Die italienische Sozialdemokratin Elly Schlein
Weltspiegel

Hetze gegen Elly Schlein Frauenfeindlich, homophob, antisemitisch

Stand: 19.03.2023 16:03 Uhr

Seit einer Woche ist Schlein Vorsitzende der größten italienischen Oppositionspartei - mit einem klaren Gegenentwurf zur ultrarechten Politik der Regierung Melonis. Hass und Hetze, die ihr entgegenschlagen, sind gewaltig.

Eine Schmiererei auf einer Mauer in der Stadt Viterbo nördlich von Rom: "Elly Schlein, dein Gesicht ist schon ein makabres Schicksal." Darunter ein Hakenkreuz.

Das Bild sorgte für Empörung und Solidaritätsbekundungen von allen politischen Seiten. Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni verurteilte die Beleidigungen scharf als "beschämenden und unwürdigen Akt". Die Schmiererei von Viterbo reiht sich ein in eine Folge von Verunglimpfungen der linken Spitzenpolitikerin, bis hin zu antisemitischen Schmähungen.

Jüdische Gemeinde besorgt

In den sozialen Medien kursieren Fotomontagen, auf denen die gebürtige Schweizerin mit jüdischem Vater als Raffzahn verunstaltet wird. Es ist Hetze enormen Ausmaßes gegen die linke Spitzenpolitikerin.

Die jüdische Gemeinde in Rom ist tief besorgt über die Häufung antisemitischer Angriffe auf Elly Schlein. "Ich drücke meine Solidarität mit der Parteivorsitzenden der Partito Democratico wegen der antisemitischen Schrift aus. Das sind inakzeptable Drohungen, auf die wir entschieden reagieren müssen", schreibt die Präsidentin der jüdischen Gemeinde, Ruth Dureghello, auf Twitter.

Hassbotschaften im Netz gegen Italiens neue Oppositionsführerin Elly Schlein

Weltspiegel 18:30 Uhr

Sehr linke Politik provoziert

Die 37-jährige Schlein lässt die Angriffe bisher an sich abprallen. Doch womöglich war das erst der Anfang. Denn die neue Vorsitzende der italienischen Sozialdemokraten fordert mit einer sehr linken, betont feministischen und LGBTQ-freundlichen Politik das patriarchale System heraus.

Sie stellt sich als Gegenentwurf zur ultrakonservativen Regierung Melonis dar. Das provoziert, sagt Daniela Preziosi, die sich als Journalistin der Zeitung "Domani" mit dem neuen Feminismus in Italien beschäftigt.

"Offensichtlich hatte sie die Kraft, sich von gewissen frauenfeindlichen, ja sogar paternalistischen Fesseln zu befreien, die auch in der Struktur der Partei selbst liegen", so Preziosi. Es sei eine symbolische Revolution. Zum ersten Mal in der Geschichte der Partito Democratico hat es eine Frau an die Spitze geschafft.

Kampf gegen Melonis ultrarechte Regierung

Vor allem aber sagt Schlein der ultrarechten Regierung Melonis den Kampf an, die sich die Bewahrung konservativer und nationalistischer Werte auf die Fahne geschrieben hat. Elly Schlein und Giorgia Meloni - zwei Frauen belegen nun Spitzenpositionen in der italienischen Politik, aber an entgegengesetzten Rändern.  

"Ich bin Giorgia, ich bin eine Frau, ich bin eine Mutter, ich bin Italienerin, ich bin Christin." Mit diesem Satz warb Meloni in Italien um Stimmen. "Ich bin eine Frau. Ich liebe eine andere Frau und bin keine Mutter, aber deshalb bin ich nicht weniger weiblich", erwiderte vor kurzem Schlein auf der römischen Piazza del Popolo.

Italien hat Problem mit faschistischer Vergangenheit

Und genau dafür wird sie massiv angegriffen - frauenfeindlich, faschistisch und antisemitisch. Auf der Website "Osservatorio antisemitismo" werden die schlimmsten Beispiele gesammelt: ein Bild einer sich die Hände reibenden und verschlagen schauenden Schlein mit einem Davidstern auf dem Ärmel, Drohungen, Verschwörungstheorien. Italien hat ein Problem mit seiner nicht aufgearbeiteten faschistischen Vergangenheit.

Mitten in Rom liegt das von Mussolini in Auftrag gegebene Stadtviertel EUR. Die Originalzitate aus dem Faschismus stehen noch an den Wänden der Gebäude. Das Viertel wird rege genutzt, ausgerechnet hier, in einem neu gebauten Kongresszentrum, findet auch die Vollversammlung der Sozialdemokraten statt. Die Angriffe auf die neue Parteichefin sind Thema. Eine junge Politikerin aus Südtirol meint: "Logischerweise fühlen sich die Leute so, als ob sie das dürfen - wenn die Regierung auch nicht sagt, dass es falsch ist."

Keine klaren Maßnahmen gegen Online-Attacken

Zwar gab es von allen politischen Seiten Solidaritätsbekundungen für Schlein, auch von Meloni, aber keine deutlichen Maßnahmen gegen die Angriffe aus dem Netz. In ihrer Antrittsrede forderte Schlein schon ein Gesetz gegen Hass und Diskriminierung. Davon würde sie derzeit auch selbst profitieren.

Elly Schlein hat in Bologna studiert. Hier herrscht ein liberaler Geist, die Stadt wird traditionell links regiert. Professor Filippo Tronconi sieht die Wahl der früheren Studentin zur Parteivorsitzenden als Ergebnis einer mühsamen Identitätssuche der sozialdemokratischen Partito Democratico.

Die Partei sei fast bis zur Unkenntlichkeit Kompromisse eingegangen. "Sie war zuletzt eine sehr gemäßigte Partei, die mit fast jedem regieren konnte. Und vielleicht haben sich die Wähler nach so vielen Jahren deswegen für eine Führung mit einer eindeutig linken Identität entschieden", so Tronconi.

Diese Identität wird nun zum Ziel übelster persönlicher Angriffe ihrer Gegner. "Wenn diese Menschen sich nun einer politischen Figur wie Elly Schlein gegenübersehen, einer Frau mit jüdischem Hintergrund, löst das bei radikalen Minderheiten eine Menge Aggression aus. Das Internet und die sozialen Medien sind ein phantastischer Resonanzkörper für all diesen Hass", sagt Tronconi.

"Öffnet Türen für junge Themen"

In Bologna gibt es viel Unterstützung bei den Studierenden für Schlein und ihre Themen. "Ich bin froh und hoffe, dass es immer mehr Frauen in der Politik geben wird, die es schaffen, Machtpositionen zu bekommen", sagt eine Studentin namens Gulia.

Auch ihr Studienkollege Andrea freut sich über eine weibliche Parteivorsitzende: "Sie bringt eine Menge neuer Energie, sie ist sehr jung und öffnet die Türen für junge Themen wie Umweltschutz, Intersektionalismus, Feminismus. Das sind die Auseinandersetzungen, die uns interessieren."

Elly Schlein ist seit einer Woche offiziell Oppositionsführerin. Viele Hoffnungen ruhen auf ihr, und viel Hass und Aggression schlägt ihr entgegen. Es ist in jeder Hinsicht eine harte Opposition.

Die Reportage zum Thema sehen Sie im Weltspiegel - am Sonntag um 18:30 Uhr im Ersten.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete das Erste am 19. März 2023 um 18:30 Uhr in der Sendung "Weltspiegel".