Eine Frau läuft in Teheran mit offenen Haaren am Abend eine Straße entlang.

Mädchen im Iran im Koma Ein neuer Fall Amini?

Stand: 04.10.2023 17:35 Uhr

Im Iran liegt ein junges Mädchen im Koma, nachdem es Menschenrechtlern zufolge in einer U-Bahn von der Sittenpolizei geschlagen worden war. Im Netz werden schon Parallelen zum Fall Mahsa Amini gezogen.

Was im U-Bahn-Waggon der Teheraner Metro am 1. Oktober genau geschah, ist bisher nicht bekannt. Bilder einer Sicherheitskamera zeigen lediglich den Moment, in dem eine Person von mehreren Mädchen und Frauen aus dem Waggon getragen wird. Es soll die 16-jährige Armita Garawand sein, zu dem Zeitpunkt wohl bereits bewusstlos. Die Menschenrechtsorganisation Hengaw, die ihren Sitz im Exil hat, aber im Iran als gut vernetzt gilt, berichtete erstmals am 3. Oktober über den Fall. Sie beruft sich auf mehrere Berichte, die ihr vorliegen. Demnach hätten Beamte das Mädchen in der U-Bahn physisch angegriffen, wohl auf Grund eines Verstoßes gegen die islamische Kleiderordnung.

"Könnte ein neuer Fall Jina Mahsa Amini sein", Katharina Willinger, ARD Istanbul, über den Zwischenfall einer jungen Frau mit der iranischen "Sittenpolizei"

tagesschau24, 04.10.2023 16:00 Uhr

Fall Amini löste landesweite Proteste aus

Iranische Behörden widersprechen: Das Mädchen hätte Probleme mit dem Blutdruck gehabt und dadurch ihr Gleichgewicht verloren. Dabei sei sie mit dem Kopf aufgeschlagen. Der Chef der Teheraner U-Bahn betont: Man habe das Videomaterial der Kameras im Zug überprüft und keinen Zwischenfall mit Beamten feststellen können. Allerdings wurde genau dieses Material bisher nicht veröffentlicht.

Für viele Iraner weckt der Fall dunkle Erinnerungen. In den sozialen Medien schrieben Nutzer, hier wiederhole sich gerade ein Fall wie der von Jina Mahsa Amini. Die 22-Jährige war im September 2022 ins Koma gefallen und anschließend gestorben, nachdem sie wegen eines angeblichen Verstoßes gegen die islamische Kleiderordnung von der Sittenpolizei festgenommen worden war. Ihr Tod löste landesweite Proteste aus.

Krankenhaus von Sicherheitskräften abgeriegelt

Das versucht das Regime in Teheran nun zu verhindern. Das Krankenhaus, in dem Armita Garawand behandelt wird, soll laut mehreren Augenzeugen von Sicherheitskräften abgeriegelt worden sein. Die Journalistin Maryam Lotfi, die sich laut ihrer Zeitung "Shargh" über den Gesundheitszustand der Schülerin informieren wollte, sei vorübergehend festgenommen worden. Auch hier eine Parallele zum Fall Amini: Nilofar Hamedi, ebenfalls Reporterin bei "Shargh", war nach einem von ihr veröffentlichen Foto, das Aminis trauernde Eltern zeigt, verhaftet worden und sitzt bis heute im Gefängnis; ihr droht die Todesstrafe.

Familie offenbar bedroht

Derweil veröffentlichte das staatliche Fernsehen ein Interview mit den Eltern von Armita Garawand, als vermeintlichen Beleg für die gesundheitlichen Probleme des Mädchens. Die Mutter berichtet darin von einem abfallenden Blutdruck, kämpft aber hörbar mit den Formulierungen. Aktivisten berichten, die Familie stehe unter massivem Druck von Seiten der Behörden. Auch die Familie von Jina Mahsa Amini soll wiederholt bedroht worden sein, zuletzt am Todestag der Tochter Mitte September. Die Menschenrechtsorganisation "Hengaw" schreibt zudem mit Berufung auf interne Quellen, Sicherheitskräfte hätten die Mobiltelefone von Garawands Angehörigen und von Krankenhauspersonal konfisziert, nachdem ein Foto im Netz veröffentlicht wurde, das das Mädchen im Krankenbett zeigt, angeschlossen an Schläuche.

Baerbock: "Es ist unerträglich"

Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock schrieb auf dem Nachrichtendienst X, vormals Twitter: "Schon wieder kämpft eine junge Frau in Iran um ihr Leben. Allein, weil sie in der U-Bahn ihre Haare gezeigt hat. Es ist unerträglich." Die Eltern des Mädchens gehörten nicht vor die Kameras gezogen, so Baerbock weiter, sondern hätten das Recht, am Krankenbett der Tochter zu sein.

Druck auf Frauen im Iran erhöht

In den vergangenen Monaten hatte das Regime schrittweise den Druck auf Frauen weiter erhöht, die strengen Kleidervorschriften zu befolgen. Vor allem in Großstädten widersetzen sich viele Frauen diesem Druck seit Ausbruch der Proteste vor über einem Jahr, trotz der Risiken. Aktuell liegt ein Gesetz zur Verabschiedung vor, das die Strafen noch weiter verschärfen soll - unter anderem durch hohe Geldstrafen und lange Haftstrafen.

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tagesschau, 04.10.2023 20:00 Uhr