Reaktion auf Türkei-Bericht der EU "Unfair", "exzessiv", "inakzeptabel"

Stand: 10.11.2015 20:28 Uhr

Die EU-Kommission zeichnet in ihrem Fortschrittsberich ein düsteres Bild der Lage in der Türkei. Für die Flüchtlingspolitik ist das heikel. Kann es trotz der Kritik eine Kooperation geben? Die Regierung in Ankara reagiert mit deutlichen Worten auf die Schelte.

Die türkische Regierung hat mit Empörung auf den heute vorgestellten Türkei-Bericht der EU-Kommission reagiert. Das zuständige Ministerium bezeichnete "einige der Kommentare" zu den Themen Rechtsstaatlichkeit sowie Meinungs- und Pressefreiheit in einer Stellungnahme als "unfair und exzessiv". Kritik der EU an der Amtsausübung von Staatspräsident Erdogan wurde als "inakzeptabel" zurückgewiesen. "Objektive und angemessene Kritik" werde jedoch sorgfältig beachtet, hieß es aus dem EU-Ministerium in Ankara.

In dem Türkei-Bericht übt die EU-Kommission scharfe Kritik an der Politik des islamisch-konservativen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan. Dem Land werden Rückschritte bei Meinungs- und Versammlungsfreiheit vorgeworfen. Zudem beklagt die Brüsseler EU-Kommission Mängel im Justizsystem. Sowohl Richter als auch Staatsanwälte hätten zuletzt unter starkem politischem Druck gestanden. Weitere Vorwürfe lauten Korruption, eine fehlende Datenschutzgesetzgebung und mangelhafte Internetgesetzgebung.

EU hält an Zusammenarbeit mit Türkei fest

Trotz der offensichtlichen Menschenrechtsverstöße und mangelnden Rechtsstaatlichkeit will Brüssel die Zusammenarbeit mit dem EU-Beitrittskandidaten aber ausweiten. Auch die Kooperation mit sechs in die EU strebenden Westbalkan-Staaten soll verstärkt werden.

"Die derzeitige Flüchtlingskrise zeigt, welche Bedeutung einer engen Zusammenarbeit zwischen der EU und den Ländern in Südosteuropa zukommt", erklärte der zuständige EU-Kommissar Johannes Hahn zur Veröffentlichung der sogenannten Fortschrittsberichte zur Lage in Ländern, die sich um eine EU-Mitgliedschaft bemühen. Der Erweiterungsprozess sei zudem ein äußerst wirksames Instrument zur Stärkung der Rechtsstaatlichkeit und der Menschenrechte in diesen Ländern.

Der EU war zuletzt vorgehalten worden, über diese Probleme hinwegzusehen, um in der Flüchtlingskrise besser mit der Türkei zusammenarbeiten zu können. So soll die Kommission den heiklen Bericht bewusst bis nach der Wahl in der Türkei zurückgehalten haben. In Brüssel soll es die Befürchtung gegeben haben, dass der Bericht die Wahlen für die islamisch-konservative Regierungspartei AKP unter Staatspräsident Erdogan negativ beeinflussen könnte - und damit auch die Verhandlungen über eine bessere Zusammenarbeit der EU mit der Türkei in der Flüchtlingskrise.

EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn

EU-Erweiterungskommissar Hahn stellte den Bericht vor.

Zurückhalten des Berichts "war Absicht"

"Dass die Kommission ihren kritischen Bericht verzögert hat, war Absicht, das hat Präsident Erdogan geholfen. Die Kommission verhält sich unehrlich, trifft Absprachen mit der türkischen Regierung hinter verschlossenen Türen", schimpfte Takis Hadjigeorgoiu, EU-Abgeordneter der progressiven Arbeiterpartei aus Zypern. Erst sei gesagt worden, es gebe keine Chance auf Beitrittsverhandlungen mit der EU, nun gebe es sie doch.

Er habe gesehen wie bewaffnete Truppen vor türkischen Wahllokalen patroullierten, mit Freiheit habe das nichts zu tun, berichtete Hadjigeorgoiu. Von so einem Partner müsse man sich distanzieren und nicht noch enger kooperieren.

B. Meier, HR Brüssel, 10.11.2015 19:24 Uhr

"Türkei entfernt sich von der EU"

Auch EU-Grünen-Abgeordnete Rebecca Harms ist skeptisch: "Es muss auch diskutiert werden, ob das, was jetzt passiert, in erster Linie mit der Flüchtlingskrise zu tun hat, oder ob es eine wirkliche Rückkehr zum Prozess der Verhandlungen mit der Türkei gibt."

Auch CSU-Europapabgeordenter Markus Ferber rät zur Vorsicht im Umgang mit der Türkei. "Insofern hoffe ich, dass alle, die eine Vollmitgliedschaft der Türkei befürworten, endlich zur Kenntnis nehmen, dass sich diese Türkei nicht auf die Europäische Union zu bewegt, sondern sich von ihr entfernt."

Mit Material von Bettina Meier, HR-Hörfunkstudio Brüssel