Die britische Premierministerin Liz Truss auf dem Parteitag der Tories.

Chaos bei den Tories Truss kämpft ums politische Überleben

Stand: 05.10.2022 08:46 Uhr

Unstimmigkeiten in der britischen Regierung über die Finanzierung von Steuersenkungen sorgen für Verunsicherung an der Basis der konservativen Tories. Premierministerin und Parteichefin Liz Truss gerät zunehmend unter Beschuss.

Von Christoph Prössl, London

Langsam wird es unübersichtlich bei den Kehrtwenden. Erst wurde eine geplante Reduzierung des Spitzensteuersatzes auf Einkommen gestrichen. Dann deutete Finanzminister Kwasi Kwarteng an, dass die Pläne zur Finanzierung eines ganzen Bündels von Steuersenkungen noch in diesem Monat vorgelegt werden sollen - und nicht erst im November. Eine Maßnahme, die die Finanzmärkte beruhigen sollte. Doch heute verkündete der Finanzminister dann die dritte Kehrtwende: Er sei missverstanden worden, doch keine vorgezogene Budgetplanung.

Die Verunsicherung an der Parteibasis wächst

An der Basis kommt das nicht gut an, viele sind verunsichert, kritisieren das Chaos, in das die neue Regierung um Liz Truss gestartet ist. Deutlich wurde das in den vielen Gesprächsrunden auf dem Parteitag der Konservativen. Eingeladen hatte zum Beispiel Jake Berry, der neue Geschäftsführer der Partei. Gekommen waren zahlreiche Mitglieder und Delegierte, die Fragen stellten rund um die Parteifinanzen, Parteiarbeit und den aktuellen Zustand der Konservativen.

Zwei Lokalpolitiker ließen ihrem Frust freien Lauf und berichteten, wie mühsam es derzeit sei, mit den Wählerinnen und Wählern an der Haustür ins Gespräch zu kommen. Alle wollten nur über den Streit in London reden, niemand über Lokalpolitik. In einer anderen Diskussionsrunde merkte ein Mitglied zugespitzt an: Es gebe ja bereits Stimmen, die empfehlen würden, dass die Konservativen sich in der Opposition neu sammeln müssten.

Kwasi Kwarteng und Liz Truss auf dem Tory-Parteitag

Der Spitzensteuersatz wird beibehalten, an anderen Plänen hält die Regierung fest. mehr

Truss betont Geschlossenheit ihrer Minister

Doch Neuwahlen stehen noch nicht an. Liz Truss kämpft ums politische Überleben. Innenministerin Suella Braverman verteidigte die Premierministerin in Birmingham und führte aus, warum sie für eine Reduzierung des Spitzensteuersatzes gewesen sei. Aber Teile der Partei hätten einen "Coup" angezettelt.

"Mehr ein Bürgerkrieg als ein Parteitag", Annette Dittert, ARD London, zur Kritik an Truss durch die Konservativen

tagesschau24 14:00 Uhr

Damit spielte sie auf zahlreiche Abgeordnete an, die angedeutet hatten, sie würden der Steuersenkung für die Reichen im Parlament nicht zustimmen. Darunter war auch Michael Gove, der ehemalige Minister zur Angleichung der Lebensverhältnisse, der die Pläne zur Reduzierung des Spitzensteuersatzes ganz offen in der BBC kritisiert hatte.

Liz Truss wies hingegen erneut auf die Geschlossenheit der Regierung hin. Ihre Minister stünden hinter den Wachstumsplänen, sagte sie dem Times-Radio. Die Premierministerin will mit zahlreichen Maßnahmen das Wachstum befeuern, unter anderem durch eine Reduzierung der Grunderwerbssteuer, der Unternehmenssteuer und des Eingangssteuersatzes für Einkommen. Ob diese schuldenfinanzierten Maßnahmen wirklich das Wachstum beflügeln, ist offen.

Liz Truss spricht in der BBC Sendung "Sunday Morning".

Premierministerin Truss sagte, man hätte die Pläne besser vorbereiten sollen, sie stehe aber zu dem Paket. mehr

Streit um Finanzierung von Steuersenkungen

Die Äußerungen der Premierministerin klingen allerdings wie das berühmte Pfeifen im Walde. Denn längst wird um die Finanzierung der Steuersenkungen gestritten, die noch unklar ist. Liz Truss wollte nicht zusichern, dass Sozialleistungen an die Inflation angeglichen werden. In einem Interview mit der BBC sagte sie, sie müsse "finanzpolitisch verantwortungsvoll" handeln - was wiederum andere kritisieren.

Die Sprecherin des Unterhauses, Penny Mordaunt, auch von der Konservativen Partei, sagte, es sei sinnvoll, Sozialleistungen im Rahmen der Inflation anzupassen. Dafür hätten sie und andere Abgeordnete in der Vergangenheit gestimmt.

Die Auseinandersetzung um die Finanzierung der Steuersenkungen könnte noch ziemlich hitzig werden. Neuwahlen wären für die Partei derzeit eine Katastrophe: In einer Umfrage aus der vergangenen Woche sagten 54 Prozent der Befragten, sie würden für Labour stimmen, nur 21 Prozent sprachen sich für die Konservativen aus. Vor diesem Hintergrund ist der Druck riesig, der auf Truss lastet.

Truss will am Mittag auf dem Parteitag der Tories in Birmingham eine mit Spannung erwartete Rede halten. Dabei wird sie voraussichtlich Stellung zu dem Paket nehmen, mit dem die Regierung die Wirtschaftskrise im Land bekämpfen will.

Christoph Prössl, Christoph Prössl, ARD London, 04.10.2022 18:10 Uhr