Eine Gasförderanlage in Garelsweerd, in der niederländischen provinz Groningen.

Schäden durch Erdbeben Die Niederlande drehen den Gashahn zu

Stand: 23.06.2023 20:07 Uhr

Nach 60 Jahren und Gewinnen in Milliardenhöhe wird in den Niederlanden ab Herbst kein Erdgas mehr gefördert. Den Schritt sehen viele als längst überfällig - denn die Förderung löste immer wieder Erdbeben aus.

Die Niederlande stoppen nach rund 60 Jahren die Förderung von Erdgas. Die Produktion aus den Gasfeldern in der nordöstlichen Provinz Groningen werde zum 1. Oktober eingestellt, teilte der zuständige Staatssekretär Hans Vijlbrief in Den Haag mit. Es ist ein historischer Schritt, auch wenn die Entscheidung erwartet worden war. Grund sind die großen Schäden durch zahlreiche Erdbeben. "Wir drehen den Hahn wirklich zu", erklärte der Staatssekretär.

Die unterirdischen Gasfelder bei Groningen im Norden der Niederlande sind die größten Vorkommen in Europa. Vijlbrief sprach von einem "wichtigen Moment nach Jahrzehnten der Gasförderung und besonders den Folgen dieser Gasförderung für Groningens Bewohner". Die Probleme der Bevölkerung würden damit nicht sofort beseitigt, "aber die Quelle allen Leides wird ab Oktober geschlossen sein."

Gasförderung löste 1600 Erbeben aus

Das Erdgasfeld war 1959 entdeckt worden und machte die Niederlande nach Norwegen zum größten Erdgasproduzenten Europas. Seit 1963 wurden mehr als 2300 Milliarden Kubikmeter gefördert, davon etwa die Hälfte für den Export, auch nach Deutschland. Der Staat verdiente gut daran: mehr als 360 Milliarden Euro, die beteiligten Öl-Gesellschaften Shell und Exxon Mobil rund 66 Milliarden Euro. Doch die Produktion führte über die Jahre zu rund 1600 Erdbeben. Zehntausende Gebäude wurden schwer beschädigt, etwa 100.000 Menschen waren betroffen.

In den letzten Jahren herrschte vor allem Wut und Verzweiflung bei den Bürgern, die nach Jahren noch immer nicht entschädigt wurden. Eine parlamentarische Untersuchungskommission kam im Frühjahr zu dem vernichtenden Urteil: Der Staat und die Ölkonzerne Shell und Exxon Mobil hatten die Sicherheit der Bürger jahrzehntelang systematisch missachtet. "Geld war wichtiger als Sicherheit und Gesundheit", hieß es darin. Regierung und Ölkonzerne räumten Fehler ein, auch eine Shell-Führungskraft sprach sich für eine Schließung des Feldes aus. Im April sagte die Regierung den geschädigten Regionen 22 Milliarden Euro Entschädigung zu.

Wegen der Energiekrise wurde weiter gefördert

Die Gasförderung war wegen der Erdbebengefahr schon in den vergangenen Jahren zurückgefahren worden. 2021 wurden in Groningen nur noch 4,5 Milliarden Kubikmeter Gas gefördert. In früheren Jahren waren es über 20 Milliarden Kubikmeter gewesen. Schon 2022 sollte die Gasförderung ganz eingestellt werden.

Angesichts der weltweiten Energiekrise im Zuge des russischen Angriffskriegs in der Ukraine erklärte die Regierung aber im vergangenen Herbst, dass doch erneut 2,8 Milliarden Kubikmeter Gas entnommen werden sollten - die nötige Mindestmenge, um die bestehenden Standorte und Infrastrukturen zu betreiben.

Gasfeld soll als Notreserve noch ein Jahr bestehen

Die Regierung unter Ministerpräsident Mark Rutte entschied nun in einer Kabinettssitzung, die Produktion bis zum 1. Oktober komplett einzustellen. "Aufgrund der unsicheren internationalen Situation" werde es ein weiteres Jahr lang möglich bleiben, in "sehr außergewöhnlichen Situationen" an dem Standort Gas zu entnehmen, erklärte die Regierung - etwa bei sehr strenger Kälte oder bei Gasmangel. Bis Oktober 2024 würden die letzten elf Bohrlöcher dann dauerhaft geschlossen.

In dem Feld befinden sich schätzungsweise noch 450 Milliarden Kubikmeter Erdgas. Das entspricht in etwa dem Gasverbrauch des Landes von zehn Jahren. Nach Angaben der Regierung ist die Energieversorgung gesichert, die Gasspeicher seien gut gefüllt.