Merkel und Macron
Analyse

Merkel bei Macron Keine Zeit für "unnützes Gezänk"

Stand: 14.10.2019 05:20 Uhr

Nachdem seine Kandidatin für die EU-Kommission im Parlament durchfiel, zeigt sich Präsident Macron verschnupft. Beim Treffen mit Kanzlerin Merkel ging es aber vor allem um wichtigere Baustellen - wie den Brexit.

Eine Analyse von Marcel Wagner, SWR

Die Begrüßung war wie immer überaus freundschaftlich und freundlich. Doch einen kleinen Seitenhieb konnte sich Frankreichs Präsident Emmanuel Macron beim Pressestatement an der Seite der Bundeskanzlerin dann doch nicht verkneifen: "Ich glaube zutiefst, dass Europa sich in diesem schwierigen Augenblick nicht den Luxus von unnützem Gezänk und kleinlichen Auseinandersetzungen gestatten sollte oder interne Konflikte zu den Spannungen in der Welt hinzufügen sollte, die uns bereits ausreichend beschäftigen."

Auch wenn Macron es nicht aussprach: Mit dem unnützen Gezänk dürfte er natürlich auf das angespielt haben, was sich in Brüssel am vergangenen Donnerstag ereignet hatte. Die Ablehnung seiner Kandidatin als EU-Kommissarin hatte den Präsidenten schwer getroffen.

"Man muss mir das erklären. Ich bin hier und verstehe das nicht, also kann ich es auch nicht kommentieren", so die etwas verdutzte Reaktion Macrons, als er von dem Vorfall erfahren hatte. Der sonst so coole Präsident zeigte sich ungewohnt dünnhäutig. Er habe der künftigen Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gleich drei Kandidaten vorgeschlagen, erläuterte er den Journalisten.

Von der Leyen stellt ihre neue EU-Kommission vor.

Von der Leyen stellt ihre neue EU-Kommission vor.

Wortbruch von von der Leyen?

"Präsidentin von der Leyen sagte mir: Ich will mit Sylvie Goulard arbeiten. Und ich habe gewarnt: Vorsicht: Ich kenne Leute, die daraus einen Streit machen können." Von der Leyen aber habe mit Fraktionschefs des EU-Parlaments gesprochen und versichert, die Sache sei geritzt.

Die designierte Kommissionspräsidentin hatte also nicht Wort gehalten, hatte die Mehrheit nicht beschafft. Im Pariser Élyséepalast witterte man einen Komplott. Von einem politischen Spiel war die Rede, dessen Opfer Goulard geworden sei.

Französische Zeitungen zitierten fleißig auch am Wochenende noch aus Regierungskreisen, die eine Rache vor allem konservativer deutscher EU-Abgeordneter ausgemacht haben wollen. Eine Rache dafür, dass der französische Präsident offenbar zu viel Einfluss gewonnen habe.

Kühle Stimmung

Oppositionspolitiker und Kommentatoren einiger großer französischer Zeitungen konnten dieser Version allerdings wenig abgewinnen. Im Gegenteil: Sowohl die linke Liberation, als auch der konservative Figaro sahen im Brüsseler Scheitern von Sylvie Goulard auch ein Scheitern von Macron, die Quittung für französische Überheblichkeit.

Macron regiere im Élyséepalast eben als Sonnenkönig und habe nicht verstanden, dass echte Parlamentarier, so wie die in Brüssel, sich eben nicht vorschreiben lassen würden, für eine Kandidatin als EU-Kommissarin zu stimmen, die daheim in Frankreich wegen anhängender Affären nichtmal als Ministerin tragbar gewesen sei. Auch, dass Macron selbst nach der EU-Wahl dem Brüsseler Parlament durch seinen Boykott des Spitzenkandidatenprinzips für den Kommissionsvorsitz seine ganze Verachtung gezeigt habe, falle jetzt auf ihn zurück, so der Tenor in den Zeitungen.

So oder so - der Zoff um den Kommissionsposten ist nur ein weiteres Indiz dafür, dass die Stimmung zwischen den Regierungen aktuell eher kühl ist. In Paris herrscht immer noch Frust, weil Deutschland bei wichtigen EU-Reformvorhaben Frankreichs nicht mitziehen will. Bei deutschen Diplomaten dagegen wird das ständige Drängen Frankreichs, Deutschland solle mehr Geld ausgeben, als Mangel an Verständnis für deutsche Traditionen und fehlendes Fingerspitzengefühl gesehen.

Zahlreiche Zwiste

Der Zwist kommt zur Unzeit, Angesichts der Aufgaben, die vor Frankreich, Deutschland und der ganzen EU liegen: "Ich glaube ein Schwerpunkt wird in der Tat das Thema Klimaschutz und die Klimaherausforderung sein. Aber genauso eben die Handelsfragen, die Forschungsfragen, die künstliche Intelligenz und Fragen auch der gemeinsamen Verteidigungsprojekte die vor uns liegen", so Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Dazu natürlich der Brexit, die türkische Offensive in Syrien, die Ukrainekrise, die Iranfrage und und und. All das wollten Kanzlerin und Präsident beim Arbeitsessen besprechen. In Vorbereitung auf einen deutsch-französischen Ministerrat, der am kommenden Mittwoch in Toulouse stattfindet und bei dem die beiden Länder sich in all diesen Fragen zusammenraufen wollen, ja müssen.

Etwa beim schwierigen Thema der Exporte gemeinsamer Rüstungsprojekte. Eine Einigung wäre da ein deutliches Signal. Bei vielen anderen Fragen, etwa in Sachen Wissenschaft oder Digitalisierung gehen die Positionen ohnehin nicht weit auseinander. "Ich danke der Kanzlerin, liebe Angela, dafür, an diesem Sonntagabend in den Élysée gekommen zu sein, damit wir die gemeinsame Agenda zusammen vorbereiten können", sagte Macron bei der Begrüßung der Kanzlerin. Bleibt noch die Last, die atmosphärische Störung rund um den EU-Kommissionsposten möglichst bald zu beseitigen. Vielleicht gelingt ein Schritt dazu ja am heutigen Mittag, wenn diesmal Ursula von der Leyen zu Gast im Élysée sein wird.

Marcel Wagner, Marcel Wagner, ARD Paris, 14.10.2019 05:40 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete NDR Info am 14. Oktober 2019 um 09:50 Uhr.