Schweine stehen in einem Stall.

EU-Parlament Reserveantibiotika bleiben in der Tiermast erlaubt

Stand: 16.09.2021 16:29 Uhr

Reserveantibiotika sollen eigentlich schwer kranke Menschen retten. Doch sie dürfen weiter in der Tiermast eingesetzt werden, entschied das EU-Parlament. Ärzte zeigen sich entsetzt und warnen vor mehr resistenten Keimen.

Von Helga Schmidt, Brüssel

Die Mehrheit des Europaparlaments sieht keinen Handlungsbedarf: Reserveantibiotika sollen auch künftig breitflächig in der Tiermast eingesetzt werden können. "Es ist ein schlechter Tag, wirklich ein ganz schlechter Tag für die Humanmedizin", sagt Martin Häusling sichtlich enttäuscht von der Abstimmung. Er hatte für die Grünen-Fraktion einen Antrag für strengere Antibiotika-Regeln in der Tiermast eingebracht.

"Große Herausforderung für die globale Gesundheit"

Unterstützung dafür kam im Vorfeld vom Weltärzteverband. Die Humanmediziner warnen seit langem vor immer mehr Resistenzen bei Menschen. Auch das deutsche Robert Koch-Institut bezeichnet diese Resistenzen als eine der "größten Herausforderungen für die globale Gesundheit".

Reserveantibiotika werden eingesetzt, wenn normale Antibiotika nicht mehr wirken - oft in lebensbedrohlichen Situationen. Deshalb will der Weltärzteverband sie vor allem für Menschen vorhalten.

Auch gesunde Tiere bekommen Antibiotika

Die Grünen-Politiker sehen die Gefahr, dass die breitflächigen Antibiotikagaben in der Tiermast zu weiteren Resistenzen führen. "Wenn das jetzt so bleibt, dann ist es so, dass der massenhafte Einsatz in der Hühner-, Puten- und Schweinehaltung so weitergeht", befürchtet Häusling.

Mehr als 60 Prozent aller Antibiotika werden nach seinen Angaben im Moment für landwirtschaftliche Nutztiere eingesetzt, nicht für Menschen. Die hohe Zahl kommt zustande, weil auch gesunde Tiere die Antibiotika bekommen. Sie werden zur Vorsorge an ganze Ställe gegeben, beigemischt im Futter oder im Trinkwasser, man will auf diese Weise Erkrankungen bei Schweinen und Geflügel vorbeugen.

Putenstall (Symbolbild)

Auf Putenfleisch finden sich laut einer Stichprobe noch immer Keime, die gegen Antibiotika resistent sind. mehr

Hähnchen oft mit multiresistenten Keimen verseucht

Nach Angaben von Umweltorganisationen sind viele Hähnchenproben infolge des massiven Antibiotikaeinsatzes mit resistenten Keimen belastet. Für die Milch gelten dagegen deutlich strengere Regeln. Wenn eine Kuh zum Beispiel wegen einer Euterentzündung mit einem Antibiotikum behandelt werden muss, darf die Milch mehrere Wochen nicht geliefert werden, sie kommt nicht in den Verkehr. Schweine- und Geflügelzüchter verweisen darauf, dass sie erkrankte Tiere in den großen Massenställen nicht isoliert behandeln können.

Reserveantibiotika in der Tiermedizin nur noch in Ausnahmefällen einzusetzen - der Vorschlag der Grünen hatte eine Protestwelle von Tierärzten und Pharmaherstellern ausgelöst. Ihr Argument: Dann könnten auch Haustiere nicht mehr mit den vielleicht lebensrettenden Antibiotika behandelt werden. Die Grünen beteuerten, das sei nicht ihre Absicht, eine solche Einzeltierbehandlung von Pferden, Hunden und Wellensittichen sei weiter möglich.

CDU blockiert

Abgelehnt wurde der Antrag für eine Einschränkung mit den Stimmen der größten Fraktion im Europaparlament, den Christdemokraten. Der CDU-Politiker Norbert Lins, Vorsitzender des Agrarausschusses, nennt die Gründe: "Reserveantibiotika sind sowohl für Menschen als auch für unsere Tiere wichtige Medikamente, die Leben retten können". Schon jetzt gebe es Einschränkungen, nicht alle Reserveantibiotika dürften in der Tiermast eingesetzt werden.

Von einem "Aufatmen bei Tierärzten und Tierhaltern"  berichtet das Fachmagazin Top Agrar und zitiert den Bundesverband Praktizierender Tierärzte. Die Entscheidung des Europaparlaments sei ein Ergebnis "zum Wohle der Tiere und des Tierschutzes", so die Tierärzte-Organisation.

Dieses Thema im Programm: Dieser Beitrag lief am 16. September 2021 um 17:10 Uhr auf B5 aktuell.