Der ukrainische Präsident Wolodomyr Selenskyj

Ukrainische Solidarität mit Israel "Wir verstehen das besonders gut"

Stand: 09.10.2023 16:56 Uhr

Die Menschen in der Ukraine verfolgen die Angriffe auf Israel mit Sorge und Mitgefühl. Auch, weil sie Parallelen zu ihrer eigenen Situation sehen. Was heißt das für die Aufmerksamkeit des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine?

Von Andrea Beer, ARD Kiew

Am Wochenende wurden in Hrosa die ersten Toten beerdigt, die bei dem russischen Raketenangriff auf das Dorf in der Region Charkiw getötet worden sind. Mindestens 52 Besucher einer Trauerfeier starben am vergangenen Freitag, darunter die gesamte Familie des gefallenen Soldaten für den die Trauerfeier abgehalten worden war.  

In der Ukraine gingen die Angriffe Russlands am Wochenende weiter. Unter anderem gab es russischen Beschuss der südlichen ukrainischen Gebiete Saporischschja und Cherson. Nach Angaben von regionalen Behörden und Militärverwaltung gab es zwei Tote und mindestens 18 Verletzte - darunter zwei kleine Mädchen und ein Baby. Auch Kostjantiniwka im Gebiet Donezk wurde beschossen.   

Solidarität mit Israel

In der Ukraine wird die Situation in Israel genau verfolgt und die Reaktionen auf die Hamas-Angriffe sind mitfühlend. Die Menschen in der Ukraine verstünden die Menschen in Israel, denn es gehe auch dort um den Tod von Zivilisten und Angriffe mit Raketen, so Präsident Wolodymyr Selenskyj. Bei einem solchen Terroranschlag müssten alle, die das Leben schätzen, solidarisch sein.  

Wir in der Ukraine sind uns dessen, was passiert ist, besonders bewusst. Tausende Raketen am Himmel Israels, Menschen, die auf der Straße getötet wurden, Autos mit Zivilisten in die Luft gejagt, Misshandlung von Geiseln. Leider hat der Terror all dies auch auf die Straßen ukrainischer Städte und Dörfer gebracht." 
Wolodymyr Selenskyj, Präsident Ukraine

Zwei Tote aus der Ukraine und besorgte Botschaftsanfragen

Nach ukrainische Angaben von Ende August haben knapp sechs Millionen Menschen das Land seit dem russischen Großangriff verlassen. Die meisten blieben in Europa, rund 15.000 befinden sich nach Angaben der Jewish Agency in Israel.

Selenskyj bestätigte Berichte, dass zwei Frauen aus der Ukraine in Israel getötet wurden. Nach Angaben des Außenministerium wird die Information über den möglichen Tod eines weiteren ukrainischen Staatsbürgers im Gazastreifen geprüft. Ein Sprecher des ukrainischen Außenministeriums erklärte auf Facebook, ein verletzter ukrainischer Junge habe aus der israelischen Stadt Sderot nahe des Gazastreifens geholt werden können.  

Die ukrainische Botschaft in Israel und alle für die Region verantwortlichen Diplomaten würden rund um die Uhr mit den Geheimdiensten zusammenarbeiten, um alle Menschen die Hilfe benötigen, zu unterstützen. Es habe bereits mehr als 100 Anfragen an die ukrainische Botschaft gegeben, so Selenskyj.  

Er appellierte an die Ukrainerinnen und Ukrainer in Israel, den Anweisungen der Sicherheitsbehörden zu folgen. Die Welt wisse genau, welche Terrorsponsoren die Hamas-Angriffe angestiftet und ermöglicht haben könnten, so Selenskyj.   

"Angriff auf die demokratische Welt"

Russland und der Iran haben gute Beziehungen. Beide Länder pflegen Kontakte mit der Hamas, die von den USA, der EU und Israel als Terrororganisation eingestuft wird. Es sind unter anderem die tödlichen Shahed-Drohnen iranischer Bauart, mit denen Russland die Ukraine überzieht.

Drängt die Situation rund um Israel nun den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine in den Hintergrund? Wird es damit noch schwieriger, verlässlich westliche Militärhilfe zu bekommen? Darüber wurde in ukrainischen Medien am Wochenende diskutiert. Die Welle der Aufmerksamkeit werde den Krieg in der Ukraine von den Titelseiten verbannen, wenn er überhaupt noch vorkomme, so der Moderator von Ukrainske Radio. Dies sei für den Moment ganz normal, so sah es der Journalist Taras Semenjuk. Der Krieg in Israel würde nicht vom Krieg Russlands gegen die Ukraine ablenken, so Semenjuk.

"Israel und die Ukraine sind demokratische Länder und dementsprechend ist ein Angriff auf sie ein Angriff auf die demokratische Welt", sagt er. "Es ist offensichtlich einfach eine Gelegenheit, eine zweite Front gegen die Demokratie zu eröffnen." 

"Hamas und Russland begehen Völkermord"

Der Angriff der Hamas auf Israel sei dem Beginn der russischen Großinvasion am 24. Februar 2022 sehr ähnlich, so analysierte der Kiewer Militärexperte Oleg Schdanow die Lage im Nahen Osten. Der Überraschungsfaktor habe zu 100 Prozent funktioniert und die israelische Armee sei leider nicht darauf vorbereitet gewesen. Die Hamas tue dasselbe wie die russischen Truppen in der Ukraine.  

"Sie begehen Völkermord und zeigen extreme Brutalität, und das wird so gut wie möglich im Internet übertragen, um die Menschen in Israel einzuschüchtern. Die Hamas schießt im Vorbeigehen auf Autos, sie töten Frauen und Kinder und alles wird gefilmt", sagt Schdanow.

Ukrainische Armee veröffentlicht Solidaritätsvideo

Das amerikanische Institut für Kriegsstudien schrieb, Russland werde die Hamas-Angriffe auf Israel für den Angriffskrieg für sich ausnutzen und westlichen Ländern Versagen im Nahen Osten vorwerfen. All das wird auch die NATO-Verteidigungsminister bei ihrem zweitägigen Treffen am Mittwoch und Donnerstag in Brüssel beschäftigten.

Dort geht es auch um die weitere militärische Unterstützung für die Ukraine. Die ukrainische Armee veröffentlichte ein kurzes Video, in dem ukrainische Soldaten ihre Solidarität mit Israel ausdrücken. Darin heißt es unter anderem, die internationale Gemeinschaft müsse gegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zusammenstehen - sowohl in Israel als auch in der Ukraine.   

Andrea Beer, ARD Kiew, tagesschau, 08.10.2023 17:00 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete WDR 5 am 09. Oktober 2023 um 13:00 Uhr.