
Türkisch-russischer Handel Ein Schlupfloch durch die Sanktionen?
Internationale Sanktionen - davon ist im boomenden Handel zwischen der Türkei und Russland nichts zu spüren. Werden so auch Handelsbeschränkungen umgangen? Ein Papier, das die Türkei unter Verschluss hält, ruft die EU auf den Plan.
Anfang August in der russischen Schwarzmeerstadt Sotschi: Wladimir Putin und Recep Tayyip Erdogan sitzen breitbeinig vor ihren Landesflaggen und beschließen, dass die zukünftige Währung für Geschäfte zwischen Russland und der Türkei der Rubel ist. Am Rande des Treffens lassen sie den türkischen Handelsminister und den stellvertretenden russischen Premierminister eine Absichtserklärung mit einem Fahrplan für den Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen unterschreiben.
Seitdem ist die Führung der Europäischen Union alarmiert, denn Ankara wolle Brüssel nicht verraten, was die Vereinbarung konkret beinhaltet, so EU-Kreise gegenüber der ARD. Erdogan ergänzt nach der Rückkehr in die Türkei, man wolle das Handelsvolumen mit Russland auf 100 Milliarden US-Dollar ausweiten.
Im Vergleich lag das Handelsvolumen der EU und der Türkei im Jahr 2020 bei 132,4 Milliarden Euro. Trotz des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine und trotz der westlichen Sanktionen gegen Putin und dessen Helfershelfer haben Erdogan und sein russischer Amtskollege offenbar Großes vor. Dabei scheint der türkische Präsident völlig zu ignorieren, dass zwischen der Türkei und der EU eine Zollunion besteht.
Russischer Gründungs-Boom
Das Ergebnis lässt sich bereits sehen. Innerhalb von wenigen Monaten sind 600 russische Firmen gegründet worden. Russen sind derzeit die Ausländer in der Türkei, die bei Immobilienkäufen auf Platz eins stehen.
Ein hochrangiger Beamter der Kommission in Brüssel zählt gegenüber der ARD auf, 600.000 Russen hätten sich in den vergangenen Monaten in der Türkei niedergelassen, Güterexporte und Importe von und nach Russland hätten sich seit August nahezu verdoppelt, Landtransporte über Georgien seien um bis zu 30 Prozent gestiegen.
An der türkisch-georgischen Grenze seien die Kapazitäten der Zollbehörden so ausgereizt, dass Ankara die Zolleinrichtungen an der Grenze ausbauen lässt. 80 Flüge gebe es täglich zwischen Russland und der Türkei.
Lediglich Geldströme seien bisher nicht nachvollziehbar. Seit Kriegsbeginn seien zahlreiche türkische Wirtschaftsdelegationen nach Russland geflogen und hätten offenbar alle möglichen Geschäfte angebahnt.
Chips durch die Hintertür
Großen Bedarf hat Russland an Chips und Halbleitern, die Putin für moderne Waffen benötigt. Aufgrund der Sanktionen sei es für Russland zunehmend schwierig, solche Güter auf dem Weltmarkt zu kaufen, so der Beamte.
Deshalb kaufe Russland aus Ländern, die sich an den Sanktionen nicht beteiligen, moderne Kühlschränke, Waschmaschinen oder gar Milchpumpen mit integrierten Chips. Die Rüstungsindustrie schlachte dann die Geräte aus. Bekannt sei beispielsweise eine Bestellung mehrerer 10.000 Milchpumpen aus der Türkei.
Besorgt sei man in Brüssel auch, dass Russland die Wartung ziviler Flugzeuge in der Türkei durchführen lassen könnte. Dort gibt es zahlreiche Flughäfen, auf denen Flugzeuge der russischen Fluggesellschaft Aeroflot landen könnten. Die Flugzeugparks der Unternehmen Turkish Airlines und Pegasus dürften ausreichend Ersatzteile im Lager haben.
Warnung aus den USA
Das US-Finanzministerium hat im August türkische Unternehmen bereits schriftlich verwarnt, keine Geschäfte mit Russland durch die Hintertür zu machen. Nun wurde auch in das Anfang Oktober verabschiedete EU-Sanktionspaket Nr. 8 ein Paragraf eingefügt, der türkischen Unternehmern Kopfzerbrechen bereiten soll.
Dort heißt es, dass Personen, Rechtsgebilde oder Organisationen, die Sanktionen umgehen, zur Destabilisierung der Ukraine beitragen und ebenfalls sanktioniert werden können.
Wohl um keinerlei Missverständnisse aufkommen zu lassen, welches Ziel dieser Paragraf hat, kam Anfang Oktober EU-Kommissarin Mairead McGuinness nach Ankara und traf den Finanzminister, den Handelsminister und den Gouverneur der Zentralbank. In einem Interview mit der englischsprachigen türkischen Tageszeitung "Hürriyet Daily News" sagte EU-Botschafter Nikolaus Meyer-Landrut, die EU habe ihre Sorgen gegenüber der Regierung deutlich gemacht; dies sei auch der Grund des Besuchs von Kommissarin McGuinness gewesen.
Türkische Verunsicherung
Man spüre bereits eine Verunsicherung bei der türkischen Wirtschaft, so der Beamte. Aber die Kommission wolle sich Warenströme von Produkten, die Chips und Halbleiter enthalten, nun noch genauer ansehen.
Die Türkei müsse darauf achten, dass sie keine Drehscheibe für den Handel mit Russland werde, weil das zu einem schweren Reputationsschaden führen könnte, warnte der EU-Repräsentant.