Istanbuls Oberbürgermeister Imamoglu äußert sich vor Medienvertretern

Prozess gegen Imamoglu Erdogans Konkurrent droht Politikverbot

Stand: 14.12.2022 06:31 Uhr

Ein Prozess in Istanbul könnte zur Folge haben, dass Oberbürgermeister Imamoglu sein Amt verliert. Das käme Präsident Erdogan ganz gelegen. Vor Gericht geht es um eine gängige Beleidigung.

Ekrem Imamoglu hat dem türkischen Präsidenten und Chef der Partei AKP 2019 eine seiner größten Niederlagen beschert. Recep Tayyip Erdogan stand zwar selbst bei der Oberbürgermeisterwahl der Millionenmetropole Istanbul nicht zur Wahl, aber dafür der Erdogan loyal ergebene ehemalige Ministerpräsident und AKP-Mann Binali Yildirim.

Am Wahlabend behauptete Yildirim noch bevor alle Stimmen ausgezählt waren, er habe gewonnen. Dabei lag Imamoglu nach der Auszählung mit knapp 14.000 Stimmen vorne. Dennoch ließ der von der AKP dominierte Hohe Wahlrat den Urnengang annullieren und rief Neuwahlen aus.

Die Istanbuler quittierten das undemokratische Verhalten bei der zweiten Wahl mit einem Vorsprung von etwa 800.000 Stimmen für Imamoglu. Yildirim und Erdogan akzeptierten schmallippig das Ergebnis.

Der Staatsanwalt will ein Politikverbot

Jetzt steht Imamoglu, Mitglied der Oppositionspartei CHP, wegen Beleidigung von Amtsträgern in Istanbul vor Gericht. Am Mittwoch könnte es zum Urteil kommen. Im November forderte der Staatsanwalt eine Haftstrafe von vier Jahren und einem Monat und ein Politikverbot.

Laut Anklageschrift hat Imamoglu die Mitglieder des Hohen Wahlrats nach der Annullierung 2019 als Idioten bezeichnet.

Zwei schenken sich nichts

Die Beleidigung hatte ein Vorspiel. Imamoglu beschwerte sich bei einem Kongress des Europarats über die Annullierung. Daraufhin bezeichnet ihn der türkische Innenminister Süleyman Söylu bei einer Veranstaltung der Polizei in Ankara als Idioten.

Eine Fernsehjournalistin fragt Imamoglu vor laufender Kamera, was er von Söylus Einlassung halte. Imamoglu antwortet, die Idioten seien die, die den Urnengang annulliert haben.

Türkische Politik - öfter handfest

In der türkischen Politik geht es regelmäßig rau zur Sache. Beleidigungen sind keine Seltenheit. Erst vergangene Woche kam es erneut zu einer Prügelei im Parlament.

Ein Abgeordneter von Erdogans AKP schlug einem Abgeordneten der oppositionellen Iyi-Partei so hart ins Gesicht, dass dieser vorübergehend auf die Intensivstation eingeliefert werden musste.

Die Staatsanwaltschaft ermittelt bislang augenscheinlich nicht wegen gefährlicher Körperverletzung gegen den Abgeordneten. Ein Grund könnte sein, dass dieser als Abgeordneter Immunität genießt, die von dem Regierungsbündnis der AKP und der rechtsextremen Partei MHP sicherlich nicht aufgehoben wird.

Der türkische Staatsanwalt wurde dagegen schnell tätig, als der oppositionelle Oberbürgermeister auf die Beleidigung des Innenministers mit einer Beleidigung des Hohen Wahlrats reagiert.

Nervosität wegen der Wahl 2023?

Beobachter gehen von einem politisch motivierten Prozess aus, der auch etwas mit der voraussichtlich im kommenden Mai stattfindenden Präsidentschaftswahl zu tun hat. Imamoglu gilt neben dem CHP-Chef Kemal Kilicdaroglu und dem Oberbürgermeister der Stadt Ankara, Mansur Yavas als möglicher Oppositionskandidat für die kommende Wahl.

Da Imamoglu Erdogans AKP schon einmal eine Niederlage verpasst hat, dürfte seine Kandidatur im Präsidentenpalast für besondere Unruhe sorgen.

Der Richter drückt aufs Tempo

Imamoglus Anwalt Kemal Polat wollte beim vergangenen Prozesstag im November weitere Zeugen aufrufen. Der Richter lehnte das ab. Das Plädoyer des Verteidigers habe der Richter auch nicht hören wollen, so der Anwalt.

Als Polat die Absetzung des Richters wegen Parteilichkeit forderte, wurde auch das abgelehnt. Der Richter argumentierte, der Anwalt verfolge die Strategie, den Prozess in die Länge ziehen. Polat geht hingegen davon aus, dass das Gericht zu einer schnellen Entscheidung kommen wolle.

Sollte das Gericht Imamoglu schuldig sprechen, will dessen Anwalt in Berufung gehen. Üblicherweise dauert ein Berufungsverfahren weitere zwei Jahre. Das nächsthöhere Gericht könnte das Verfahren jedoch erheblich beschleunigen.

Was geschieht, wenn Imamoglu sein Amt niederlegen muss?

Würde Imamoglus Strafe noch vor der Präsidentschaftswahl von einem Berufungsgericht bestätigt werden, fiele er als Kandidat aus und müsste sein Amt als Oberbürgermeister niederlegen.

Zwar gewann die AKP 2019 nicht die Wahl des Oberbürgermeisters, dennoch hat sie im Stadtparlament die Mehrheit. Folglich könnte sie bei einem Ausscheiden Imamoglus einen AKP-Mann zum Oberbürgermeister machen.

Istanbuls Bedeutung für die Wahl

Istanbul mit seinen mindestens 16 Millionen Bewohnern und vielen umsatzstarken Unternehmen ist die wichtigste Quelle für Kommunalsteuern und andere Einnahmen im Land. Geld, das der AKP vor der Präsidentenwahl im kommenden Jahr viele Möglichkeiten verschaffen würde, um sich bei Wählern beliebt zu machen.

Der CHP-Abgeordnete und Jurist Sezgin Tanrikulu vermutet, Erdogan und sein Lager wollten ein Politikverbot, weil die AKP Istanbul verloren hat und befürchtet, ohne Istanbul alles zu verlieren. Schließlich sei Erdogan selbst Oberbürgermeister von Istanbul gewesen, bevor ihn die Türken zum Regierungschef wählten.