Ein Mähdrescher erntet Weizen auf einem Feld in der Nähe des Dorfes Kivshovata in der Region Kiew, Ukraine.

Annäherung zwischen Ukraine und Polen "Daraus kein Drama machen"

Stand: 22.09.2023 14:36 Uhr

Polen und die Ukraine sind eigentlich enge Verbündete. Doch der Getreidestreit eskalierte. In der Ukraine vermutet man einen Zusammenhang mit dem polnischen Wahlkampf. Nun gibt es versöhnliche Töne aus Warschau.

Von Andrea Beer, ARD Kiew

Ein Mähdrescher pflügt sich durch ein riesiges Sonnenblumenfeld nahe Schestirna im südostukrainischen Gebiet Dnipropetrowsk. Oleksandr Rybjanin macht sich keine Illusionen: In diesem Jahr habe er noch nichts verkauft, sagt der Bauer. "Es hat keinen Sinn zu verkaufen, weil wir keinen Gewinn machen."

Rybjanin ist beileibe nicht der Einzige, der seine Ernte nicht loswird. Seit Beginn der russischen Großinvasion blockiert Moskau ukrainische Häfen am Schwarzen Meer und hält Zugangspunkte zum Asowschen Meer besetzt. Russland stieg zudem aus dem von den UN vermittelten Getreideexportabkommen aus und greift Hafenanlagen, Lagerhallen und Getreidesilos an. Betroffen sind auch ukrainische Donauhäfen, über die der Export nun vorwiegend abgewickelt werden muss.

Hinzu kommt: Entgegen der Entscheidung der EU-Kommission halten Ungarn und Polen am Importstopp für günstigeres Getreide aus der Ukraine fest.

Zusammenhang mit polnischem Wahlkampf?

"Freunde wenden sich gegen uns, und der Schauspieler aus Moskau kann die Bühne betreten", so machte sich Präsident Wolodymyr Selenskyj diese Woche vor dem UN-Sicherheitsrat Luft. Der polnische Regierungschef Mateusz Morawiecki deutete daraufhin an, Kiew keine Waffen mehr liefern zu wollen.

Man solle all das nicht zu hoch hängen, findet Taras Sagorodny von der regierungsunabhängigen Denkfabrik "Nationale Antikrisengruppe": "Polen liefert schon seit einem Jahr keine Waffen, weil sie der Ukraine schon alle sowjetischen Waffen, die sie hatten, geliefert haben. (…..) Sie rüsten ihre Armee wirklich auf und kaufen etwa südkoreanische Panzer."

Sagorodny meint, dass es einen Zusammenhang mit den anstehenden Wahlen in Polen gebe: "Sie zeigen, wie sie ihre nationalen Interessen verteidigen. Und deshalb glaube ich auch nicht, dass man daraus ein Drama machen muss."

"Es gibt nur einen Feind - Russland"

Ähnlich bewertet auch Mykola Dawydtschuk den Streit, für dessen Beilegung er sich einen Runden Tisch unter EU-Regie vorstellen kann. Dies sei nur logisch, weil Polen für seine Landwirtschaft hohe Subventionen aus Brüssel erhalte, sagt der Politikanalyst. In der Ukraine betrachten man den Streit als ein vorübergehendes Problem, das mit den polnischen Wahlen zusammenhängt:

Ich bin sicher, dass nach dem Wahlkampf alles wieder in Ordnung kommt. Wir möchten auch, dass solche politischen Probleme nicht zu Meinungsverschiedenheiten zwischen den Partnern in Europa führen, da wir wissen, dass es nur einen Feind gibt - und das ist Russland.

Die Probleme beim Getreidehandel müssten aber angesprochen und gelöst werden, sagt Dawydtschuk. Auf Seiten Polens - aber nicht auf dem Rücken ukrainischer Geflüchteter oder verbunden mit Drohungen, keine Waffen mehr zu liefern.

Der offene Streit mit Polen tue ihm sehr weh, kommentierte wiederum der ukrainische Schriftsteller Juryj Schtscherbak den Konflikt, von dem allein Moskau profitiere. Warschaus Ärger über die Äußerungen Selenskyjs kann Ex-Diplomat Schtscherbak jedoch nachvollziehen:

Unverschämtheit und Drohungen gegenüber einem befreundeten Staat sind kein Zeichen unserer Stärke - und böswillige Hinweise auf Zusammenarbeit mit dem Feind nicht gerade der Gipfel diplomatischer Weisheit.

Duda beruhigt die Lage

Emotionen kühlen und einen konstruktiven Zugang finden, damit meldete sich inzwischen der polnische Präsident Andrzej Duda zu Wort. Es gebe Aspekte, die vielleicht umstritten seien und Äußerungen, die man hätte anders formulieren könne, sagte er im polnischen Fernsehen.

Die Landwirtschaftsminister beider Länder telefonierten - und jede Einigung im Getreideexportstreit ist auch im Sinne von Bauer Rybjanin. Denn ihn hat es unendlich viel Kraft und Mühe gekostet, die Felder zu bestellen. "Als die russischen Besatzer von hier vertrieben wurden, war alles mit Unkraut überwuchert und die Felder wurden vermint", berichtet er. Es habe viel Mühe gekostet, die Minen zu räumen und das Land in einen Zustand zu bringen, "dass wir in diesem Jahr säen konnten. Wir haben den ganzen Winter daran gearbeitet".

Unterdessen verließ heute ein weiterer Getreidefrachter den Hafen von Tschornomorsk. Das ukrainische Infrastrukturministerium teilte mit, die "Aroyat" fahre unter der Flagge Palaus und habe knapp 18.000 Tonnen ukrainischen Weizen für Ägypten an Bord.

Andrea Beer, ARD Kiew, tagesschau, 22.09.2023 13:59 Uhr