Heiko Maas und Logo der Vereinten Nationen
Interview

Maas zur UN "Im Sicherheitsrat müsste sich etwas ändern"

Stand: 26.09.2020 06:28 Uhr

Die 75. UN-Vollversammlung steht unter keinen guten Vorzeichen. Insbesondere im Sicherheitsrat blockieren sich die Mitglieder. Außenminister Maas sagt im ARD-Interview: Das Gremium spiegelt die Machtverhältnisse der Welt nicht mehr wider.

ARD: In der Generaldebatte zum 75. Geburtstag der UN wird besonders ihr Zustand hinterfragt. Es gibt laute Rufe nach Reformen. Was braucht es, damit Bewegung in die festgefahrene Veranstaltung kommt?

Heiko Maas: Es müsste sich vor allen Dingen etwas im Sicherheitsrat verändern. Wir haben über einige Jahre die Situation, dass wir uns da gegenseitig blockieren. Dass wir nicht mehr in der Lage sind, zu den großen Krisen dieser Welt - etwa den Krieg in Syrien - Resolutionen zu verfassen. Wir haben Monate gebraucht, bis wir uns mit Blick auf die Corona-Krise auf eine gemeinsame Resolution verständigt haben. Der Sicherheitsrat ist auch reformbedürftig, weil er die Welt und die Machtverhältnisse auf der Welt heute nicht mehr so widerspiegelt, wie wir uns das wünschen.

Sitze für die Übernahme von Verantwortung

ARD: Bundeskanzlerin Angela Merkel hat gesagt, Deutschland würde auch nach der jetzigen Mitgliedschaft im Sicherheitsrat bereit stehen, um dort weiter Verantwortung zu tragen - gern in einem erweiterten Sicherheitsrat. Wie realistisch ist das?

Maas: Ich kann das nur unterstützen. Die Staaten Afrikas, die Länder des globalen Südens und die Staaten, die ganz besonders viel für die UN leisten, die sie überhaupt erst lebensfähig machen - die sollten an diesem Tisch einen festen Platz haben, gerade weil sie bereit sind, mehr Verantwortung zu übernehmen. Das gilt in ganz besonderer Weise für Deutschland. An dieser Reform arbeiten wir zusammen mit anderen Staaten, die das ähnlich sehen. Wir würden uns wünschen, dass diese Debatte endlich vorwärts kommt - es ist ja noch nicht einmal möglich, entsprechende Texte für die Verhandlungen zugrunde zu legen. Da muss endlich etwas passieren. 

ARD: Sind da auch Vetomächte im Sicherheitsrat mit im Boot? Würden die gern Macht abgeben?

Maas: Sicherlich werden die permanenten Mitglieder im Sicherheitsrat, die über ein Veto verfügen, sich immer genau überlegen, wieviel sie an Macht abgeben. Letztlich muss für eine Sicherheitsrats-Reform die Charta der Vereinten Nationen geändert werden - und dafür ist eine Zweidrittelmehrheit der UN-Mitglieder in der Generalversammlung nötig. Und natürlich müssen auch die fünf Vetomächte diesen Weg gehen wollen. Wir führen dazu viele Gespräche. Die Diskussionen mit Ländern wie China sind außerordentlich schwierig.

Auf die Errungenschaften schauen

ARD: Kenias Präsident Uhuru Kenyatta hat kritisiert: Die UN seien mittlerweile älter als der Großteil der Weltbevölkerung. Und damit meint er auch die Repräsentanten ...

Maas: Ich glaube nicht, dass das Lebensalter der Repräsentanten im Sicherheitsrat oder bei den UN insgesamt das Problem ist. Das Problem ist, dass der Sicherheitsrat insbesondere die Machtverhältnisse auf der Welt heute nicht mehr widerspiegelt und deshalb verändert werden muss. Natürlich würden wir uns wünschen, dass auch noch mehr junge Stimmen gehört werden.

Die Vereinten Nationen in ihrer Gesamtheit als veraltet zu bezeichnen, ist allerdings fahrlässig gegenüber dem, was sie in den 75 Jahren geleistet haben. Ich kenne keine andere Organisation, in der die Konflikte, die Krisen und die Kriege dieser Welt so behandelt werden können wie bei den UN. Alle Herausforderungen - Globalisierung, Klimawandel, Migration, Digitalisierung - sind internationale Herausforderungen. Dafür brauchen wir Organisationen wie die Vereinten Nationen. Sie sind nötiger denn je.

"Diejenigen, die mehr Zusammenarbeit wollen, werden sich durchsetzen"

ARD: UN-Generalsekretär António Guterres warnt: Die Corona-Krise spaltet die Welt - in Staaten, die auf Zusammenarbeit setzen, und in Staaten, die auf den Alleingang setzen. Wer wird am Ende den Ton angeben?

Maas: Ich bin mir absolut sicher, dass diejenigen, die mehr internationale Zusammenarbeit wollen, sich durchsetzen werden, weil langfristig keiner mehr alleine die Probleme auf der Welt lösen kann. Um diesen Prozess zu beschleunigen, haben wir die "Allianz für Multilateralismus" gegründet, in der mittlerweile mehr als 60 Staaten sind, die sich auch mit aktuellen Fragen auseinandersetzen, darunter das Thema Gesundheit: Anstatt sich gegenseitig den Impfstoff, der irgendwann hoffentlich entwickelt ist, wegzukaufen, muss es vielmehr darum gehen, den Impfstoff als ein globales Gut zu verstehen und ihn auch zugänglich zu machen für diejenigen, die ihn brauchen, aber möglicherweise nicht bezahlen können.

Diejenigen, die davon überzeugt sind, dass wir die Probleme nur mit mehr internationaler Kooperation gestemmt bekommen, müssen sich jetzt zusammentun und dafür sorgen, dass ihr Ansatz die sichtbare Alternative zur konfrontativen Lagerbildung bleibt und sich durchsetzt. Aber darum müssen wir uns kümmern. Von selber wird es nicht gehen.

Das Gespräch führte Antje Passenheim, ARD-Studio New York

Antje Passenheim, Antje Passenheim, ARD New York, 25.09.2020 16:57 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandradio Kultur am 31. Juli 2020 um 07:08 Uhr.