
Waldbrände in Deutschland Katastrophenhilfe - nicht gefragt
Für Katastrophenfälle verfügt die EU über ein Krisenzentrum, um die Nothilfe zu koordinieren. Bei den Waldbränden und Sachsen und Brandenburg wurde es nicht angefragt - wieso?
In der Rue de la Loi, einer baumlosen Brüsseler Verkehrsachse mit Betonfassaden und verspiegelten EU-Büros, wirken Waldbrände in Deutschland, Frankreich oder Tschechien fern und abstrakt. Und trotzdem bestimmen die grassierenden Feuer in Europa das Geschehen in dem Gebäude mit der Hausnummer 86, denn dort organisiert das "Emergency Response Coordination Centre" (ERCC) die europäische Soforthilfe bei akuten Katastrophen.
24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche ist das Koordinierungszentrum besetzt. Es wurde eingerichtet, damit sich die europäischen Staaten bei Krisen effektiver gegenseitig aushelfen können, sollten nationale Kapazitäten überfordert sein - zum Beispiel bei Epidemien, Überflutungen, Stürmen, Waldbränden oder auch großen Migrationsströmen.
Aber die EU koordiniert nicht nur: Sie verfügt unter anderem auch über eine eigene Reserve an Löschflugzeugen, Medizin-Equipment und mobilen Krankenstationen.
Waldbrände noch nicht unter völliger Kontrolle
Um internationale Hilfe zu aktivieren, können einzelne Staaten das sogenannte EU-Katastrophenschutzverfahren auslösen. Allein wegen der verheerenden Waldbrände in Europa wurde der Katastrophenmechanismus 2022 bislang insgesamt sieben Mal aktiviert - allerdings nicht für die Feuer bei Falkenberg in Brandenburg oder in der Sächsischen Schweiz. Das geht aus einer Anfrage von tagesschau.de beim ERCC hervor.
Das bedeutet: Deutschland hat die EU bei der Bekämpfung der Waldbrände nicht um Hilfe gebeten. Inzwischen brennen die Feuer in Sachsen seit rund einer Woche.
Hilfeersuchen "nicht erforderlich"
Das Bundesinnenministerium in Berlin bestätigt diese Informationen. Ein Hilfeersuchen "war bisher nicht erforderlich", so eine Sprecherin. Die nationalen Kräfte und insbesondere die per Amtshilfe eingesetzten Hubschrauber der Bundeswehr und Bundespolizei seien "bislang von den Entscheidungsträgern in den Ländern als ausreichend betrachtet worden".
Wie das ERCC mitteilt, habe Deutschland im Kampf gegen Waldbrände nur auf ein Hilfsmittel der gemeinsamen Katastrophenhilfe zugegriffen: Der EU-Satellit Copernicus sei aktiviert worden, um den Einsatzkräften Daten zu den verbrannten Gebieten zur Verfügung zu stellen.

Kritisch, aber stabil: So beschreiben die sächsischen Behörden die Lage in den Waldbrandgebieten im Nationalpark Sächsische Schweiz. Bild: dpa
Tschechien erhält angefragte Hilfe
Auch auf der anderen Seite der deutsch-tschechischen Grenze wütet ein Waldbrand. Mehr als 1000 Hektar sind betroffen. Anders als Deutschland hat Tschechien aber EU-koordinierte Hilfe angefragt, der entsprechende Katastrophenschutzmechanismus wurde aktiviert.
Seitdem wurde Hilfe in die Region verlegt, darunter zwei Löschflugzeuge, die eigentlich in Schweden stationiert sind. Dazu zeitweise zwei italienische Löschflugzeuge und drei Helikopter aus Polen und der Slowakei.
Anfragen aus unterschiedlichsten EU-Staaten
Wegen eigener schwerer Waldbrände haben seit Anfang Juni auch Frankreich, Portugal, Albanien und Slowenien den europäischen Katastrophenschutzmechanismus aktiviert - und Unterstützung erhalten. In allen Fällen mobilisierten das EU-Koordinationszentrum oder Nachbarländer Löschflugzeuge, Helikopter oder Feuerwehrteams.
Deutschland war dabei als Helfer - ebenso wie bei allen anderen vom ERCC koordinierten Katastrophenhilfen – allerdings nicht aktiv, wie das Bundesinnenministerium auf tagesschau.de-Anfrage schreibt. Im gesamten Jahr 2022 seien "noch keine Einsatzkräfte aus Deutschland im Einsatz" gewesen.
Steigende Zahl von Hilfeersuchen
Insgesamt beteiligen sich alle 27 EU-Länder sowie sechs weitere europäische Staaten an dem gemeinsamen Katastrophenschutz-Konzept. Die Mehrzahl der Katastrophen, bei denen Hilfe geleistet wird, findet nicht in Europa statt, sondern auf anderen Kontinenten. Die Krise in Afghanistan, Wirbelstürme oder Vulkanausbrücke in Afrika oder die Explosion im Hafen von Beirut sind Beispiele dafür.
Laut EU-Kommission hat der Krieg in der Ukraine die größte EU-Soforthilfemaßnahme seit Einrichtung des Katastrophenmechanismus im Jahr 2001 ausgelöst. Aber auch andere globale Entwicklungen werden laut dem ERCC im spürbarer: So hätten in den vergangenen Jahren "extreme Wetterkonditionen und neu aufkommende Bedrohungen" zu einer Überforderung der Staaten geführt, sich gegenseitig zu helfen - insbesondere, wenn sie gleichzeitig einer ähnlichen Krise gegenüberstehen.
Rekordjahr 2021
2021 war dabei ein Rekordjahr: 114 Mal wurde der Katastrophenschutzmechanismus aktiviert - häufiger als je zuvor. Haupttriebfeder dafür war die Covid19-Pandemie, aber auch unabhängig von Corona wurde Katastrophenhilfe öfter angefragt als in allen Jahren davor.
Deutschland ersuchte die EU 2021 dabei einmal um Hilfe: für "konsularische Unterstützung" im Rahmen des Afghanistan-Konfliktes. Auch bei der Flut im Jahr 2021 mit Dutzenden Toten fragte Deutschland offenbar keine Hilfe an, anders als Belgien beispielsweise.