Tausende protestieren in Sofia nach Misstrauensvotum.

Bulgarien Tausende demonstrieren für gestürzte Regierung

Stand: 23.06.2022 14:07 Uhr

Nach dem Sturz der Regierung haben Tausende Bulgaren für den pro-europäischen Petkow und dessen Reformbestrebungen demonstriert. Bulgarien steht im Herbst die vierte Wahl in eineinhalb Jahren bevor.

So schnell wollen sie nicht aufgeben. Vor dem Parlament in Sofia haben sich knapp 8000 Anhänger des gestürzten Ministerpräsidenten Kiril Petkow versammelt und skandieren: "Sieg, Sieg" - obwohl ihr Held gerade das Misstrauensvotum im Parlament verloren hat, mit 116 gegen 123 Stimmen. Petkow, Harvard-Absolvent und Quereinsteiger in der Politik, ist erst ein halbes Jahr im Amt.

Seine Anti-Korruptions-Partei mit dem Namen "Wir setzen den Wandel fort" ist immer noch stärkste Fraktion im bulgarischen Parlament. Er macht sich und seinen Anhängern Mut - es soll noch nicht vorbei sein: "Dieses Misstrauensvotum ist ein kleiner Schritt auf dem langen Weg zum Ziel, das Land zurück zu gewinnen. Nichts kann uns aufhalten, weil wir zusammen sind. Ihr seid der Garant dafür, dass dieses Land nach den nächsten Wahlen anders aussehen wird. Ich danke Euch!"

Erstmal führt Petkow Geschäfte weiter

Die nächsten Wahlen dürfte es schon im September geben. Erstmal führt Petkow die Geschäfte weiter, als noch amtierender Ministerpräsident Bulgariens beim Westbalkan-Gipfel in Brüssel zum Beispiel.

Seine offenere Politik gegenüber dem Nachbarn Nordmazedonien sei ein Grund gewesen für den Bruch seiner sowieso schon schwierigen Vierer-Koalition aus sehr unterschiedlichen Parteien, sagt er.

Seine Partei sehe Nordmazedonien in der Europäischen Union, bisher blockiert Bulgarien den Beginn der Beitrittsgespräche. Aber, so sagt er auch, das Parlament müsse entscheiden. Und da hat er seine Mehrheit gerade verloren.

Streit um Nordmazedonien

Den Menschen hier vor dem bulgarischen Parlament ist Nordmazedonien ziemlich egal, sagen sie. Sie spüren jeden Tag, dass sie im ärmsten Land der Europäischen Union leben. Und vom Reformer Petkow haben sie erwartet, dass er das ändert.

"Wir sind gekommen, um eine mutige Regierung zu unterstützen, die sich gegen die Mafia gestellt hat. Die Mafia, die Bulgarien mehr als zehn Jahre regiert hat, leider nicht ohne die Unterstützung und Finanzierung der EU", sagt eine Frau.

Gemeint ist die Vorgänger-Regierung von Boyko Borissow, der jetzt triumphiert, weil seine GERB-Partei das Misstrauensvotum angestoßen und gewonnen hat. Nachdem die populistische Partei des bulgarischen Sängers Slawi Trifonow aus Petkows jungem Reform-Bündnis ausgeschert ist, offiziell wegen Petkows Mazedonien-Politik. Trifonow steht aber auch unter dem Verdacht, dass Petkows Anti-Korruptions-Kurs ein paar Geschäftsinteressen einiger Parteifreunde Trifonows störten.

Bulgarien bleibt Land der Dauerkrise

Bulgariens Verfassung schreibt drei Wiederbelebungsversuche vor: Zuerst bekommt Petkow noch einmal den Auftrag, als Chef der stärksten Fraktion. Dann Borissow, mit der zweitstärksten Fraktion der lange regierenden GERB-Partei - die aber schon erklärt hat, kein Interesse zu haben.

Danach gibt es einen letzten Versuch, bevor im September neu gewählt werden muss. Das ist die wahrscheinlichste Variante und es wäre die vierte Wahl in eineinhalb Jahren. Bulgarien bleibt damit ein Land in der Dauerkrise.

Wolfgang Vichtl, Wolfgang Vichtl, ARD Wien, 23.06.2022 00:57 Uhr