Emmanuel Macron vor einer Säule und einem Mann in traditioneller Uniform
analyse

Kabinettsumbau in Frankreich Neue Regierung, alte Probleme

Stand: 21.07.2023 17:34 Uhr

Das Stühlerücken im französischen Kabinett offenbart Differenzen zwischen Präsident Macron und Regierungschefin Borne - während die Bevölkerung Antworten auf grundlegende Fragen erwartet.

Es muss eine ziemlich seltsame Stimmung gewesen sein auf der Gartenparty im Élysée-Palast - kurz vor der Sommerpause. So beschreiben es Kolleginnen der Zeitung "Le Monde", die am Dienstagabend vor Ort waren. Denn bei Barbecue und Chanson-Klassikern war schon klar, dass einige der versammelten Regierungsmitglieder bald einen neuen Job brauchen würden. Nur noch nicht, wer.

Vor allem Regierungschefin Elisabeth Borne dürfte über die tagelange Hängepartie nicht erfreut gewesen sein. Außerdem hatte sie sich, anders als Präsident Emmanuel Macron, deutliche Veränderungen gewünscht. Der Politikwissenschaftler Bruno Cautres nennt mögliche Gründe für diese Differenzen.

Zum einen stehe die Premierministerin in vorderster Reihe - "vor allem in der schwierigen Situation wie jetzt, wenn es keine absolute Mehrheit im Parlament gibt", so Cautres. Außerdem müsse Borne dafür sorgen, dass das Regierungsteam funktioniere und arbeiten könne.

Elisabeth Borne (aufgenommen am 19. Juli 2023)

Elisabeth Borne ist seit gutem einem Jahr Ministerpräsidentin Frankreichs. Zu ihren Aufgaben gehört etwa die Umsetzung Macrons umstrittener Rentenreform.

Kein Wort des Lobes für Borne

"Vermutlich kennt sie die Stärken und Schwächen der Minister am besten. Und vielleicht wollte sie einen echten Neustart für ihr Team, um ihre Regierung wieder stärker und glaubwürdiger zu machen", so Cautres.

Bereits am Montagabend hatten ein paar französische Journalisten die lapidare Nachricht erhalten, dass der Präsident sich entschieden habe, Borne im Amt zu behalten. Ohne ein Wort der Unterstützung oder gar des Lobes für die Arbeit der Regierungschefin.

Insgesamt sei diese Regierungsumbildung kein großer Wurf, findet Eric Coquerel. Er ist Abgeordneter der Linkspartei La France Insoumise. Im Grunde ändere sich nicht viel, sagt er. "Die Politik dieser Regierung wird im Élysée-Palast gemacht - und im Großen und Ganzen kennen wir die."

"Politische Sackgasse"

"Madame Borne ist im Amt geblieben, weil es niemanden gibt, der immer den Kopf hinhalten will. In einer Situation, in der das Regierungslager keine Mehrheit hat und politisch in der Sackgasse steckt", so Coquerel. Eine Mehrheit hat das Regierungslager im Parlament schon - nur eben keine absolute, was es schwer macht für Präsident Macron, seine oft ambitionierten Projekte durchs Parlament zu bekommen.

Für den Politologen Cautres hätte es eine Möglichkeit gegeben, diese Situation zu ändern - "indem man zum Beispiel Vertreter der konservativen Republicains in die Regierung holt. Um sie sozusagen Stück für Stück ins Präsidentenlager zu ziehen."

Die Republicains hätten zum Beispiel den Vorsitz im Oberhaus, so Cautres - außerdem im Senat, "weshalb Macron ohnehin mit ihnen zusammenarbeiten muss. Und zumindest heute bilden die Republicains die einzige Fraktion, die aus Macrons einfacher Mehrheit im Parlament eine absolute Mehrheit machen könnte."

Problem der wackeligen Mehrheiten

Ein Schritt, auf den Borne und Macron allerdings verzichtet haben. Das Problem der wackeligen Mehrheiten dürfte ihnen also erhalten bleiben. Außerdem stellt sich die Frage, wie und ob die Zusammenarbeit zwischen Macron und Borne in Zukunft funktionieren wird.

Für die Menschen in Frankreich sei das alles aber zweitrangig. Denn die warteten eher darauf, dass sich Macron zur Lage im Land äußert, glaubt Dorian Dreuil von der Denkfabrik "Fondation Jean-Jaures". Dabei müsse Macron auf zwei Aspekte eingehen. Der erste sei seine politische Vision.

"Macron hatte 100 Tage der Besänftigung angekündigt - und muss nun Bilanz ziehen", so Dreuil. Aber es gehe auch darum, welche Vision von der Gesellschaft er habe, auf die er hinarbeiten wolle. Der zweite Punkt sei die Art des Regierens. "Die Mehrheit der Menschen hat heute das Gefühl, dass die Demokratie nicht gut funktioniert. Auf diese demokratische 'malaise' (Misere) muss Macron antworten - inhaltlich und mit Blick auf die Methode."

Grundlegende demokratische Fragen

Am Vormittag wandte sich Macron dann an den neu zusammengesetzten Ministerrat. Dabei betonte er vor allem, dass die Regierungsumbildung für ihn kein kompletter Neustart sein - sondern eher "Kontinuität und Effizienz" ausstrahlen sollte. Dementsprechend war Macrons Rede auch in erster Linie eine Aufzählung dessen, was aus seiner Sicht in den letzten Monaten in Frankeich gut gelaufen ist. Dabei nannte Macron vor allem wirtschaftspolitischen Aspekte.

Gewartet hatten die meisten wohl aber darauf, was der Präsident zu den Unruhen von Ende Juni und Anfang Juli zu sagen haben würde. Die hatten auch grundlegende Fragen aufgeworfen: nach Polizeigewalt, nach Diskriminierung und der Lage in den "banlieues" (Vorstädten). Langfristige Antworten allerdings brauchen aus Sicht des Präsidenten Zeit.

"Wir müssen grundlegende Antworten auf die Unruhen finden", so Macron. Denn man sehe durch all diese Krisen "eine ernsthafte Gefahr, dass sich die Nation spaltet, in viele Teile zersplittert." Es gebe "ein Bedürfnis nach Autorität und Respekt - aber auch nach Hoffnung." Darauf müsse man eine umfassende Antwort entwickeln. 

Am Ende eher defensiv

Hinweise darauf, wie diese Antwort aussehen könnte, kamen von Macron an diesem Vormittag allerdings nicht. Aber auch, wenn sich der Präsident in diesem Punkt offenbar Zeit nehmen will - in anderen zeigte er sich gewohnt ungeduldig. Umweltfreundliche Industrie, Immigration, Bildung: In diesen und noch mehr Bereichen müssten schnell Ergebnisse her.

 "Wenn Jahre oder Monate vergehen, bis sich im Leben der Menschen was ändert - dann steigen sie aus und verlieren das Vertrauen", so Macron. "Wir müssen doppelte Energie an den Tag legen, um Ergebnisse zu liefern. Und damit sich wirklich etwas ändert."

Trotz dieser Ansage wirkte Macrons Ansprache am Ende insgesamt eher defensiv. Ganz so, als sei sich der Präsident durchaus bewusst, wie schwierig die nächsten Monaten werden können. Nicht zuletzt wegen der wackeligen Mehrheitsverhältnisse im Parlament. Und: Wann - und in welcher Form - Macron sich in den kommenden Tagen an die Französinnen und Franzosen wendet, lässt der Élysée-Palast weiter offen.

Carolin Dylla, ARD Paris, tagesschau, 21.07.2023 15:00 Uhr