Flüchtlinge in der EU Die Zeit drängt

Stand: 24.01.2020 12:34 Uhr

Die EU-Innenminister beraten im kroatischen Zagreb einmal mehr über einen Verteilmechanismus für Flüchtlinge. Die Zeit drängt, denn die Lage an den Grenzen des Balkanstaates spitzt sich zu.

Während die Kanzlerin im direkten Gespräch mit dem türkischen Präsidenten Erdogan versucht, den Flüchtlingsdeal zu retten, müssen die EU-Innenminister sich in Zagreb überlegen, was mit jenen Migranten geschehen soll, die die Türkei bereits auf dem Weg nach Europa verlassen haben: Denn die Zahl der Flüchtlinge auf der östlichen Mittelmeerroute - von der Türkei nach Griechenland und weiter über den Balkan - hat sich 2019 im Vergleich zum Vorjahr fast verdoppelt. Nach Zahlen der Grenzschutzbehörde Frontex auf 82.000 Menschen.

Der sogenannte Migrationsdruck wächst, deswegen hat die neue EU-Kommission unter Ursula von der Leyen das Thema Migration neben dem "Green Deal" und der Digitalisierung zu einem der Top-Themen gemacht: "Migration wird bleiben, deshalb müssen wir nachhaltige Konzepte auf den Weg bringen." Anfang März wollen die zuständigen Kommissare Margaritis Schinas und Ylva Johansson ihr Konzept vorstellen, wie sie die Asylreform gestalten wollen.

Verteilmechanismus gescheitert

Das Treffen der Innenminister in Zagreb jetzt gilt als erster Ideenaustausch mit den neuen Verantwortlichen. Wo kann die EU-Kommission auf Unterstützung der Mitgliedsstaaten setzen? Wo ziehen die Minister rote Linien? Klar ist: Mit dem steten Beharren auf einem gerechten Verteilmechanismus der Flüchtlinge und Migranten war die alte Kommission unter Jean-Claude Juncker jahrelang gescheitert.

Die Verteilung auf alle Länder via Quote lehnen einige Ostländer, etwa die Visegrad-Staaten, sowie Österreich nach wie vor ab. Alternative Szenarien sehen vor, dass eine Koalition der Willigen, zu der auch Deutschland gehört, Menschen aufnimmt und andere Länder stattdessen entweder auf EU-Zahlungen verzichten oder Zahlungen leisten.

Diesen "Ablasshandel" lehnen westliche Staaten, etwa auch Deuschland, kategorisch ab. Mit dem europäischen Solidaritätsprinzip habe das nichts zu tun. Österreichs neuer Innenminister Karl Nehammer hingegen sieht diesen Weg als den einzig Gangbaren.

Kroatien will in den Schengen-Raum

Nur etwa 100 Kilometer Luftlinie vom Tagungsort entfernt verläuft die EU-Außengrenze: Durch dichten Wald, Berge, Schluchten und Minenfelder - ein Vermächtnis aus dem Balkankrieg. 6500 Grenzbeamte hat Kroatien aufgeboten, um zu zeigen, dass das jüngste EU-Mitglied sich seiner Rolle als Außenposten durchaus bewusst ist.

Denn Kroatien will noch in diesem Jahr dem Schengenraum beitreten. Dann fielen die bislang bestehenden Grenzkontrollen innerhalb der EU weg. Brüssel hat bereits grünes Licht gegeben. Probleme an der Grenze kann das Land also gerade überhaupt nicht brauchen. Und doch gibt es sie.

Etwa 2000 Menschen hausen im Wald

Im Wald an der grünen Grenze zu Kroatien, auf bosnischer Seite, hausen Männer aus Pakistan in verlassenen Baracken. Ohne Strom, ohne Wasser, sie heizen mit offenem Feuer mitten im Raum. Drinnen drängen sich Wasim Aslam und fünf weitere Männer aus seinem Dorf eng zusammen. Im Nachbarraum schlafen weitere acht Pakistaner. Immer wieder versuchen sie nachts, es über die Grenze nach Kroatien zu schaffen.

NGOs berichten von Misshandlungen

Mit illegalen Migranten wie ihnen scheint die kroatische Grenzpolizei nicht zimperlich umzugehen, wenn sie sie im Land aufgreifen. Hilfsorganisationen berichten von Raub, Erniedrigung, Gewalt bis hin zur Folter. Auch Wasim Aslam erzählt, wie er von kroatischen Beamten Handy, Jacke und Schuhe abgenommen bekam und geschlagen wurde, ehe man ihn in den Grenzfluss zurückgeschickt habe.

Der 24-Jährige will trotzdem weiterhin versuchen, irgend einen Weg nach Spanien zu finden. Dort leben bereits zwei seiner Cousins. "Ich bin seit vier Jahren unterwegs, bin 5000 Kilometer zu Fuß gegangen. Zu Hause wartet der Tod, dann sterbe ich lieber hier," erklärt er fest entschlossen.

Flüchtlingscamps überfüllt

Etwa 2000 Männer versuchen derzeit, sich auf eigene Faust aus Bosnien in die EU durchzuschlagen, schätzt das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen. Weitere gut 5800 Migranten, darunter etwa 1000 Kinder, sind in betreuten Flüchtlingscamps in Bosnien untergekommen.

UNHCR erwartet 60.000 Flüchtlinge in Bosnien

Wie wollen die EU-Innenminister mit diesen Menschen umgehen? Fast 30.000 Flüchtlinge wie Wasim Aslam hat das UNHCR im vergangenen Jahr in Bosnien auf der neuen Balkanroute registriert. Dieses Jahr prognostiziert das Hilfswerk eine Verdopplung auf 60.000 aufgrund der angespannten Situation in der Türkei und der überfüllten Lager in Griechenland.

Die EU-Innenminister müssen bald zu einer Einigung kommen, wenn sie eine gemeinschaftliche Lösung finden wollen. Sonst könnte es schnell zu einer Drucksituation wie 2015 kommen, in der sich einzelne Staaten zum Handeln gezwungen sehen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete das ARD-Morgenmagazin am 24. Januar 2020 um 07:09 Uhr.