Ein durch mehrfachen russischen Beschuss schwer beschädigtes Gebäude steht in der Nähe einer Frontlinie in Charkiw.

Ukraine-Krieg Explosionen im besetzten Cherson

Stand: 28.04.2022 07:59 Uhr

In der besetzten Stadt Cherson im Süden der Ukraine hat es in der Nacht mehrere Explosionen gegeben. Bei neuen Bombenangriffen in Charkiw wurden drei Menschen getötet. In der Region Luhansk konnten die russischen Truppen offenbar mehrere Dörfer erobern.

Russische Truppen haben ihre Angriffe im Süden und Osten der Ukraine fortgesetzt und dabei in der Donbass-Region offenbar Geländegewinne erzielt. Die Angreifer hätten dank nahezu ständigem Beschuss kleinere Fortschritte in Richtung Rubischne erzielt, sagte der ukrainische Gouverneur der Region Luhansk, Serhij Haidai.

Ukrainische Truppen wehrten sich und zögen sich nur zurück, wenn es nichts mehr zu verteidigen gebe, weil alles zerbombt sei. Vertreter westlicher Regierungen erklärten unter Berufung auf Geheimdienstinformationen, russische Truppen kämen langsam voran und hätten einige Dörfer und Kleinstädte südlich von Isjum und im Umfeld von Rubischne erobert.

Konfliktparteien als Quelle

Angaben zu Kriegsverlauf, Beschuss und Opfern durch offizielle Stellen der russischen und der ukrainischen Konfliktparteien können in der aktuellen Lage nicht unmittelbar von unabhängiger Stelle überprüft werden.

Cherson: Explosionen nahe Fernsehturm

Aus Cherson berichteten ukrainische Medien von mehrere Explosionen. Demnach hätten sich die Detonationen unweit des Fernsehzentrums ereignet. Danach sei ein Feuer ausgebrochen. Die staatliche russische Nachrichtenagentur Ria Nowosti meldete, Raketen seien auf die durch Russland besetzte südukrainische Stadt Cherson abgefeuert worden, die aus der Richtung gekommen seien, in der sich die ukrainischen Soldaten im Nordwesten befänden.

Die ukrainische Online-Zeitung "Ukrajinska Prawda" berichtete, durch die Raketenangriffe sei der Betrieb russischer Fernsehsender unterbrochen worden. Ria Nowosti zufolge wurde die Ausstrahlung des Programms später wieder aufgenommen. Demnach berichten russische Sender seit vergangener Woche aus Cherson. Die russischen Truppen wollen ihre Kontrolle über die Region ausbauen. Die Angaben können nicht unabhängig geprüft werden.

Mindestens drei Menschen sterben nach russischen Angriffen in Charkiw

Jens Eberl, WDR, tagesschau 09:00 Uhr

Gewaltsame Auflösung von Demonstrationen

Bewohner protestieren auf den Straßen weiter gegen die Belagerung. Nach ukrainischen Angaben lösten Soldaten in Cherson eine Demonstration gewaltsam auf. Wie die ukrainischen Streitkräfte gestern mitteilten, setzten die "Besatzer Tränengasgranaten gegen ukrainische Demonstranten ein". Mehrere der Protestteilnehmer wurden demnach "verletzt und festgenommen".

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj würdigt die Proteste. "Ich bin allen dankbar, die nicht aufgegeben haben, die protestieren, die die Besatzer ignorieren und den wenigen Menschen, die zu Kollaborateuren geworden sind, zeigen, dass es für sie keine Zukunft gibt", sagte Selenskyj in seiner regelmäßigen Videobotschaft.

Slawjansk, Kramatorsk und Mariupol

Bei neuen Bombenangriffen in der Region Charkiw wurden ukrainischen Angaben zufolge mindestens drei Menschen getötet und sechs verletzt, darunter ein 14 Jahre altes Kind. Die örtliche Verwaltung machte Russland für die zivilen Opfer verantwortlich.

In der Nähe von Odessa schoss die Luftabwehr eine russische Spionagedrohne ab, berichtete die ukrainische Armee. Laut dem ukrainischen Präsidentenberater Oleksij Arestowitsch "konzentrieren sich die Bemühungen der russischen Invasoren auf Slawjansk, Kramatorsk und Mariupol".

In der eingekesselten Hafenstadt Mariupol "bombardiert der Feind massiv", teilte das ukrainische Verteidigungsministerium mit. Der Kommandeur der 36. ukrainischen Marinebrigade in Mariupol, Sergej Wolyna, rief erneut per Telegram um Hilfe und wies darauf hin, dass er 600 verwundete Soldaten und Hunderte Zivilisten bei sich in den belagerten Industrieanlagen von Asowstahl habe.

Weiß schraffiert: Vormarsch der russischen Armee. Grün schraffiert: von Russland unterstützte Separatistengebiete. Krim: von Russland annektiert.

Weiß schraffiert: Vormarsch der russischen Armee. Grün schraffiert: von Russland unterstützte Separatistengebiete. Krim: von Russland annektiert.

Kiew beobachtet Lage in Transnistrien aufmerksam

Nach Berichten über Explosionen in Transnistrien beobachtet die ukrainische Regierung die Lage in dem prorussischen Separatistengebiet in Moldau aufmerksam. "Wir haben Transnistrien immer als Brückenkopf betrachtet, von dem gewisse Risiken für uns ausgehen können", sagte Präsidentenberater Mychajlo Podoljak nach Angaben der Agentur Unian gestern Abend in Kiew. Die ukrainische Führung sei sich der von Transnistrien ausgehenden Gefahren bewusst, weshalb in den ukrainischen Regionen Odessa und Winnyzja "unter dem Gesichtspunkt der Verteidigung alles gut durchdacht" sei.

Podoljak schätzte die Zahl der von Russland kommandierten Soldaten in Transnistrien auf 1500 bis 2000. "Von ihnen sind 500 bis 600 Russen und der Rest Einheimische." Die jüngsten Explosionen bezeichnete der Präsidentenberater als Versuch der Provokation.

Selenskyj wirft Russland "Erpressung" vor

In seiner Videobotschaft kritisierte Selenskyj den russischen Lieferstopp für Gas an Polen und Bulgarien zudem scharf. "In dieser Woche hat die russische Führung eine neue Serie von Energieerpressungen gegenüber den Europäern begonnen", sagte Selenskyj gestern Abend in einer Videobotschaft.

Der Lieferstopp sei "ein weiteres Argument dafür, dass niemand in Europa auf eine normale wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Russland hoffen" könne. "Russland betrachtet nicht nur Gas, sondern auch jeden anderen Handel als Waffe." Dafür warte Moskau nur auf einen günstigen Moment. "Entweder um die Europäer damit politisch zu erpressen. Oder um die russische Kriegsmaschinerie zu stärken, die ein geeintes Europa als Ziel ansieht", meinte Selenskyj. Je früher Europa erkenne, dass es im Handel nicht von Russland abhängig sein könne, desto eher werde die Stabilität der europäischen Märkte gewährleistet sein.

Russland kritisiert USA für Weitergabe von Hubschraubern

Russland hat gegen die Weitergabe von Hubschraubern aus russischer Produktion an die Ukraine durch die USA protestiert. Der Vertrag von 2011 lege fest, dass die Hubschrauber für Afghanistan vorgesehen seien und nur mit russischer Zustimmung an andere Länder weitergegeben werden dürften, teilte die für militärtechnische Zusammenarbeit zuständige russische Behörde FSWTS der Agentur Interfax zufolge mit. Eine Belieferung der Ukraine sei rechtswidrig und eine grobe Vertragsverletzung.

Vor Beginn des russischen Angriffskriegs Ende Februar hatten die USA der Ukraine bereits fünf der ursprünglich für Afghanistan bestimmten Hubschrauber vom Typ Mi-17 überlassen. Mitte April kündigte Washington schließlich an, Kiew elf weitere Hubschrauber zu schicken. Die USA hatten die Maschinen russischer Bauart zunächst für die afghanischen Streitkräfte angeschafft, es kam jedoch wegen der Machtübernahme durch die Taliban nicht zu einer Übergabe.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 28. April 2022 um 04:00 Uhr.