Explosion im syrischen Qamischli

Türkischer Militäreinsatz Profitiert der IS von der Offensive?

Stand: 12.10.2019 21:05 Uhr

Kurdische Milizen halten Tausende IS-Kämpfer im Nordosten Syriens gefangen. Wegen der türkischen Offensive müsse man sich nun aber auf die Verteidigung konzentrieren. Der IS scheint das auszunutzen.

Der Vormarsch türkischer Truppen setzt die Syrischen Demokratischen Kräfte, kurz SDF, unter immer größeren Druck. Die SDF, die von der kurdischen YPG geführt werden, ist eine multiethnische und multikonfessionelle Allianz, die ein Drittel Syriens kontrolliert.

Derzeit halten die SDF etwa 6000 IS-Kämpfer aus Syrien, dem Irak und 55 anderen Ländern gefangen, so die Autonomieverwaltung von Nordost-Syrien. Dazu kommen mehrere zehntausend Familienangehörige dieser Kämpfer und weitere Anhänger des IS. Dem irakisch-kurdischen Fernsehsender "Rudaw" sagte der Sprecher der SDF, Mustafa Bali, die IS-Kämpfer und ihre Angehörigen seien nicht länger die Verantwortung der SDF.

IS scheint Situation ausnutzen

Wegen der türkischen Offensive stehe man einem "genozidalen Angriff" gegenüber. Deshalb sei es für die SDF "die erste Pflicht, das Volk, die Grenzen und das Land" zu verteidigen. Darauf konzentriere man sich nun, so Bali.

Bereits jetzt scheinen Schläferzellen des IS das Kriegschaos auszunutzen. So explodierte am Freitag in der Stadt Qamishli eine Autobombe, mindestens drei Menschen kamen ums Leben. Der IS übernahm die Verantwortung. Am Samstag ging in Hassaka eine weitere Autobombe hoch, vor der zentralen Haftanstalt der Stadt, in der IS-Extremisten einsitzen. Laut der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte schickten die SDF Verstärkung, um die IS-Häftlinge am Ausbruch zu hindern. Tote oder Verletzte gab es offenbar nicht.

Erst im September hatte der Anführer des IS, Abu Bakr al-Baghdadi, seine Anhänger dazu aufgerufen, die gefangenen IS-Kämpfer und ihre Familien gewaltsam aus der Haft im Irak und in Syrien zu befreien.

IS-Kämpfer brechen aus beschädigtem Gefängnis aus

Wie groß die Gefahr von Ausbruchsversuchen ist, zeigte sich in Qamishli. Dort nutzten fünf inhaftierte IS-Kämpfer die unübersichtliche Lage, nachdem ein türkisches Geschoss das Gefängnis Jerkin beschädigt hatte, und entkamen. Besonders besorgniserregend ist die Situation im Lager al Hol, einem völlig überfüllten Camp, in dem die SDF derzeit mehr als 70.000 Ehefrauen, Witwen und Kinder von IS-Kämpfern gefangen halten. Al Hol liegt außerhalb der sogenannten Sicherheitszone, die die Türkei in Nordsyrien einrichten will.

Frauen stellen sich für Hilfsgüter im Lager al Hol an. (Archivbild März 2019)

Frauen stellen sich für Hilfsgüter im Lager al Hol an. (Archivbild März 2019)

Nach Angaben eines SDF-Sprechers versuchten am Freitag mehrere Hundert Frauen, aus al Hol herauszukommen. Sie steckten Zelte in Brand und gingen mit Steinen und Stöcken auf ihre Bewacher los, offenbar in einer geplanten, koordinierten Aktion. Bereits vor Beginn der türkischen Offensive hatten die SDF wachsende Probleme, Al-Hol unter Kontrolle zu halten. Ein Vertreter der Autonomieverwaltung von Nordost-Syrien sagte, während der vergangenen 30 Tage habe man nicht weniger als 274 Ausbruchsversuche dort gezählt.

Carsten Kühntopp, Carsten Kühntopp, SWR, 12.10.2019 20:32 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 12. Oktober 2019 um 18:25 Uhr.