
Geberkonferenz in Paris Welche Hilfe die Ukraine braucht
Zerstörte Schulen, Fabriken und Krankenhäuser, eine immer wieder ausfallende Energieversorgung mitten im Winter: In der Ukraine ist die Not groß. Eine internationale Konferenz in Paris soll nun Abhilfe schaffen.
Andrej steht im Zentrum von Mykolajiw inmitten von Schutt aus Stein, Glas und verbogenem Metall. Die Gebäude ringsum sind durch einen der vielen russischen Raketenangriffe auf die Stadt zerstört, auch ein Geschäft liegt in Trümmern. Einsam schaufelt der Mann um die 40 Jahre eine schmale Gasse frei und stützt sich zwischendurch auf den Holzstiel seiner Metallschaufel.
"Ich mache hier einen Weg. Dieser Laden war der billigste und beste der Gegend, und jetzt ist er zerstört. Der nächste billige Laden ist weit weg. Hier kann man gar nicht mehr laufen, und meine Frau hat sich heute Morgen eine Schnittwunde am Bein zugezogen."
Tausende Wohnhäuser und die Energieversorgung sind zerstört
Das Gebiet Mykolajiw war monatelang unter russischem Dauerbeschuss. Nach Angaben der regionalen Militärverwaltung kamen fast 470 Menschen ums Leben - unter ihnen zwölf Kinder. Nach der Befreiung von Cherson durch die ukrainische Armee ist die Front weiter weg, und im Gebiet Mykolajiw ist es deutlich ruhiger. Bis Mitte Oktober wurden allein dort 13.000 Wohnhäuser, Schulen, Sportanlagen, Fabriken, Krankenhäuser, Energieversorgung und Agrarflächen zerstört oder beschädigt.
Weltbank und EU-Kommission schätzten im September die landesweiten Wiederaufbaukosten auf rund 350 Milliarden US-Dollar. Der ukrainische Regierungschef Denys Schmyhal sprach schon im Juli auf einer Konferenz in Lugano von 750 Milliarden Dollar.
Kiew braucht monatlich fünf Milliarden Dollar
Seit der russischen Invasion am 24. Februar hat die Ukraine weit weniger Steuer- und Exporteinnahmen, dafür weit mehr Ausgaben für das Militär. Stand Mitte Oktober haben die G7-Staaten, Europäische Union und ihre Mitgliedsländer mehr als 35 Milliarden Euro Soforthilfe geschickt. Um das Land am Laufen zu halten, braucht Kiew umgerechnet monatlich bis zu fünf Milliarden US-Dollar, dies geben der Internationale Währungsfonds und Präsident Wolodymyr Selenskyj an.
Selenskyj spiele bei der Kommunikation mit internationalen Geldgebern ein zentrale Rolle, sagt Wolodymyr Fesenko, politischer Analyst am Zentrum für angewandte Politikwissenschaften Penta in Kiew: "Jeden Monat bekommen wir mindestens zwei Milliarden US-Dollar von außen, und so können wir Pensionen, Sozialleistungen und Gehälter von Staatsangestellten bezahlen. Es gibt eine Ausnahme: Die Gehälter der Militärangehörigen bezahlt die Ukraine selbst. Seit langem erhalten wir im sogenannten Ramstein-Format Militärhilfe und daran sind mehr als 40 Länder beteiligt. Nicht nur EU und NATO-Länder unterstützen die Ukraine, sondern auch Länder wie Australien und Japan."
Hilfe für die Ukraine: "Purer Selbsterhalt"
Es sei nicht Wohltätigkeit, sondern purer Selbsterhalt, der Ukraine zu helfen, sagte der ukrainische Finanzminister Serhij Martschenko kurz vor der Konferenz in Paris. Denn die Ukraine versuche, Freiheit und Demokratie der gesamten zivilisierten Welt zu schützen. Geld für die Ukraine stärke die Sicherheit weit über das Land hinaus.
Der Kiewer Analyst Fesenko ist sich bewusst, dass die Geberländer ebenfalls mit Folgen des russischen Angriffskriegs kämpfen, etwa mit hohen Energiepreisen oder Inflation. Doch zugesagtes Geld fließe nicht immer - sei es aus bürokratischen oder politischen Gründen, so Fesenko mit Blick auf Ungarn, das zwischenzeitlich 18 von der EU zugesagte Milliarden für die Ukraine blockiert hatte.
Gelder für die Energieinfrastruktur
Zurzeit seien Gelder für Aufbau und Modernisierung der von Russland zerstörten Energieinfrastruktur am wichtigsten, so Fesenko. Er favorisiert klar organisierte Formate für Soforthilfe sowie mittel- und langfristige Unterstützung unterschiedlicher Institutionen und Länder.
"Es ist nötig, rechtliche Formate zu schaffen zwischen der internationalen Unterstützung und unserem Staat. Ob das die Regierung ist oder eine extra staatliche Institution. Wir sollten auch daran denken, dass die ukrainische Wirtschaft teilhat. Wir werden nicht nur Soforthilfe, sondern auch Investitionen brauchen. Das ist ein weiteres wichtiges Thema, und es ist gut, dass nicht nur allgemein, sondern schon ganz konkret diskutiert wird, wieviel Geld gesammelt und wofür und auf welche Weise es für die Ukraine ausgegeben wird."
Auf russisches Geld zugreifen
Für den Wiederaufbau der Ukraine möchten die Führung in Kiew und Länder wie die baltischen Staaten auch auf eingefrorenes staatliches und privates russisches Geld zugreifen können. Aufgrund der Sanktionen gegen Russland haben allein westliche Zentralbanken rund 350 Milliarden US-Dollar der russischen Zentralbank eingefroren. Auch die Vermögen, Immobilien und Jachten steinreicher russischer Oligarchen ergeben eine Milliardensumme. Doch unter anderem Deutschland hat Bedenken, ob es mit internationalen Gesetzen vereinbar wäre, dieses Geld für den Wiederaufbau der Ukraine heranzuziehen.
Die Zahlen zum Wiederaufbau würden sich ändern, solange die Zerstörung durch Russland weitergeht. In Mykolajiw kämen die Behörden gar nicht nach, meint der schaufelnde Andreij. "Die Stadt kann das nicht schaffen. Ich habe heute frei und räume auf. Ich würde den Tag auch gerne anders verbringen und das den Behörden überlassen. Das ist eben Krieg."