EU-Flagge in London
Hintergrund

Hintergrund Die Knackpunkte beim Brexit

Stand: 19.06.2017 10:26 Uhr

Auch wenn Theresa May angeschlagen ist - die Brexit-Verhandlungen werden dadurch für die EU nicht einfacher. Die britische Position wird vielmehr unberechenbarer. Auch wenn May vorerst mit Maximalforderungen aufwartet.

Die Ausgangslage ist nicht leichter geworden für die Brexit-Verhandlungen, die nun beginnen. Nach den Neuwahlen in Großbritannien ist die Autorität von Premierministerin Theresa May deutlich geschwächt. Vor der Wahl hatte sie es geschafft, ihre Partei auf eine harte Linie beim Brexit einzuschwören: einem Ausstieg auch aus dem Binnenmarkt und der Zollunion. Jetzt mehren sich die Stimmen für einen "weichen" Brexit - auch in ihrer eigenen Partei.

Harter Brexit - weicher Brexit?

Finanzminister Philip Hammond bekräftigte zwar am Wochenende das Ziel eines Austritts aus Binnenmarkt und Zollunion, soll nach Medienberichten aber dennoch für einen Verbleib in der EU-Zollunion sein. Andere Tories suchen offenbar einen Weg, doch im EU-Binnenmarkt bleiben zu können. Und auch die Gespräche mit der nordirischen DUP, von der May sich im britischen Parlament unterstützen lassen möchte, sind noch nicht abgeschlossen. Ob sie Mays Linie folgen werden, ist offen.

Schwer einzuschätzender Verhandlungspartner

May will zwar nach wie vor mit ihrer harten Position in die Verhandlungen gehen, ob sie dafür aber eine Mehrheit im Parlament haben wird, ist fraglich. "Das macht Großbritannien für die EU zu einem sehr schwierigen und unberechenbaren Verhandlungspartner", sagt Nicolai von Ondarza, Großbritannien-Experte von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Die EU habe sich sehr genau vorbereitet und - wie bei solchen Verhandlungen üblich - vergangene Woche ein Positionspapier an die Briten geschickt. Von Großbritannien sei aber noch nichts gekommen. "Das macht es sehr schwer diesen Verhandlungspartner einzuschätzen. Und hinzu kommt, dass die EU immer damit rechnen muss, dass die Regierung in Großbritannien stürzen könnte."

Der größte Fehler Mays sei es gewesen, zuerst das Austrittsverfahren offiziell einzuleiten und dann die Neuwahlen abzuhalten. "Jetzt tickt die Uhr für die Verhandlungen, es bleiben nur noch weniger als zwei Jahre und wichtige Zeit ist durch die Neuwahlen und die neue Regierungsbildung bereits verloren gegangen", sagt von Ondarza im Gespräch mit tagesschau.de. Bis März 2019 muss der Austritt vollzogen sein, so schreibt es Artikel 50 des EU-Vertrags vor. "Das ist wenig Zeit für die vielen Detailfragen, die geklärt werden müssen."

Streitpunkt 1: Fahrplan

Beide Partner gehen mit Maximalpositionen in die Gespräche. Der erste große Streitpunkt dürfte bereits der Fahrplan der Verhandlungen sein. May will von Beginn der Verhandlungen an auch über ein Freihandelsabkommen zwischen EU und Großbritannien für die Zeit nach dem Austritt verhandeln. Sie strebt einen umfassenden Freihandelsvertrag mit der EU sowie einen Zollvertrag an, der einen reibungslosen Handel garantieren soll.

Die EU hingegen hat keinen Zweifel daran gelassen, dass sie in einer ersten Phase der Verhandlungen erst die wichtigsten Fragen der Scheidung geklärt haben will, bevor sie über die Art und Weise der künftigen Zusammenarbeit redet. Dabei geht es insbesondere um die strittigen Fragen der Rechte der EU-Bürger, der finanziellen Verpflichtungen Großbritanniens auch nach dem Austritt und der Grenzfrage zu Irland.

Streitpunkt 2: Rechte der EU-Bürger

Eine der wichtigsten Punkte von Mays White Paper - das die britische Position für die Verhandlungen umreißt - ist es, die Freizügigkeit für EU-Bürger auf der Insel zu beenden. So will die britische Regierung die Kontrolle über die Zuwanderung zurückerlangen. Soweit die Ankündigungsrhetorik.

Tatsächlich zeichnet sich in diesem Punkt am ehesten eine Eingung mit der EU ab. "Keine der beiden Seiten will, dass die Rechte von EU-Bürgern in Großbritannien und die Rechte von Briten in der EU vollkommen aufgehoben werden", sagt SWP-Experte von Ondarza. Insgesamt geht es dabei um mehr als vier Millionen Menschen. Zwar heißt es von britischer Seite, die Einwanderung werde künftig kontrolliert erfolgen, andererseits macht das Weißbuch Mays bereits deutlich, dass etwa für Studenten die Beschränkungen nicht gelten sollen. Qualifizierte Arbeitskräfte wollen die Briten also weiterhin gerne aufnehmen.

Die EU würde gerne die vollen Rechte für all ihre Bürger festschreiben, die bis zum 29. März 2019 ins Königreich umsiedeln. Hier geht es etwa um Zugang zum Arbeitsmarkt, zum Bildungs-, Gesundheits- und Rentensystem. Die britische Regierung will lieber einen möglichst frühen Tag festlegen, ab dem die Privilegien erlöschen.

Streitpunkt 3: Austrittsrechnung

In den EU-Leitlinien zu den Brexit-Verhandlungen in großer Einigkeit von den verbleibenden 27 Mitgliedstaaten verabschiedet - ist von weitreichenden finanziellen Forderungen der EU an die Briten die Rede. Großbritannien soll auch nach dem Brexit allen finanziellen Verpflichtungen nachkommen, die das Land in der Zeit seiner EU-Mitgliedschaft eigegangen ist. Dabei geht es beispielsweise um die Finanzierung von Strukturprojekten und Agrarsubventionen (auch in Großbritannien selbst), den britischen Anteil am drei Milliarden Euro schweren Flüchtlingsabkommen mit der Türkei, um das EU-Hilfsprogramm für die Ukraine, den EU-Investitionsfonds Efsi oder Pensionsansprüche für EU-Beamte.

Wieviele Milliarden am Ende auf der Rechnung stehen werden, ist noch unklar, die EU-Kommission spricht von 60 bis 100 Milliarden Euro. Die Briten weisen solche Forderungen vehement zurück. Brexit-Minister David Davis stellte im britischen Fernsehen klar, man werde der EU zum Abschied sicherlich keinen "üppigen Scheck" ausstellen. Und auch May dürfte es schwer haben, den Bürgern zu vermitteln, warum sie auch nach dem Austritt noch solche substanziellen Zahlungen an die EU leisten müssen.

Streitpunkt 4: Grenze zu Nordirland

Ein weiterer Knackpunkt ist die Frage, wie künftig mit der Grenze zwischen dem EU-Mitglied Irland und dem zum Vereinigten Königreich gehörenden Nordirland verfahren wird. "Das ist besonders wichtig, weil die offene Grenze eines der Symbole für den Friedensprozess ist", sagt von Ondarza. Die Situation in Nordirland sei ohnehin sehr fragil, und wenn wichtige Marker für den Friedensprozess wegfallen, ist das sehr gefährlich."

Nach dem Brexit wäre die Grenze zu Nordirland eine EU-Außengrenze und müsste entsprechend überwacht werden, Zollkontrollen wären wieder fällig. Die britische Regierung äußert sich hierzu in ihrem Weißbuch nur sehr vage: Die Grenze solle "so reibungslos wie möglich" eingeführt werden. Mit der irischen Regierung würden "praktische Lösungen" angestrebt. Schatzkanzler Hammond sprach zuletzt von einer möglichen Übergangslösung von mehreren Jahren, bis eine neue Lösung gefunden werde.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 19. Juni 2017 um 09:00 Uhr und um 12:00 Uhr.