Der französische Präsident Macron
analyse

Nach Militärputschen Schwindet Frankreichs Einfluss in Afrika?

Stand: 11.09.2023 19:43 Uhr

Militärputsche in Niger und Gabun, in Mali, Burkina Faso und Guinea - alles Ex-Kolonien Frankreichs, die die Interessenspolitik von Paris nicht mehr hinnehmen wollen. Schwindet Frankreichs Einfluss? Und welche Folgen hätte das?

Eine Analyse von Julia Borutta, ARD Paris

Es war eine Woge des antifranzösischen Ressentiments, die durch die Straßen von Niamey schwappte: "Frankreich raus aus Afrika", "Nieder mit Frankreich", "Frankreich muss gehen", skandierten Demonstrierende nach dem Putsch in Niger Ende Juli. Die Militärs, die Präsident Mohamed Bazoum entmachtet hatten, sind ihre Helden. Denn Bazoum galt und gilt als Frankreichs enger Alliierter.

Rund einen Monat später zogen in Gabuns Hauptstadt Libreville fröhliche Menschen durch die Straßen. Jubelnd feierten sie den Putsch gegen Ali Bongo - jenen Präsidenten, der genau wie sein Vorgänger und Vater Omar Bongo jahrzehntelang von Frankreich militärisch und wirtschaftlich protegiert worden war. Bröckelt Frankreichs Einfluss in Afrika?

Dämmerung der France Afrique?

"Die sogenannte France Afrique steckt in der Krise", sagt Thomas Borrel. Er ist Aktivist bei der Vereinigung "Suivie" und Mitherausgeber des Sammelbandes "Das Imperium, das nicht sterben will - eine Geschichte der France Afrique". Als "France Afrique" wird jenes Herrschaftssystem bezeichnet, das Frankreich nach der formalen Unabhängigkeit der französischen Kolonien ab den 1950er-Jahren entwickelte, um de facto seinen Einfluss in Afrika aufrechtzuerhalten. Dafür schreckte Paris weder vor dem Einsatz von Söldnern, noch vor Bestechung oder militärischer Intervention für einzelne zugeneigte Machthaber zurück.

Es sei es noch zu früh, so Borrel, um zu ermessen, ob es nach den jüngsten Staatsstreichen in Niger und Gabun zu einer wirklichen Unabhängigkeit der früheren Kolonien kommen wird. Oder ob sich die "France Afrique" einmal mehr wird anpassen können, um den Kern der französischen Interessen zu wahren. Frankreich hat schon immer eine gewisse "souplesse", eine Geschmeidigkeit an den Tag gelegt, wenn es darum ging, seine Einflusssphäre in Afrika zu schützen.  

Knallharte Interessenspolitik

Militärputsche und verfassungswidrige Machtwechsel etwa in Mali und im Tschad wurden nach Gutdünken mitgetragen. Der ehemalige Botschafter in Mali, Nicolas Normand, bezeichnete dieses Vorgehen in einem Interview in der Tageszeitung "Le Figaro" Ende August als "Standfestigkeit entlang einer variablen Geometrie, je nach Land und Kontext".

Dieses Prinzip scheint auch jetzt wieder Anwendung zu finden: Denn Frankreich hat die beiden Militärputsche in Niger und Gabun keineswegs mit der gleichen Vehemenz gegeißelt. Auf die Festsetzung des Präsidenten Bazoum in Niger reagierte Frankreichs Präsident Emanuel Macron umgehend, harsch und sogar mit einer Drohung: "Wir tolerieren keinerlei Angriff auf die Interessen Frankreichs. Sollten unsere französischen Bürger in Niger attackiert werden, wird unsere Reaktion unverzüglich und unerbittlich sein." Frankreich ging ein immer noch anhaltendes Kräftemessen mit den nigrischen Putschisten ein. Ende offen.

In Gabun wiederum scheint Frankreichs Reaktion verhaltener, die Position flexibler. Zwar verurteilte Macron den Putsch gegen Bongo. Doch seither soll es bereits Kontakte zwischen dem französischen Botschafter in Gabun und den neuen Machthabern gegeben haben.  

Borrel: Frankreich misst mit zweierlei Maß

Frankreich messe wie immer mit zweierlei Maß, kritisiert Borrel. "Der Putsch in Gabun scheint in Paris nicht wirklich jemanden zu stören. Denn mit dem Putsch dort könnte Frankreich einen etwas kompromittierenden Alliierten loswerden." Bongo habe sich zuletzt ein bisschen zu sehr anderen ausländischen Interessen angenähert - denen der Briten zum Beispiel, erklärt Borrel. Sinnbild dessen war sein Hilferuf nach dem Putsch, den er zur großen Irritation in Paris nicht auf Französisch, sondern auf Englisch vortrug.

"Mit den neuen Machthabern in Gabun bietet sich für Paris die Chance, den lästigen Ali Bongo loszuwerden und die alten Verbindungen zwischen Frankreich und Gabun wieder enger zu knüpfen", vermutet Borrel. In Niger wiederum will Frankreich mit aller Macht verhindern, dass es einen weiteren Militärstützpunkt verliert. Nach Putschen in Mali und Burkina Faso musste Paris die französischen Militäreinheiten abziehen und die Militäroperation Barkhane gegen den transnationalen islamistischen Terrorismus beenden. Sollte auch die Basis in Niamey dicht gemacht werden müssen, wäre der Sahel weitgehend frei von französischen Soldaten.  

Manipulation durch Russland?

Diese Entwicklung ist nicht zuletzt dem Ressentiment der jungen Bevölkerung gegen Frankreich geschuldet. Paris macht für diese souveränistische, antifranzösische Bewegung seine Konkurrenten, allen voran Russland, verantwortlich. Borrel hält das für Augenwischerei und Selbstbetrug. Zwar hätten in der Vergangenheit konkurrierende Mächte das antifranzösische Ressentiment geschürt. Doch diese Kampagnen hätten die Ablehnung gegenüber Frankreich keineswegs verursacht.

Dieser Hass sei schlicht das Ergebnis einer französischen Politik, die von Scheinheiligkeit geprägt sei: "Die Menschen in Afrika vertrauen Frankreich nicht mehr. Sie haben zu viele Lügen über das Frankreich der Menschenrechte gehört, das ja bloß die Demokratisierung der afrikanischen Staaten fördern wolle", sagt Borrel. Die Ablehnung gehe heute soweit, dass viele Menschen nicht einmal mehr daran glaubten, dass Frankreich wirklich gegen die islamistischen Terroristen beispielsweise in Mali kämpfe. Es kursieren Gerüchte, dass Frankreich in Wahrheit die Dschihadisten selbst finanziert. Das Vertrauen ist dermaßen zerstört, dass Verschwörungstheorien wie diese nur so sprießen.  

Frankreich, die "kleine" Nation

Dabei haben zuletzt mehrere Präsidenten versichert, dass sich Frankreich von seiner undurchsichtigen Interessenspolitik in Afrika verabschiedet habe. 2017 erklärte Macron in Ouagadougou: "Die Zeit der 'France Afrique' ist vorbei." Macron setzte Zeichen, gab in der Kolonialzeit geraubte Kunstwerke zurück, öffnete Archive, wandelte Militärbasen in sogenannte Ausbildungsbasen um, reformierte die als neokolonialistisches Instrument verschriene Währung Franc CFA.

All das sei nur Aktivismus, urteilt Borrel. "Diese Schritte und Reformen haben wie immer nur zum Ziel, den Kern der französischen Interessen in Afrika zu schützen." Die Devise sei: "Alles ändern, damit sich nichts ändert." Ein Ende der "France Afrique" könne es nur dann geben, wenn Frankreichs Militär sich vollständig aus Afrika zurückziehe und wenn die Gemeinschaftswährung Franc CFA nicht mehr automatisch an Frankreich und den Euro gekoppelt sei.

Achille Mbembe hingegen würdigt die Schritte des französischen Präsidenten. Der international bekannte kamerunische Intellektuelle und Theoretiker für Postkolonialismus, dem in Deutschland 2020 der Vorwurf des Antisemitismus gemacht wurde, begleitete Macron zuletzt auf einer seiner Afrikareisen und treibt gemeinsam mit dem französischen Präsidenten den afrikanisch-französischen Dialog voran. In einem Interview mit der Zeitung "Jeune Afrique" erklärte er Anfang August: "Macron weiß, dass ein historischer Zyklus zu Ende geht und es Zeit für einen Neuanfang ist." Der aber könne nur gelingen, wenn Frankreich sich selbst in Frage stelle. "Das wahre Problem ist, dass ganz Frankreich sich schwer damit tut, sich selbst zu dekolonisieren", sagte Mbembe. Dafür aber müsste Frankreich akzeptieren, dass es keine Großmacht mehr ist, sondern - wie Thomas Borrel sagt - eine "kleine Macht".

Julia Borutta, ARD Paris, tagesschau, 12.09.2023 00:53 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 03. September 2023 um 09:00 Uhr.