
Mammutprozess in Italien 355 Mafiosi auf der Anklagebank
Stand: 13.01.2021 18:26 Uhr
Die 'Ndrangheta steuert den Kokainhandel, besticht Politiker und gilt als extrem brutal. Mit mehr als 300 Angeklagten hat nun in Lamezia ein Mammutprozess gegen die Mafia-Organisation begonnen.
Von Jörg Seisselberg, ARD-Studio Rom
Zum Auftakt des Prozesses ging es zunächst um Formalitäten. Unter anderem wurden die 355 Angeklagten einzeln aufgerufen, um ihre Anwesenheit zu kontrollieren. Dies zog sich über Stunden. Einige Anwälte machten geltend, dass Prozessdokumente bei ihren Mandanten nicht rechtzeitig angekommen seien.
Doch trotz des zähen Beginns gibt sich der verantwortliche Staatsanwalt Nicola Gratteri optimistisch. Die 'Ndrangheta, sagte er beim Hineingehen in den Gerichtssaal, werde für ihre Verbrechen jetzt zur Rechenschaft gezogen. "Dies ist ein wichtiger Prozess. Es ist ein Eckstein in der Bekämpfung der Mafia in Italien", hatte er zuvor betont.
Einnahmen von rund 50 Milliarden Euro pro Jahr
Die 'Ndrangheta gilt als die derzeit gefährlichste und mächtigste italienische Mafiaorganisation. Mit ihren kriminellen Geschäften nimmt sie nach Schätzungen der Ermittler jährlich rund 50 Milliarden Euro ein - das ist so viel wie die Jahresbilanz von Deutscher Bank und McDonalds zusammen. Ihr Geld macht die 'Ndrangheta vor allem mit Drogengeschäften. Laut Staatsanwaltschaft hat sie quasi ein Monopol auf die Einfuhr von Kokain nach Europa.
Die Angeklagten in diesem Mammutverfahren sollen fast alle zum einflussreichen Mancuso-Clan aus Vibo Valentia gehören. Die 'Ndrangheta-Gruppe gilt als eine Art Drogen-Großhändler, der Kokain an andere Organisationen in Italien und im Ausland weiterverkauft.
Prozess gegen hunderte Mitglieder der italienischen 'Ndrangheta beginnt
13.01.2021, Anja Miller, ARD Rom
1000 Mitglieder leben in Deutschland
Auf der Anklagebank sitzt unter anderem der mutmaßliche Boss des Clans, Luigi Mancuso. Dazu kommen mutmaßliche Helfer und Helfershelfer, aber auch Anwälte, Politiker und Polizisten, die der 'Ndrangheta zugearbeitet haben sollen. Einige der Beschuldigten wurden in Deutschland festgenommen, wo nach Erkenntnissen des Bundesinnenministeriums rund 1000 Mitglieder der 'Ndrangheta leben.
Im Prozess in Lamezia sind über 900 Zeugen benannt, darunter mehrere Dutzend Kronzeugen, die selbst Mitglied der 'Ndrangheta waren. Deren Bereitschaft, mit Ermittlern zusammenzuarbeiten, sei etwas Besonderes in dieser kriminellen Organisation, in der das Schweigegelübde üblicherweise sehr streng befolgt wird, unterstreicht Staatsanwalt Gratteri. Dies sei bislang sehr selten vorgekommen. "Aber in den vergangenen Jahren ist es uns gelungen, Glaubwürdigkeit und Vertrauen zu erarbeiten. Deswegen sind einige bereit, mit uns zusammenzuarbeiten."
Auch weil Kronzeugen in Italien hohe Schutzmaßnahmen garantiert werden. Für den Mammutprozess in Lamezia hat der italienische Staat extra einen neuen Hochsicherheitsgerichtssaal errichten lassen. Für rund zwei Millionen Euro wurde ein ehemaliges Callcenter umgebaut, mit einem Verhandlungssaal, der so groß ist wie ein Fußballfeld. Am ersten Verhandlungstag waren trotz der großen Dimensionen des Gerichtssaals jedoch einige der 355 Angeklagte nur per Video zugeschaltet.
Größter Prozess seit 30 Jahren gegen 'Ndrangheta
Jörg Seisselberg, ARD Rom
12.01.2021 17:36 Uhr
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