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Europawahl 2024

Heuballen liegen auf einem Feld.
Europawahl

Agrarpolitik im EU-Wahlkampf Rolle rückwärts nach Protesten

Stand: 26.05.2024 10:16 Uhr

Nicht nur in Deutschland, in weiten Teilen Europas gab es Bauernproteste. Die EU-Reaktion darauf ist nun Thema im Wahlkampf. Und so haben die Wählerinnen und Wähler auch in der Agrarpolitik klare Alternativen.

Traktorenlärm und Sirenengeheul waren zu Jahresbeginn immer wieder die Begleitmusik von Treffen führender EU-Politikerinnen und -Politiker in Brüssel: Landmaschinen blockierten Straßen, Reifen und Heuballen brannten. Danach roch das Europaviertel tagelang nach Stall.  

In mehreren Mitgliedstaaten machten Landwirte mobil gegen sinkende Preise, Agrareinfuhren aus der Ukraine oder wegfallende Subventionen. Es wirkte: Die EU weichte die Regeln der gemeinsamen Agrarpolitik auf, die Klima und Lebensräume schützen sollten.

Vereinfachung oder Strukturproblem?

Nach Ansicht der Christdemokraten in Europa setzt Brüssel damit der überbordenden Bürokratie Grenzen. Sie sprechen von einer Vereinfachung, die aber keine Abschwächung der Umweltregeln darstelle. So lockert die EU Mindestanforderungen, die Betriebe erfüllen müssen, um Subventionen zu erhalten. Landwirte bleiben damit von der Pflicht befreit, einige Äcker für den Artenschutz brachliegen zu lassen.

Die Mitgliedsstaaten bekommen mehr Spielraum, um Regeln zur Bodenbedeckung und zum Fruchtwechsel anzuwenden. Die sollten eigentlich sicherstellen, dass landwirtschaftliche Nutzung die Böden nicht zu sehr auslaugt. Kleinere Betriebe müssen nicht mehr mit Kontrollen und Strafen rechnen.

Dabei sind nach Ansicht der Grünen nicht hohe Umweltauflagen das Problem, sondern niedrige Erlöse, die Landwirte für ihre Erzeugnisse bekommen. Lebensmittelindustrie und Einzelhandel könnten Bauern die Preise diktieren. Die Grünen machen dafür die Gemeinsame Agrarpolitik der EU mitverantwortlich und stellen deren Strukturen grundlegend in Frage.

Viel Geld im System

Die EU gibt ein Drittel ihres Budgets für Landwirtschaft aus, vor allem um Landwirte zu unterstützen. Es ist mit 55 Milliarden Euro pro Jahr einer der größten Einzelposten im Haushalt. In Deutschland machen die Fördergelder rund die Hälfte der bäuerlichen Einkommen aus.

Die Grundzüge der gemeinsamen Agrarpolitik legt die EU jeweils für einen Zeitraum von sieben Jahren fest. Auch für die laufende Periode bis 2027 gilt, dass die Förderung vor allem nach Fläche vergeben wird: Große Betriebe bekommen mehr.

Ein Teil der Direktzahlungen ist für die ökologische Landwirtschaft reserviert. Höfe bekommen entsprechende Gelder, wenn sie Blühflächen anlegen oder auf Pflanzenschutzmittel verzichten.

Nicht noch mehr Ärger

Kurz vor der Europawahl wollen es sich Brüssel und die Hauptstädte nicht weiter mit einer kleinen, aber lautstarken Berufsgruppe verscherzen. Der europäische Bauernverband Copa-Cogeca gilt als einflussreiche Lobbygruppe mit guten Drähten in die EU-Kommission.

Deren Präsidentin Ursula von der Leyen versprach Landwirtinnen und Landwirten im Spätsommer des vergangenen Jahres mehr Dialog und weniger Polarisierung. Im Februar zieht sie den Vorschlag zurück, den Einsatz von Ackergiften bis 2030 um die Hälfte zu senken, um das Artensterben zu stoppen.

Im Frühjahr nahm die EU Erleichterungen für ukrainische Agrarexporte teilweise zurück. Auf einige Güter werden ab einer bestimmten Einfuhrmenge wieder Zölle fällig, weil sich EU-Bauern über fallende Preise beschwert hatten.

Absetzen vom "Green Deal"

Um voranzukommen seien Gespräche und ein anderer Ansatz nötig, erklärt von der Leyen. Damit geht sie auf die christdemokratische EVP-Fraktion zu, deren Spitzenkandidatin sie ist. Die EVP distanziert sich nämlich seit Monaten von umstrittenen Umweltgesetzen, obwohl die zum "Green Deal" gehören - von der Leyens Plan, Europa nachhaltig umzubauen.

Dahinter steht die Sorge, dass Rechtspopulisten den Zorn der Bauern bei der Europawahl ausnutzen könnten. Fraktionschef Manfred Weber sieht die EVP als Bauernpartei und Vertreterin der ländlichen Räume in Europa.

Die politische Großwetterlage hat sich geändert in Europa: Und so rücke die Kommissionschefin und EVP-Spitzenkandidatin vom "Green Deal" ab und nehme mehr Rücksicht auf die Wirtschaft, sagt der Europa-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik, Nicolai von Ondarza.

Das könne man klimapolitisch kritisieren. Es zeige aber, dass die EU demokratisch sensibler werde, weil sie auf Proteste einer bestimmten Bevölkerungsgruppe reagiert. Auf jeden Fall haben Wählerinnen und Wähler mit Blick auf die Agrarpolitik bei der Europawahl klare Alternativen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 22. Mai 2024 um 18:24 Uhr.