
Energieabhängigkeit von Russland "Moldau schafft das alleine nicht"
Der Krieg gegen die Ukraine hat auch auf Moldaus Energiepreise verheerende Auswirkungen. Das Land bezieht 80 Prozent des Gases aus Russland. Präsidentin Sandu wirft Moskau vor, die Regierung in Chisinau stürzen zu wollen.
Von Andrea Beer, WDR, zzt. Chisinau
Cristina Tocari aus Chisinau hat in Frankreich studiert und ist viel gereist. Freiheit, sagt die junge Frau mit den langen braunen Haaren, sei wichtig für sie. "Es ist das Gefühl, dass niemand dich zwingen kann etwas zu tun oder irgendwo zu sein", sagt sie. "So definiere ich mich als Mensch."
Cristina Tocari und ihr Freund Adrian Plesca recyceln Plastik und machen daraus Schmuck. Für ihr Recycling-Start-up haben sie im riesigen alten Postgebäude von Chisinau ein paar hohe Büroräume mit roten, rauen Backsteinwänden gemietet, es ist empfindlich kalt. "Wir machen die Heizung garantiert nicht an, denn das ist ein altes sowjetisches System und allein das Anstellen würde ein paar hundert Euro kosten", sagt Adrian Plesca.

Cristina Tocari und Adrian Plesca heizen in ihren Start-up-Räumen kaum noch. Bild: Andrea Beer/WDR
Gas kommt zu 80 Prozent aus Russland
Ungeheizte Räume in Büros oder Schulen und spärliche Beleuchtung zu Hause und im öffentlichen Raum - das ist für viele Alltag. Kurz vor dem Winter sind die Energiepreise ins Unermessliche gestiegen. Der Grund: Moldau bezieht rund 80 Prozent des Gases vom russischen Staatskonzern Gazprom, der zudem die Mehrheit hält an der moldauischen Moldovagaz.
Gazprom hat die Preise mehrfach stark erhöht und liefert seit Kurzem rund ein Drittel weniger Gas für Moldau. Als Grund werden ausstehende Schulden angeführt, was die pro-europäische moldauische Führung vehement bestreitet. In den letzten Monaten ist Energie ständig teurer geworden - auch für Unternehmen. Und seit Anfang November müssen die Menschen wieder ein Drittel mehr hinlegen.
"Energieverletzlichkeit führt zu Erpressbarkeit"
Die Energieversorgung des Landes sei eine tägliche Herausforderung, so Präsidentin Maia Sandu diese Woche im rumänischen Parlament. Selbst wenn die Regierung ihr Möglichstes tue, um den Menschen mit geringem Einkommen beizustehen, dann seien die Ausgaben einer Familie für Energiekosten noch immer auf bis zu 75 Prozent ihres Einkommens gestiegen, sagt sie.
"Unsere Energieverletzlichkeit führt zu politischer Erpressbarkeit und Einmischung in die Demokratie, in die Innen- und Außenpolitik", so Sandu. Moldau ist seit Kurzem EU-Beitrittskandidat und der strikt europäische Kurs der Regierung ist Moskau schon lange ein Dorn im Auge.
Russland wolle die moldauische Regierung schwächen und stürzen, ist Präsidentin Sandu alarmiert. Zum Beispiel mit wochenlangen Protesten, die ein kremltreuer steinreichen Unternehmer finanzierte - so die Erkenntnis der Staatsanwaltschaft.
Marionettenregime in der "Republik Transnistrien"
Hinzu kommt die tiefe Spaltung der ehemaligen Sowjetrepublik. Seit einem Krieg Anfang der 1990er-Jahre besteht im Osten die selbst ernannte "Republik Transnistrien", in der unter anderem 2000 russische Soldaten stationiert sind. Auf dem Gebiet dieses Marionettenregimes steht auch das Kraftwerk, das ganz Moldau mit Energie versorgt.

Energieexperte Sergiu Tofilat war Berater von Moldaus Präsidentin Maia Sandu. Bild: Andrea Beer/WDR
Russlands Präsident Putin habe die moldauische Reformregierung von Anfang an mit hohen Energiepreise untergraben, sagt Sergiu Tofilat, Energieexperte der Organisation Watchdog in Chisinau und früher Berater der jetzigen Präsidentin in Energiefragen.
"In der jetzigen Lage macht es Sinn einen Kompromiss zu suchen. Beide Seiten - Chisinau und die selbst ernannte Republik Transnistrien - hängen nun einmal voneinander ab, was die Infrastruktur der Energie angeht", sagt er. Bis der Krieg in der Ukraine endet, müssten beide Seiten ins Gespräch gehen. "Wir können die EU-Integration noch mehr beschleunigen, aber all das geht nur mit westlicher Unterstützung, denn Moldau schafft das alleine nicht", sagt der Energieexperte.
Winter steht bevor, Hoffnung bleibt
Zumal das kleine Moldau vergleichsweise die meisten Geflüchteten aus der Ukraine aufgenommen hat. Im Juli dieses Jahres sicherte eine Geberkonferenz Moldau 600 Millionen Euro zu, die an arme Privathaushalte, aber auch in unabhängige Energiestrukturen fließen sollen. Eine weitere Geberkonferenz steht in diesem Jahr noch an. Doch auch der Winter steht vor der Tür und mit ihm die zermürbende Sorge vor dem knallharten Energiedruck aus Moskau.
Auch die Juristin Ludmila macht sich Gedanken. "Persönlich geht es uns sehr schlecht, weil die Preise steigen, während die Löhne gleich bleiben. Physisch und moralisch ist es sehr schwierig, vor allem wenn du Kinder hast, für deren Erziehung und Ernährung du sorgen musst", sagt sie. Auch wenn sie derzeit nicht wisse, wie es weitergehen soll: Noch hoffe sie auf ein gutes Ende.

Cristina Tocari und ihr Freund halten an ihrem Start-up in Moldau fest - müssen aber sparen. Bild: WDR
Weniger Raum, weniger heizen
Cristina Tocari und ihr Freund Adrian Plesca sind beide 24 Jahre alt und leben zeitweise im Ausland. Ihr Recycling-Start-up möchten sie aber in Moldau weiter aufbauen, ungeheizte Büroräume hin oder her.
"Letztes Jahr haben wir etwas eingezogen, dass die hohen Decken niedriger sind und wir weniger Raum haben zum Heizen", sagt Plesca. "Wir haben auch überlegt, dass wir diesen Winter einfach weniger Räume benutzen, um noch weniger heizen zu müssen."