Ein toter Fisch liegt auf Steinen im flachen Wasser des deutsch-polnischen Grenzflusses Oder.

Polen Droht eine neue Oderkatastrophe?

Stand: 13.07.2023 03:30 Uhr

Keine Fische in Sicht und auch der Kanal scheint tot. Angler haben in der Nähe der Oder erneut tote Fische gefunden, die an der Oberfläche trieben. Unternimmt die Regierung genug zum Schutz des Flusses?

Mit dem Boot die Oder hoch und links in den Gleiwitzer Kanal rein. Grzegorz Marcinkiewicz steuert und filmt. Er ist Angel-Influencer. Seine Videos kommen bei YouTube auf mehrere Hunderttausend Views - auch wenn es seit Monaten kaum noch ums Fische fangen geht, sondern vor allem um die Oder. Neben dem Steuer hat Marcinkiewicz einen kleinen Monitor angebracht, ein Sonar.

Damit könne er kleinste Details im Wasser finden. "Wenn ein Reifen auf dem Grund im Schlick vergraben ist, kann ich ihn mit dem Sonar sehen", das Wasser sei aber "völlig leer", erklärt der Angelinfluencer.

Kein Fisch, der Kanal scheint tot. Und ganz in der Nähe hat Marcinkiewicz schon im April erneut tote Fische gefunden, die an der Oberfläche trieben. Das Wasser ist für die Fische tödlich. Schuld seien vor allem die großen Bergbauunternehmen, die Minen, sagt er. Und die Regierung unternehme nichts zum Schutz der Oder.

Suche nach Lösungen

So ganz stimmt das nicht - denn Anfang Juli findet in Warschau bei der Obersten Kontrollkammer Polens eine Anhörung zur Lage an der Oder statt. Eingeladen ist auch Agnieszka Kolada vom staatlichen Institut für Umweltschutz. Sie berichtet von drei Versuchen, bei denen Substanzen ins Wasser gegeben wurden, um die tödliche Alge zu bekämpfen.

Laut Kolada führen alle drei Substanzen "zu relativ zufriedenstellenden Ergebnissen" aber nur in einem begrenzten Umfang und für kurze Zeit. Denn sehr schnell seien sowohl die "Primnesium Parvum-Alge" als auch das Gift zurückgekommen.

Eine Lösung für das ganze Ökosystem Oder seien sie also nicht. Die Substanzen seien laut Medienberichten Eisenchlorid, Bentonit-Ton und Wasserstoffperoxid. Auch Entsalzungsanlagen, sagen die eingeladenen Experten, seien zwar theoretisch denkbar, innerhalb der nächsten Jahre aber kaum umzusetzen.

Karte mit Deutschland, Polen, Tschechien und dem Flussverlauf der Oder

Viele Hindernisse

Dabei gab es sogar schon mal Versuche in diese Richtung, erklärt der Fischereiexperte Bogdan Wziatek von der Universität Ermland-Masuren. Aber sie wurden eingestellt, denn vieles sei aus Bequemlichkeit unterlassen worden. Das Entsalzen steigere die Kosten der Kohleproduktion - das sei nicht rentabel. "2002 wurde ein Entsalzungsbetrieb am Fluss Rudna fast vollständig eingestellt. Der damalige Wirtschaftsminister hatte festgestellt, dass es die Kohleförderung zu teuer macht", erklärt Wziatek.

Abgesehen von der Frage, sagt der Fischereiexperte Wziatek, dass allein die Salzwasserwelle, die letzten Sommer die Oder herunterkam, etwa 30 Millionen Kubikmeter groß war. Das zu entsalzen und das Industriesalz wiederum zu entsorgen, ziehe noch ganz andere Probleme nach sich.

Forderungen nach mehr Schutz

Einen Tag später demonstriert Greenpeace Polen vor dem Sejm, dem Parlament in Warschau, während drinnen über ein Gesetz zum Schutz der Oder beraten wurde. An die Salzwassereinleitungen aus der Industrie will aber auch hier niemand ran, sagt Marta Gregorzyk von Greenpeace.

"Das Gesetz geht auf die echten Probleme gar nicht ein: dass nämlich die Oder die ganze Zeit mit Abwässern aus den Steinkohlebergwerken versalzt wird. Stattdessen gibt es Kapitel zum weiteren Ausbau der Oder. Wir nennen das Gesetz: Beton und Salz, denn das ist es im Wesentlichen." Auf einem Tablett präsentiert eine Demonstrantin den vorbeieilenden Abgeordneten Brot und Salz - der Brotlaib ist aus Beton.

Ganzes Ökosystem sei betroffen

Auch Andrzej Swietach ist angereist, vom Anglerverein in Breslau. Er erklärt, dass das Monitoring, die Überwachung und das Beseitigen der toten Fische zu spät käme. "Es sterben ja nicht nur die Fische, sondern das ganze Ökosystem. Alles ist miteinander als Nahrungskette verbunden."

Der Winter habe die Alge nicht abgetöten können. Schon im April sei sie wieder sehr dicht gewachsen. Die Angler sind in den letzten Monaten zu geachteten Oderexperten geworden. Sie haben als erstes gewarnt - im vergangenen Jahr genau wie in diesem.

Auch der Angel-Influencer Marcinkiewicz sieht die Oder auf den nächsten Kollaps zusteuern, "ich denke, das wird alles nochmal passieren, weil wir seit letztem Jahr nichts getan haben." Die Sole würde in einer unglaublich hohen Konzentration eingeleitet, die Temperaturen stiegen und Jahr für Jahr gäbe es weniger Wasser in den Flüssen. "Wir wissen, dass es wieder passieren wird, denn es ist immer dasselbe Muster", sagt Marcinkiewicz.

Martin Adam, ARD Warschau, tagesschau, 13.07.2023 06:10 Uhr