Ein Anwohner steht vor einem Wohnhaus, das durch einen russischen Militärschlag in der Stadt Stepnohirsk beschädigt wurde.
Reportage

Humanitäre Hilfe in der Ukraine Die wichtigen Freiwilligen im Krieg

Stand: 25.02.2023 15:17 Uhr

Etliche Freiwillige sind im Einsatz, um in der Ukraine zu helfen. Sie fahren auch nah an die Front, um ukrainische Soldaten unter anderem mit Hilfsmaterial zu versorgen.

Von Rebecca Barth, WDR

Ein Dorf in der Region Saporischschja, Südostukraine. In völliger Dunkelheit laden Ulrich Waldmann und sein Team die letzten Hilfsgüter aus ihrem Auto mit grünem Camouflage-Muster. Die Farbe soll die Gruppe bei ihrer Arbeit an der Front schützen. Zum Militär hatte der Deutsche aus Ahaus bei Münster bis vor einem Jahr keinen Kontakt. Er lebte damals mit seiner Frau in Charkiw in der Ostukraine, erlebte den Beschuss der Stadt und entschloss sich zu helfen.

Heute begrüßen ihn die ukrainischen Militärsanitäter nahe der Front mit Umarmungen, Handschlag und strahlenden Gesichtern. Waldmann ist einer von Zehntausenden freiwilligen Helfern, die die ukrainische Armee mit verschiedensten Gütern versorgen. In diesem Fall sind das vor allem sogenannte IFAKs - ein kleines Erste-Hilfe-Set, das jeder Soldat bei sich trägt: "Wir haben jetzt hier mehr als 20 mitgebracht. Wir haben schon zahlreiche, also mehr als 70 zu verschiedenen anderen Einheiten hier überall an der Südfront in der Ukraine abgeliefert. Und jetzt geben wir sozusagen noch den Rest, der als Hilfsgüter verblieben ist."

Viele wollen in der Ukraine helfen

Laut einer Untersuchung einer britischen Analysegruppe zu humanitärer Hilfe haben Zivilisten aus aller Welt allein in den ersten Monaten seit Beginn der russischen Invasion 1700 nicht-staatliche Organisationen gegründet, um der Ukraine im Krieg zu helfen. Vermutlich sind es mittlerweile sogar noch mehr. Sie evakuieren Zivilisten, bauen zerstörte Siedlungen wieder auf, beschaffen Drohnen oder versorgen die Truppen mit Lebensmitteln - viele Hilfsinitiativen in der Ukraine haben sich spezialisiert. Über Online-Aufrufe generieren sie Spenden.

Das ist auch für Ulrich Waldmann wichtig. Er wirft einen Blick auf die Taschen, die die Männer aus dem Auto gehievt und vor den Militärsanitätern ausgebreitet haben: "Ich würde sagen, das sind knapp 2000 oder 3000 Euro, die wir gerade überreicht haben, hier insbesondere, weil die einfach zu teuer sind. Ein einzelnes IFAK alleine kostet 80 Euro. Und wenn man das dann mal 25 nimmt plus Generator, plus Schlafsäcke, plus die Medizin, die wir gerade zusätzlich noch überreicht haben - da sind wir schon weit über 2000 Euro hinweg".

Sanitäter in der Ukraine: "Notwendige Dinge für uns an der Front"

Um das zu finanzieren, kooperieren Waldmann und sein Team aus Ausländern und Ukrainern mit mehreren kleinen Stiftungen. Oft erhalte er von den Einheiten der Armee konkrete Informationen darüber, was benötigt werde, sagt er. Und so liefert er nicht nur Verbandsmaterial und Erste-Hilfe-Sets, sondern neben Schlafsäcken und Generatoren auch Decken, Essen, Wasserfilter oder Taschenlampen. Im dem kleinen Dorf in Saporischschja strahlt Jan, ein Sanitäter der ukrainischen Armee, über das ganze Gesicht. Man könne alle Hilfsgüter dringend gebrauchen, sagt er: "Das ist sehr wichtig, das sind absolut notwendige Dinge für uns an der Front. Sie sehen ja, was hier los ist. Jegliche Hilfe für unsere Soldaten ist ein wichtiger Bestandteil. 80 Prozent, vielleicht sogar 100 Prozent unserer Autos kommen allein von Freiwilligen."

Manche Initiativen sind zu großen Organisationen geworden

Die Bewegung der sogenannten Wolontery – der Freiwilligen – ist nicht neu. Als der Krieg 2014 in der Ostukraine begann, lagen Staat und Armee am Boden. Die Ukraine war zwar nicht verteidigungsfähig, leistete aber schon damals erbitterten Widerstand. Seitdem nähen alte Frauen Tarnnetze, Ingenieure basteln Drohnen, ehemalige Eventmanager produzieren schusssichere Westen und Schauspieler nutzen ihre Berühmtheit, um Spenden für die Armee zu sammeln. Manche Initiativen sind über die Jahre zu großen Organisationen geworden. Eine von ihnen ist die Stiftung Powernys Schywym, (übersetzt: komm lebend zurück) – die seit 2014 versucht, so vielen Soldaten wie möglich das Leben zu retten.

Seit Beginn der russischen Großinvasion ist sie noch einmal gewachsen, erklärt Ivan Naumenko in seinem Büro in Kyjiw: "Wir sind keine Freiwilligen, sondern haben professionelle Mitarbeiter. Am 23. Februar hatten wir 27 Vollzeitbeschäftigte. Jetzt sind es zwischen 60 und 70. Ich kenne die genaue Zahl nicht, aber alle, die im Februar und März zu uns kamen, waren Freiwillige und wurden dann zu Vollzeitmitarbeitern.

Umgerechnet über 120 Millionen Euro Spendengelder habe die Stiftung im vergangenen Jahr generiert, sagt Naumenko. Hunderte Nachtsichtgeräte und Wärmebildkameras konnten davon gekauft werden. Aber nicht nur das, mittlerweile habe man sogar eine Lizenz erhalten, um militärische Güter zu kaufen und zu importieren. Unter anderem habe man der ukrainischen Armee so drei türkische Bayraktar Drohnen und elf gepanzerte Fahrzeuge besorgen können. "Das ist nichts, was der Staat nicht tun kann", sagt Naumenko. "Es ist nur ein viel längerer Prozess, wegen verschiedener finanzieller und bürokratischer Einschränkungen. Faktisch spielen sowohl der Staat als auch verschiedenen ehrenamtlichen Initiativen im gleichen Team. Aber es gibt eine große finanzielle Lücke, die man kaum decken kann."

Material im großen Stil

Die Stiftung beschafft Material in großem Stil. Die Kontakte zum Militär sind mittlerweile so eng, dass ein Mitglied der Stiftung nach neuesten Berichten sogar einen offiziellen Posten im Verteidigungsministerium übernehmen soll. Davon sind Ulrich Waldmann und sein Team weit entfernt. Aber das ist auch nicht ihr Ziel. Er sei stolz darauf, ein freiwilliger Helfer zu sein. Gehalt erhalte er nicht, nur eine Aufwandsentschädigung, die zum Überleben reicht.

Aber auch er verfügt nach einem Jahr Krieg über gute Kontakte zum ukrainischen Militär: "Die Kontakte lotsen uns dann in der Regel zu den Einheiten selbst. Wir fahren dann raus, müssen relativ nah an die Frontlinien", sagte er. "Manchmal sind es 40 Kilometer, manchmal zehn Kilometer und treffen dann die entsprechenden Einheiten sozusagen vor Ort an den Hospitälern, Hospitälern oder halt auch direkt bei den militärischen Einheiten und übergeben das dann vor Ort, um einfach sicherzustellen, dass es da ankommt, wo es benötigt wird."

Viele Fahrten an die Front - persönliche Schicksale

Wie viele solcher Fahrten er schon an die Front gemacht hat, weiß Waldmann selbst nicht mehr. Aber jede Reise zu den Soldaten sei wie nach Hause kommen, sagt er. Über die Monate habe er enge persönliche Bindungen zu den Männern und Frauen der Armee aufgebaut. Ihre individuellen Schicksale berühren ihn. Um ihnen zu helfen, ist er fast Tag und Nacht im Einsatz.

Doch es sei vielmehr die zögerliche Politik des Westens, die ihn müde macht. "Dass endlich der Beschluss gefasst wurde, zum Beispiel, dass Panzer in die Ukraine geschickt werden, nach einem Jahr Tod und Leiden hier. Und es wird wieder dauern, bis diese Hilfe tatsächlich umgesetzt wird. Ich denke nicht, dass wir vor März in der Ukraine die ersten Panzer rollen sehen werden und in dieser Zeit werden wieder Zivilisten sterben. Unsere Soldaten in der Ukraine bluten weiter und sterben. Einfach aus dem Grund, dass die Hilfe nicht rechtzeitig ankommt. Und ja, vielleicht macht mich das müde."

Rebecca Barth, ARD Kiew, 24.02.2023 11:24 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 25. Februar 2023 um 07:40 Uhr.