld bestätigt auch das UBA. Das UBA schreibt zu den Erdgasreserven in Deutschland: "Damit stehen zwar große Reserven zur Verfügung. Deren Erschließbarkeit in Geschwindigkeit und Menge ist jedoch nicht so schnell gegeben".
Weltweit haben unkonventionelle Lagerstätten - im Wesentlichen Bohrungen in Tongestein - laut KIT-Geologe Hilgers derzeit einen Anteil von etwa 25 Prozent an der globalen Erdgasproduktion. Die Weiterentwicklung des Frackings und des Horizontalbohrens führe dazu, dass die USA seit 2017 mehr Erdgas exportieren als importieren.
Verschmutzung des Trinkwassers befürchtet
Kritiker von Fracking, wie etwa der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), befürchten durch Fracking etwa eine Verschmutzung des Trinkwassers. Das UBA schreibt dazu: "Die größten Risiken für das Grundwasser durch Fracking gehen vom Umgang mit wassergefährdenden Stoffen an der Erdoberfläche aus."
Dabei verweist das UBA auf den Bericht der Expertenkommission aus dem Jahr 2021. Dieser Bericht zeigt laut UBA, dass ein Aufstieg von salinaren Formationswässern entlang von Störungs- und Schwächezonen in darüber liegende süßwasserführende Schichten nicht auszuschließen sei. Heißt: Das Grundwasser könnte mit einer Art Salzlauge verunreinigt werden.
Der Ansatz der Expertenkommission: eine engmaschige Überwachung. In dem Bericht heißt es entsprechend, ein Monitoring von Grundwasser und Oberflächengewässern wie Flüssen und Seen in allen Projektphasen solle dabei helfen, Auswirkungen und Risiken rechtzeitig zu erkennen und entsprechende Steuerungsmaßnahmen einzuleiten.
Hilgers ergänzt, bei jeglicher Tiefbohrung in Deutschland sei zum Trinkwasserschutz ein Multibarrierensystem vorgeschrieben. "Dies beinhaltet mehrere Horizonte undurchlässiger Barrieregesteine über der Lagerstätte sowie teleskopartig ineinander gesteckte und miteinander zementierte Stahlrohre bis zur Lagerstätte". Diese reichen laut Hilgers durch Trinkwasserhorizonte der oberen 200 Meter bis in die Kilometer tiefe Lagerstätte. Und: Sie machen Leckagen laut Hilgers unwahrscheinlich. In den USA gebe es solche Vorschriften nicht.
Erdbeben durch Fracking?
Ein weiteres Risiko sind laut BUND Erdbeben. Die staatliche Geologiebehörde der USA, die USGS, geht etwa davon aus, dass mehrere Beben in Oklahoma "sehr wahrscheinlich" mit der Öl- und Gasförderung dort zusammenhingen.
Auch KIT-Geologe Hilgers erklärt: Durch Injektion von Fluiden verursachte spürbare Erdbeben sind möglich. Das gelte in geringerem Umfang für das hydraulische Brechen und vor allem bei einer Reinjektion von Fluiden in den Untergrund.
In Bezug auf die Erdbeben in Oklahoma weist Hilgers auf die Unterschiede der gesetzlichen Grundlagen zwischen den USA und Deutschland hin: Während in Oklahoma Frack-Fluide und auch Industrieabfälle über sogenannte Versenkbohrungen in den Untergrund eingebracht werden, sind solche in Deutschland genehmigungspflichtig und unterliegen strengen Vorschriften.
Die Expertenkommission Fracking empfiehlt in ihrem Bericht eine seismologische Überwachung mit mess-, aber nicht spürbaren Grenzwerten der Bodenschwinggeschwindigkeiten und kommt zu dem Schluss: "Das Risiko, ein Erdbeben mit mehr als geringfügig schädigender Auswirkung durch Fracking zu induzieren, [wird] als äußerst gering eingeschätzt".
BUND: Keinen zusätzlichen Wasserverbraucher ansiedeln
Außerdem verweist der BUND auf den Wasserverbrauch beim Fracking. "Fracking-Anlagen verbrauchen sehr viel Wasser und würden die landwirtschaftliche Beregnung weiter einschränken." Gerade in Zeiten eines fortschreitenden Klimawandels sei es daher "unverantwortlich, mit der Fracking-Industrie einen neuen großen Wasserverbraucher anzusiedeln."
Auch das UBA sieht den hohen Wasserverbrauch kritisch. Dieser hänge vor allem von der Anzahl der Bohrungen ab. Das UBA geht von einem Wasserverbrauch zwischen 300 bis 600 Kubikmeter Wasser für einen Frack aus - und bezieht sich dabei auf Zahlen des BVEG.
Laut des Gutachtens "Monitoringkonzepte Grundwasser und Oberflächengewässer" im Auftrag der Expertenkommission Fracking könne der Wasserbedarf nach neueren Angaben bis zu 19.000 Kubikmeter je Bohrung betragen. Zum Vergleich: In ein Schwimmerbecken passen rund 2000 Kubikmeter Wasser.
Um den Wasserverbrauch zu reduzieren, muss der Fokus laut UBA auf der Aufbereitung und Wiederverwendung von Flowback und Lagerstättenwasser liegen - auch hierbei verweist das UBA auf die Expertenkommission. Das UBA schreibt außerdem, "ein hoher Wasserbedarf der Fracking-Technik" verschärfe die Problematik der Wasserverfügbarkeit bei Trockenheit und Dürre weiter.
"Bei zwei Millionen Kubikmetern Entnahme für ein kleinstädtisches Wasserwerk ist die Entnahme von beispielsweise 10.000 Kubikmetern Wasser aus dem Grund- und Flusswasser für das Fracken einer Bohrung kein Problem", sagt Hilgers. Solche Wasserentnahmen müssten vorher jedoch geprüft, genehmigt und überwacht werden.
Fracking hilft kurzfristig nicht
Angesichts der zu erwartenden mehrjährigen Dauer für die Erschließung von Lagerstätten wird Fracking in nicht-konventionellen Lagerstätten nach Angaben des UBA in den nächsten Jahren keinen Beitrag zur Versorgungssicherheit in Deutschland leisten können.
Mit den bereits geschlossenen Lieferverträgen und dem Aufbau der LNG-Terminals sowie sinkender Erdgasbedarfe wird auch ohne deutsches Fracking-Gas eine stabile Gasversorgung prognostiziert.
Nach Ansicht des UBA würde mit dem Einstieg in die Schiefergasförderung in Deutschland zudem "das falsche Signal für die Transformation der Energieversorgung gesendet".
Es bedarf keiner neuen fossilen Energiequellen, die nicht kompatibel mit unseren Klimaschutzverpflichtungen sind.
BMWK lehnt Fracking ebenfalls ab
Das BMWK lehnt Fracking auf Anfrage von tagesschau.de ebenfalls ab - und führt dabei die gleiche Begründung an wie das UBA. Zudem argumentiert das Ministerium, bereits wissenschaftliche Probebohrungen seien zeitlich aufwendig.
In welchem Zeitrahmen sich eine erste Gasgewinnung bei einer Aufhebung des Verbots bewegen könnte, wird auch in der Antwort der Expertenkommission klar. Darin heißt es, zunächst wären "bergrechtliche Verfahren durch die zuständigen Landesbehörden durchzuführen". Wie lange diese dauern, könne nicht pauschal beantwortet werden. Für die erforderlichen Prüf-, Beteiligungs- und Genehmigungsschritte sind laut der Expertenkommission allerdings mehrere Jahre anzusetzen.
Außerdem empfiehlt die Kommission ein Jahr an Vorerkundungen an Orten, an denen Fracks geplant sind - "um den Einfluss von Jahreszeiten insbesondere für die Methanemissionen und das Gewässerverhalten abschätzen zu können". UBA-Präsident Dirk Messner geht davon aus, dass es in Deutschland "mindestens fünf Jahre" dauern würde, bis die entsprechende Infrastruktur aufgebaut wäre.
"Fracking keine wissenschaftliche Frage"
Einigkeit gibt es bei allen Experten und Stellen besonders in einem Punkt: Ob in Deutschland Gas mithilfe der Fracking-Technologie gefördert werden sollte, ist eine gesellschaftspolitische Entscheidung. BVEG-Geschäftsführer Möhring schreibt dazu etwa:
Es gibt keine vollständig risikofreie industrielle Tätigkeit. Das gilt auch für die Bodenschatzsuche.
Ähnliche Formulierungen nutzen auch die Expertenkommission und KIT-Geologe Hilgers. Er erklärt: "Alles geht mit Umwelteingriffen einher. Da muss Gesellschaftspolitik entscheiden, ob sie zusätzlich mit geringerem ökologischen Fußabdruck auch heimische Ressourcen nutzen will oder nicht."
Damit geht Hilgers auf die Emissionen durch importiertes Flüssigerdgas (LNG) ein: Über sogenannte LNG-Terminals importiert Deutschland teils gefracktes Gas aus dem Ausland. Laut Hilgers stammt ein Großteil des Flüssigerdgases aus den USA aus gefrackten Schiefergasvorkommen.
Bei LNG entstehen sowohl bei der Verflüssigung als auch bei der Kompression des Gases während des Transportes Emissionen. Dazu kommen solche, die durch den Transport selbst entstehen. Hilgers erklärt dazu: "Die Verflüssigung, der Transport bei -160 Grad Celsius und die Regasifizierung benötigen etwa 20 Prozent der transportierten Energie, die durch Erdgas bereitgestellt wird." Entsprechend sei der CO2-Fußabdruck von LNG wesentlich höher als der von heimisch gefördertem Erdgas. Dabei falle der Großteil der notwendigen Energie beim Verflüssigen im Ausland an, führt Hilgers weiter aus. Er findet:
Für einen Klimaschutz sollten Vorkettenemissionen berücksichtigt und eine Gesamtbilanz aufgestellt werden. Der Export von Umweltschäden bringt dem Klima nichts - und den Menschen andernorts auch nicht.
Hilgers folgert, das Thema Fracking sei letztlich keine wissenschaftliche Frage, sondern eine gesellschaftspolitische.