Zeitungen liegen auf einem Tisch (Archivbild)

Pressestimmen zu Prigoschin "Wagner-Kämpfer bleiben eine gefährliche Kraft"

Stand: 24.08.2023 12:35 Uhr

Der mögliche Tod Prigoschins hat ein breites internationales Medienecho ausgelöst. An einen "tragischen Zufall" glaubt die NZZ nicht - viele Zeitungen beschäftigen sich mit den Folgen für Russland und das System Putin.

"NZZ": Kaum jemand glaubt an einen tragischen Zufall

Die Schweizer "Neue Zürcher Zeitung" schreibt zu den Berichten über den Tod des russischen Söldner-Chefs Jewgeni Prigoschin: Kaum jemand wird an einen tragischen Zufall glauben wollen. Vor genau zwei Monaten, am Abend des 23. Juni, hatte der kahlköpfige 62-Jährige auf beispiellose Weise Putin den Fehdehandschuh hingeworfen und den "Marsch für Gerechtigkeit" nach Rostow am Don und weiter nach Moskau angekündigt. [...] Dass Prigoschin den "Hochverrat" längerfristig überleben würde, war aber seit jenen Tagen wenig wahrscheinlich. Nur über die Art des "plötzlichen Todes" wurde in den vergangenen Wochen eifrig spekuliert. [...]

Das vermeintliche Exil in Weißrussland nach dem gescheiterten Aufstand wirkte von Anfang an unglaubwürdig. Die Rückkehr nach Afrika, die Prigoschin noch in einem am Montag verbreiteten Video unter Beweis zu stellen versuchte, war nur ein Abgesang. Bereits hieß es, die dem Verteidigungsministerium angehängte Militärfirma Redut werbe Wagner-Angehörige ab und übernehme die Operationen in Afrika. Mit Prigoschin soll auch Dmitri Utkin, Kampfname "Wagner", beim Absturz umgekommen sein. Das Kapitel Wagner scheint damit zumindest auf der praktischen Ebene beendet.

"Gazeta Wyborcza": Wagner-Kämpfer bleiben gefährlich

Die polnische Tageszeitung "Gazeta Wyborcza" warnt hingegen: Der Tod dieses Menschen, zumal wenn die Nation ihn als fiktiv anerkennt, ist in der heutigen Situation von großem Nutzen. Er wird die Verwirrung in Russland nur noch vergrößern. Nach dem, was mit "Putins Koch" geschehen ist, werden sich nun auch alle anderen bedroht fühlen.

Prigoschin nahe stehende Medien verkünden, dass die Wagner-Gruppe nun "einen speziellen Mechanismus aktivieren wird, der für den Fall seines Todes vorbereitet wurde". Worin dieser bestehen soll, erklären sie nicht. Es ist jedoch kaum zu erwarten, dass die Wagner-Kämpfer, die in ganz Russland, Belarus und Afrika verbreitet sind, spontan gegen die Ermordung ihres Chefs protestieren werden.

Dennoch bleiben sie eine gefährliche Kraft. Von der Front entlassen, von Verwundungen geheilt, nach Ablauf ihres Vertrages aus dem Dienst entlassen, sind sie überall in Russland zu finden. Sie haben Waffen und können hervorragend damit umgehen. Sollte es, wie man im Kreml befürchtet, zu einer weiteren Rebellion kommen, könnten sie zu einer mächtigen Kraft werden. Und einen "falschen Prigoschin" oder "falschen Wagner" an ihre Spitze zu setzen, der aus den Tiefen des Internets operiert, wäre in einer solchen Situation leicht möglich.

"de Volkskrant": In Russlands Armee werden "Säuberungen" erwartet

In der niederländischen Zeitung "de Volkskrant" heißt es: Ob Prigoschin wirklich Opfer eines Anschlags wurde, ist noch unklar. Fest steht allerdings, dass der Chef der Söldnertruppe Wagner viele Feinde hat. Nicht allein in der Ukraine, auch in der russischen Führung. [...] Wenn Prigoschin tatsächlich umgekommen ist, dann ist das eine gute Nachricht für die Ukraine, aber auch für die russische Armeeführung, die zähneknirschend mit ansehen musste, wie der umstrittene Chef der Wagner-Truppe von russischen Militärbloggern bejubelt wurde.

Nun wird erwartet, dass (Verteidigungsminister) Sergej Schoigu und (Generalstabschef) Waleri Gerassimow diese Gelegenheit nutzen, um die Streitkräfte von Anhängern Prigoschins säubern. Es ist auffallend, dass der Chef der russischen Luft- und Raumfahrttruppen, General Sergej Surowikin, mit dem der Wagner-Chef enge Beziehungen unterhielt, am Dienstag entlassen wurde.

"The Telegraph": Streit in Russlands Militär wird weitergehen

Die britische Zeitung "The Telegraph" merkt an: Meldungen über den Abschuss eines Flugzeugs, das angeblich den Wagner-Führer Jewgeni Prigoschin an Bord hatte, sind eine weitere außergewöhnliche Wendung in der neueren russischen Geschichte. Sie zeugen zudem von der totalen Dysfunktion des Staates nach Putins desaströsem Einmarsch in der Ukraine. In welchem anderen europäischen Land, das nicht im Einflussbereich des Kremls liegt, leben die wichtigsten politischen oder militärischen Führer in Angst vor solchen Ereignissen? Doch in Russland ist das Außergewöhnliche fast schon zur Normalität geworden. [...]

Auf jeden Fall wird dieser Absturz nicht das Ende der innerrussischen militärischen Auseinandersetzungen sein. Es gibt nach wie vor eine große Zahl ausgebildeter und aktiver Wagner-Kämpfer, die durch Gefechte in der Ukraine oder Plünderungen in Afrika kampferprobt und mit der Führung ihres Landes in hohem Maße unzufrieden sind. In der Tat fanden einige junge Russen Prigoschins Botschaft überzeugend, da sie der Meinung sind, dass Putin einen Krieg begonnen hat, der nicht ordentlich geführt wurde. Dies wird ein umso größeres Problem werden, je länger sich diese "militärische Spezialoperation" hinzieht.

"WSJ": Putin wird jeden töten, der sich in den Weg stellt

Die US-Zeitung "Wall Street Journal" schreibt: Dies ist kein Zufall, Genosse, wie die Sowjets zu sagen pflegten. [...] Wenn es sich bei Prigoschins Tod um ein Attentat handelte, war dies als Botschaft an andere potenzielle Putschisten gedacht. [...] Prigoschins Tod offenbart die brutale Politik, die Russland jetzt beherrscht.

Zu viele im Westen, darunter auch die US-amerikanische Linke und Rechte, glauben, dass Putin durch Bloßstellung oder Beschwichtigung dazu gebracht werden kann, von seinen Ambitionen zur Wiederherstellung eines großrussischen Imperiums abzusehen. Das unterschätzt seine ihn antreibende Ideologie und Rücksichtslosigkeit. Er wird jeden töten, der sich ihm zu Hause in den Weg stellt, und er wird das Gleiche auch im Ausland tun - in der Ukraine, in Polen, oder anderswo, wenn er glaubt, damit durchzukommen.