Rettungskräfte arbeiten In Damaskus (Syrien) an einem zerstörten Gebäude, das bei einem Luftangriff getroffen wurde.
interview

Angriff auf Irans Botschaft "Israel geht ein großes Risiko ein"

Stand: 02.04.2024 16:21 Uhr

Der Nahost-Experte Guido Steinberg sieht Israel hinter dem Angriff auf die iranische Botschaft in Syrien. Das Land führe einen Schattenkrieg gegen den Iran - und lasse es auf die Gefahr eines Zweifrontenkrieges ankommen.

tagesschau.de: Der Iran macht Israel für den Angriff auf ein Botschaftsgebäude in Damaskus verantwortlich. Teilen Sie diese Vermutung?

Guido Steinberg: Ja. Es hat in den vergangenen Monaten ähnliche Angriffe auf iranische Ziele in Syrien gegeben, unter anderem auf einen führenden Geheimdienstoffizier der Revolutionsgarden in Damaskus im vergangenen Januar. Aus meiner Sicht besteht kein Zweifel daran, dass die Israelis verantwortlich sind.

Guido Steinberg
Zur Person

Guido Steinberg ist Islamwissenschaftler und Mitarbeiter der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. Er forscht vor allem zu den Ländern des Nahen und Mittleren Ostens. Von 2002 bis 2005 war er Terrorismusreferent im Bundeskanzleramt.

Die Rolle der Al-Kuds-Brigaden

tagesschau.de: Bei dem Angriff wurden mehrere hochrangige Vertreter der sogenannten Al-Kuds-Brigaden getötet. Welche Bedeutung haben sie im Iran und außerhalb?

Steinberg: Die Al-Kuds-Brigaden sind eine Spezialeinheit der Revolutionsgarden, also der ideologischen Armee Irans, die parallel zur konventionellen Armee besteht. Die Kuds-Brigaden haben zum Auftrag, in der näheren Umgebung Irans, also im arabischen Nahen Osten und in Afghanistan, verbündete Gruppierungen oder auch staatliche Akteure zu identifizieren, aufzubauen, zu finanzieren, auszubilden und anzuführen. Sie sind diejenigen, die für die Expansion Irans in den letzten Jahren verantwortlich waren, insbesondere durch die Zusammenarbeit mit Akteuren wie der libanesischen Hisbollah, den Huthi-Rebellen im Jemen und schiitischen Milizen im Irak, aber auch der syrischen Armee.

Die Brigaden sind in Syrien gewissermaßen die Speerspitze der iranischen Expansion. Sie sind dort schon seit 2011 präsent, um das Assad-Regime zu unterstützen, seit 2015 sogar in einer offensiveren Funktion. Sie sollen dort eine neue Front gegen Israel aufbauen.

"Dieser Krieg bekommt eine neue Qualität"

tagesschau.de: Wenn wir voraussetzen, dass Israel für den Angriff verantwortlich ist - warum erfolgte er jetzt?

Steinberg: Die Israelis haben 2017 begonnen, mit Luftangriffen iranische und mit Iran verbündete Ziele in Syrien anzugreifen - also die Revolutionsgarden, die Hisbollah und schiitische Milizen. Seitdem gab es weit mehr als 1.000 Luftangriffe, sodass dieser letzte Angriff mit ihnen in einer Linie steht. Neu ist, dass die Israelis nun gezielt Führungspersonen der Al-Kuds-Brigaden in Syrien angreifen - und dann auch noch in offiziellen iranischen Einrichtungen in der Hauptstadt Damaskus.

Wir sprechen seit 2017 von einem Schattenkrieg der Israelis gegen die Iraner. Dieser Krieg wird jetzt immer offener und bekommt so eine neue Qualität.

tagesschau.de: Seit Monaten gibt es die Befürchtung, dass es im Nahen Osten zu einem Flächenbrand kommen könnte. Ist diese Gefahr jetzt noch handfester geworden?

Steinberg: Aus meiner Sicht schon. Wir sehen, dass zwei der Hauptakteure, die USA und Iran, diese große Auseinandersetzung nicht wollen. Ob das für Israel gilt, muss man zumindest mit einem Fragezeichen versehen. Gerade die Angriffe in Damaskus zeigen, dass die israelische Regierung zumindest bereit ist, eine Eskalation zu riskieren. Sie provozieren die Iraner mit solchen Angriffen zu Gegenschlägen. Die Gefahr einer größeren Auseinandersetzung zumindest zwischen Israel und Iran und damit auch zwischen Israel und der Hisbollah ist sehr stark gewachsen.

"Iran ist bereit, länger abzuwarten"

tagesschau.de: Iran hat eine Reaktion angekündigt - das bei anderen Angriffen in der Vergangenheit aber auch getan, ohne die Drohung umzusetzen. Halten Sie es für möglich, dass Israel darauf spekuliert?

Steinberg: In der Tat haben die Iraner auf die letzten Angriffe noch nicht reagiert. Wir wissen aus der Vergangenheit, dass Iran und Hisbollah durchaus bereit sind, länger abzuwarten, um eine passende Gelegenheit und ein passendes Ziel zu finden. Mein Eindruck ist, dass die Israelis auch austesten, ab welchem Zeitpunkt Iran nicht mehr bereit ist, auf rasche Gegenreaktionen zu verzichten.

Man muss das auch vor dem Hintergrund der iranischen Innenpolitik sehen. Es gibt vor allem in den Revolutionsgarden in Teheran Stimmen, die schon seit Jahren härtere Gegenmaßnahmen fordern. Ob jetzt das Kalkül aufgeht, dass die Iraner so wie in den vergangenen Jahren nicht entschlossen zurückschlagen werden, werden wir erst in nächster Zeit erfahren.

"Ein Zweifrontenkrieg ist in jedem Fall ein Risiko"

tagesschau.de: Kann sich Israel im Moment überhaupt einen Zweifrontenkrieg leisten, sowohl militärisch als auch politisch?

Steinberg: Ein Zweifrontenkrieg ist in jedem Fall ein Risiko. Aber es gibt Stimmen in der israelischen Politik, die genau dies fordern - eine Art Präventivkrieg gegen die Hisbollah und damit auch eine größere Aktion gegen Iran. Ich denke, dass die Angriffe in diesem Kontext stehen. Sie werden nicht ohne Zustimmung des Premierministers und des Kriegskabinetts angeordnet worden sein.

Deshalb scheint mir, dass Israel das Risiko eines solchen Zweifrontenkrieges in Kauf nimmt. Zumindest Teile der Regierung in Israel sind der Meinung, dass das Land sich das militärisch und politisch leisten kann.

tagesschau.de: Würde das die israelische Armee nach fast einem halben Jahr Krieg im Gazastreifen nicht überfordern?

Steinberg: Militärisch wäre Israel in der Lage, einen solchen Zweifrontenkrieg zu führen. Man muss sich nur bewusst machen, was das bedeuten würde. Es würde massive Luftschläge auf den Südlibanon bedeuten, mit denen Israel versuchen würde, in sehr kurzer Zeit große Teile des Hisbollah-Raketenarsenals auszuschalten. Das kann Israel durchaus leisten. Eine größere Bodenoffensive im Südlibanon halte ich zurzeit für schwerer vorstellbar.

"Eskalationsrisiko geht von der israelischen Regierung aus"

tagesschau.de: Und für wie hoch schätzen sie das politische Risiko ein, dass Israel damit eingeht?

Steinberg: Politisch wird die israelische Regierung wahrscheinlich argumentieren, dass Israel ohnehin isoliert ist und dass jetzt vielleicht der einzige Zeitpunkt ist, an dem man noch Unterstützung hat. Ganz einfach, weil offensichtlich ist, dass die Hisbollah die gegenwärtige Konfrontation begonnen hat. Aus meiner Sicht besteht aber das Risiko, dass die USA im Falle einer größeren Eskalation während des Wahlkampfes möglicherweise nicht so entschlossen an Israels Seite stünden, wie das andernfalls der Fall wäre. Politisch geht Israel also ein großes Risiko ein.

tagesschau.de: Hat die Hisbollah ihrerseits nicht auch in den vergangenen Monaten versucht, Israel zu provozieren und seine Reaktionsbereitschaft zu testen?

Steinberg: Die Hisbollah hat sich nach den Angriffen der Hamas vom 7. Oktober entschlossen, ebenfalls israelische Ziele zu beschießen, und dies nicht in Reaktion auf eine israelische Offensive, die erst später kam. Trotzdem hat die Hisbollah eindeutig kein Interesse an einer großen Eskalation. Das große Eskalationsrisiko geht im Moment von der israelischen Regierung aus. Sie ist der einzige Akteur, der sehr offen darüber diskutiert, ob das jetzt nicht der Moment für eine größere Auseinandersetzung mit der Hisbollah und Iran ist.

Das Gespräch führte Eckart Aretz, tagesschau.de

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 02. April 2024 um 15:00 Uhr.