Bäcker Jean-Yves Bouillers in seiner Backstube in Paris (Frankreich)
Europamagazin

Inflation und Energie Droht Frankreich eine Baguette-Krise?

Stand: 22.10.2022 14:38 Uhr

Die Inflation in Frankreich ist vergleichsweise niedrig - und doch ist die Stimmung im Land angespannt. Bald könnten die steigenden Preise ein Nationalsymbol treffen - das Baguette. Und dann?

In rasender Geschwindigkeit werden die langen, rohen Teigwürmer auf das überdimensionierte Backblech gelegt, einer nach dem anderen. Hier in der Bäckerei im 15. Arrondissement von Paris ist alles Handarbeit. Es entsteht das französische Nationalsymbol: das Baguette. Noch kurz mit der Rasierklinge einritzen, damit das Brot besonders knusprig wird. Dann geht es ab in den Ofen.

So entstehen in Jean-Yves Bouillers Backstube jeden Tag 600 bis 700 Baguettes. Seit acht Jahren betreibt er die Bäckerei "Le Moulin de la Croix-Nivert". Doch die aktuelle Situation macht dem Bäcker zu schaffen: "Die Preise aller unserer Grundzutaten sind nicht nur gestiegen, sie sind explodiert. Mehl ist jetzt 25 bis 30 Prozent teurer, Salz und Zucker 80 Prozent. Und Butter ist doppelt so teuer."

Wegen der steigenden Kosten hat er schon die Preise erhöhen müssen: "Das klassische Baguette hat ein Euro gekostet, jetzt sind wir bei 1,05 Euro. Also erst mal fünf Cent mehr. Aber wenn der Staat nichts tut, kostet das irgendwann 1,40 Euro oder 1,50 Euro", erklärt er.

Baguette in Frankreich bald unbezahlbar?

Friederike Hofmann, ARD Paris, Europamagazin 12:45 Uhr

Der Baguettepreis - ein Politikum

Steigende Preise sind in Frankreich immer ein großes Thema, und gerade der Baguettepreis ist ein Politikum. "Das Baguette in Frankreich hat eine riesige Symbolik. Es muss für alle erschwinglich bleiben, egal für wen, ob reich oder arm. Jeder hat Recht auf sein Baguette", so Bouiller.

Anders als die meisten anderen Unternehmen und Haushalte in Frankreich, bekommt Bouiller bisher keine staatliche Förderung. "Bisher werden nur kleinere Bäckereien mit weniger Energieverbrauch bezuschusst", erklärt er.

Die Boulangerie von Bäcker Jean-Yves Bouillers in Paris (Frankreich)

Hunderte Baguettes gehen in der Boulangerie von Bäcker Bouillers jeden Tag über den Ladentisch - steigen die Preise, dürfte sich das auf die Nachfrage auswirken.

Bald steigen die Energiekosten sprunghaft an

20 Minuten bei 255 Grad müssen die Baguettes backen - immer ganz frisch, den ganzen Tag über. Der Ofen braucht viel Energie. Bouiller graut es vor dem Jahresende. Dann läuft sein aktueller Stromvertrag mit einem fixierten Preis aus: "Wir erwarten, dass sich die Kosten für Energie verdreifachen werden. Wir werden von 3500 Euro auf 10.000 Euro pro Monat hochgestuft."

Er hat Sorge, dass er seine Preise noch weiter erhöhen muss. Wie viel Zündstoff in steigenden Preise in Frankreich steckt, merkt man im Land seit Wochen. Raffineriearbeiter haben mit Streiks viele Regionen lahmgelegt. Ihre Forderung: an die steigenden Preise angepasste Löhne. Die Konsequenz. Vielerorts gab es einfach kein Benzin mehr.

Zuschuss, aber kein Benzin

Damit hatte auch Bäcker Bouillers zu kämpfen. Jeden Morgen liefert er Baguette und Backwaren an ein Restaurant auf der anderen Seite der Stadt. Benzin zu bekommen war für ihn in den letzten Wochen eine Herausforderung. In der Region Paris hatten durch die Streiks mehr als die Hälfte der Tankstellen Nachschubprobleme.

Da hilft auch nichts, dass die französische Regierung seit Monaten den Benzinpreis mit einem Zuschuss von 30 Cent pro Liter drückt. "Das ist eine gute Maßnahme", so Bouiller. "Ursprünglich sollte sie bis Ende Oktober laufen. Jetzt wurde sie bis Mitte November verlängert. Es gibt also diesen Rabatt, aber an den Tankstellen wegen der Streiks kein Benzin."

Bäcker Jean-Yves Bouillers in seiner Backstube in Paris (Frankreich)

Baguette bald um die Hälfte teurer? Bäcker Bouillers sorgt sich um die Preisentwicklung.

Inflation ausgebremst

Der bis Mitte November laufende Benzinpreiszuschuss ist eine der zahlreichen Maßnahmen, wie die französische Regierung die Inflation ausbremst. Der Staat übernimmt einen großen Teil der zusätzlichen Produkte einfach selbst. Somit hatte Frankreich Ende September mit geschätzt 6,2 Prozent die niedrigste Inflationsrate in Europa.

Für die Maßnahmen greift der ohnehin schon stark verschuldete französische Staat tief in die Tasche: Mehr als 100 Milliarden Euro nimmt der Staat in die Hand, um seine Bürgerinnen und Bürger vor Preissteigerungen zu schützen.

Gas und Strom gedeckelt

Nathalie Andrieux-Hennequin ist Sozialarbeiterin. Sie lebt mit ihrem Hund in einem kleinen Häuschen in Bezons, einem Vorort gut zehn Kilometer von Paris entfernt. Ihre drei Kinder sind vor Kurzem ausgezogen. Gerade bei geringeren Einkommen schlagen die steigenden Lebensmittelpreise zu Buche.

Nathalies Strom- und Gaspreis dagegen ist nur leicht angestiegen. Denn für alle Haushalte sind Strom und Gas gedeckelt. Maximal 15 Prozent Preissteigerung bis Ende 2023 - im Vergleich zum Vorkrisenniveau. Alles darüber übernimmt der Staat. Allein 45 Milliarden Euro sind dafür im Jahr 2023 vorgesehen.

Schätzungen zufolge übernimmt der Staat bereits jetzt bis zu 70 Prozent der gestiegenen Strom- und Energiekosten. "Daran geht kein Weg vorbei. Es gibt viel sozialen Sprengstoff und sonst explodiert das hier richtig. Der Staat geht gegen die Preissteigerungen so vor, damit nicht das ganze Land auf die Straße geht", so Andrieux-Hennequin.

Noch bleiben die Demos überschaubar

Sie, die auch gewerkschaftlich engagiert ist, ist vergangene Woche bei der Demo für höhere Löhne mitgelaufen. In vielen Städten gab es Demonstrationen, es waren aber bei Weitem nicht so viele Menschen wie bei anderen sozialen Protesten im Land auf der Straße.

Andrieux-Hennequin setzt sich für mehr Kaufkraft ein. Dass die Belastung in Frankreich wegen der staatlichen Maßnahmen geringer ist als in anderen europäischen Ländern, ist für sie kein Thema: "Dass es woanders schlimmer ist als in Frankreich, heißt ja nicht, dass man nichts kritisieren sollte. Nur wenn Leute kämpfen, kann man auch erreichen, dass sich Reichtum anders verteilt."

Hoher Preis

Frankreich zahlt für die Maßnahmen einen hohen Preis: eine Verschlechterung der ohnehin schon erheblichen Staatsverschuldung. Die Frage ist, wie lange Frankreich sich den Kurs noch leisten kann.

Bäcker Bouiller hofft, dass seine Bäckerei wie viele andere Unternehmen bald auch Zuschüsse bekommt. Selbst wenn die Staatsverschuldung durch die Maßnahmen steigt, sei es wichtig, die Wirtschaft so am Laufen zu halten. "In Frankreich gibt es grundsätzlich viel staatliche Unterstützung. Die wird natürlich auch durch unsere Abgaben finanziert. Wenn es durch Unternehmenspleiten weniger Menschen gibt, die einzahlen, kann auch weniger Menschen geholfen werden. Dann bricht alles auseinander", so Bouiller.

Er möchte, so gut es geht, verhindern, dass er seine Preise weiter erhöhen muss. Denn gerade beim Baguette sei die Wirkung ungemein.

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Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtet das Erste im "Europamagazin" am 23. Oktober 2022 um 12:45 Uhr.