Interview

Interview mit ARD-Korrespondent Schwenck "Der Terror im Irak wird noch zunehmen"

Stand: 11.08.2014 19:32 Uhr

Der Irak fällt unter dem Ansturm der IS-Terroristen auseinander. Doch Ministerpräsident Maliki will sein Amt trotz massiver Kritik nicht abgeben. ARD-Korrespondent Volker Schwenck, der sich zurzeit in Erbil aufhält, sagt im Interview mit tagesschau.de: Setzt sich Maliki durch, wird der Terror noch zunehmen.

tagesschau.de: Die Terrorgruppe IS ist weiter auf dem Vormarsch, doch in Bagdad nimmt der Machtkampf an Schärfe zu. Warum besteht Ministerpräsident al Maliki auf einem neuen Mandat, obwohl das Land auseinanderfällt und Teile unter Kontrolle einer Terrorgruppe geraten?

Volker Schwenck: In der Verfassung des Irak steht, dass die Partei den Kandidaten für Ministerpräsidenten stellt, die am stärksten aus der Parlamentswahl hervorgegangen ist. Und das ist nun mal der Block von Maliki. Der Gegenkandidat kommt aber aus Malikis eigener Partei. Die Konsequenzen aus dem Gerangel um das Amt des Regierungschefs für den Irak sind katastrophal. Bleibt Maliki, dann bleibt es auch dabei, dass die Sunniten sich ausgegrenzt fühlen. Das bedeutet im Klartext: Der Terror wird wohl eher noch zunehmen. Das sagt im übrigen auch Maliki selber voraus, er meint es nur anders und hält sich für den einzig rechtmäßigen Kandidaten. Es ist mir unbegreiflich, wie Maliki nicht erkennen kann, dass er für die Krise mitverantwortlich ist. Damit steht die Einheit des Landes auf dem Spiel. Wenn die aktuelle Entwicklung sich fortsetzt, ist es schwer vorstellbar, dass eine Spaltung des Landes vermieden werden kann.

Militärische Mittel der Kurden reichen nicht aus

tagesschau.de: Die Zukunft des Landes dürfte also nicht zuletzt von den Kurden abhängen, die sich als schlagkräftigste Gruppe im Kampf gegen den IS erwiesen haben. Wie erleben Sie die Stimmung in Erbil, der Hauptstadt des kurdischen Autonomiegebiets?

Schwenck: Ein kurdischer Politiker hat mir gesagt: "Wir Kurden werden bis zum letzten Blutstropfen kämpfen - was wir erreicht haben, geben wir nicht mehr her." Damit ist zweierlei gemeint. Zum einen hat man in den kurdischen Gebieten einen wirtschaftlichen Wohlstand erreicht, den es bislang für die Kurden nicht gab. Bagdad wirkt dagegen wie eine andere Welt - Teile der Stadt liegen in Ruinen, die Infrastruktur ist in einem fürchterlichen Zustand. Eine Stadt wie Erbil ist dagegen modern und gepflegt.

Zum anderen haben die Kurden einen Grad an Unabhängigkeit erreicht, wie sie ihn in der irakischen Geschichte noch nie hatten. Und den werden sie mit allen Mitteln verteidigen. Es hat sich nur leider erwiesen, dass ihre militärischen Mittel nicht ausreichen. Deswegen fordern sie auch weitere militärische Unterstützung.

tagesschau.de: Was könnte Deutschland, was könnten die Europäer in dieser Situation tun?

Schwenck: Aus Sicht der Kurden ist jede Form der militärischen Unterstützung willkommen. Die Luftunterstützung der USA haben sie, deshalb wollen sie vor allem Waffen. Woher diese kommen, ist ihnen egal, solange sie modern und schlagkräftig sind. Die IS-Terroristen haben bei ihrem Einfall im Nordirak gut gefüllte Waffenlager der irakischen Armee mit modernster amerikanischer Ausrüstung erbeutet. Der IS ist also bestens ausgerüstet, während die kurdischen Peschmerga überwiegend mit alten Kalaschnikows und anderem alten und schwachen Material kämpfen.

Die Europäer müssen sich nun überlegen, ob sie weitere Waffen in diese Krisenregion exportieren wollen. Dagegen kann man prinzipiell Bedenken haben. Tatsache aber ist: Wenn man die Kurden nicht unterstützt, wird man die Terroristen, Mörder, Frauenschänder und Kindeserschießer vom IS nicht aufhalten. Das geht nicht mit guten Worten. Entweder man hilft den Kurden und versetzt sie in die Lage, sich zu wehren, oder man hilft denen, die Andersdenkede nicht respektieren, die Andersgläubige töten und die für einen Steinzeitislam eintreten, der auch viele Sunniten im Irak empört.

Flucht auf einen Gebirgskamm

tagesschau.de: Was hören Sie über das Schicksal der in die Berge geflüchteten Jesiden?

Schwenck: Es gibt unterschiedliche Zahlen über die Zahl der Flüchtlinge. Wir haben mit Jesiden in Erbil gesprochen, die von mehr als 100.000 Flüchtlingen sprechen. Viele seien inzwischen gerettet worden, es seien aber immer noch rund 40.000 Jesiden in den Bergen gefangen. Andere sprechen von ca. 20.000 Geretteten und von vermutlich 20.000 Jesiden, die dort noch festsitzen. Sie verteilen sich auf einer circa 70 Kilometer langen Gebirgskette.

Deshalb erreichen die Hilfsgüter aus der Luft nicht alle Geflüchteten. Viele sind deshalb in einer verzweifelten Lage. Es gibt einen halbwegs sicheren Korridor in Richtung syrisch-irakischer Grenze. Um zu diesem Korridor zu kommen, müssen viele Flüchtlinge stunden- und tagelang laufen, und es ist fraglich, ob sie das schaffen. Ein Peschmerga-Kämpfer sagte uns am Telefon: "Wir holen die Menschen da raus. Aber wir brauchen dafür noch mindestens zwei Tage." Und der Korridor ist nur so lange sicher, wie die Amerikaner bombardieren.

tagesschau.de: In der Tageschau sehen wir jeden Tag Bilder von den Flüchtlingen, und da fragt man sich: Wenn Kamerateams dorthin kommen können - wieso kann man den Menschen dann nicht auch helfen?

Schwenck: Manche Bilder wurden mit Mobiltelefonen aufgenommen. Die Peschmerga schicken mehrmals täglich Helikopter in die Region. Diese Flüge sind gefährlich, weil der IS sie beschießt. Mit diesen Helikoptern werden Hilfsgüter gebracht und manchmal Menschen ausgeflogen, und manchmal ist auch ein Kameramann an Bord. Aber mit drei Flügen am Tag kann man 20.000 Menschen nicht retten. Dafür braucht man eine ganz andere Logistik.

Das Ende einer langen Geschichte

tagesschau.de: Viele Menschen flüchten vor den IS-Kämpfern. Wie prägt das den Alltag in Erbil?

Schwenck: Man begegnet den Flüchtlingen überall. Sie haben sich unter freiem Himmel niedergelassen, in Rohbauten, unter Bäumen, nur mit dem, was sie am Leib haben. Diese Menschen haben alles zurückgelassen, als ihre Dörfer von den Islamisten überrannt wurden. Unter den Flüchtlingen sind auch viele Christen aus der Stadt Karakosh, und die haben nur ein Ziel: Sie wollen weg aus dem Irak. Und nicht mehr zurück in ihre Heimat, selbst wenn der IS wieder vertrieben würde. Sie haben kein Vertrauen mehr, dass im Irak Minderheiten geschützt werden. Damit geht eine Geschichte der Christenheit im biblischen Land zu Ende. Das ist für den Vielvölkerstaat Irak tragisch, der sich zunehmend entleert - von Minderheiten, Andersdenkenden und Andersgläubigen. Das ist ein unglaublicher Verlust für die Zukunft dieses Landes.

Volker Schwenck
Zur Person: Volker Schwenck

Volker Schwenck (SWR) leitet seit Januar 2013 das ARD-Auslandsstudio in Kairo. Zuvor arbeitete er für ARD Aktuell und als Korrespondent in Genf. 2011 führten ihn zwei Reportage-Reisen nach Libyen.

Das Interview führte Eckart Aretz, tagesschau.de.