Junge Mädchen beim Taekwondo-Training.

Programm in Uttar Pradesh Damit Indiens Mädchen stark werden

Stand: 23.01.2022 02:44 Uhr

Poonam Rais Schwiegereltern misshandelten sie, heute ist sie gelähmt. Sie organisiert Taekwondo-Kurse, um Indiens junge Mädchen selbstbewusst zu machen: Sie sollen sich verteidigen können.

Eine Gruppe junger Mädchen im Teenageralter und jünger üben in weißen Taekwondo-Kitteln. Ein paar Jungs sind auch dabei. "Ich lerne Taekwondo, um mich als Frau zu schützen", sagt die 13-jährige Tamnna Prajpati. "Und wenn ich es gelernt habe, gebe ich mein Wissen an Jüngere weiter, damit sie sich selbst verteidigen können und ihnen nicht mehr das passiert, was Mädchen jetzt noch passiert."

Dass die Kinder und Jugendlichen in Varanasi im indischen Bundesstaat Uttar Pradesh diese fernöstliche Verteidigungskunst lernen, geht auf die Initiative von Poonam Rai zurück.

"Ich motiviere die Mädchen, organisiere die Taekwondo-Kurse, damit sie stark genug werden, um sich selbst zu schützen, falls sie in Zukunft Gewalt ausgesetzt sind", sagt die 47-Jährige. "Wenn ich damals stark gewesen wäre, wäre mir das nicht passiert. Deshalb möchte ich alle Mädchen meiner Organisation stark machen."

Junge Mädchen und Jungs beim Taekwondo-Training.

Ein Taekwondo-Training, das Poonam Rai organisiert hat.

Schwiegereltern misshandelten Rai

"Damals", das war vor fast genau 25 Jahren. Im Februar 1997 passierte ihr etwas, was auf schreckliche Weise ihr ganzes Leben veränderte. Erst bittet sie, nicht danach gefragt zu werden: "Bitte stellen Sie Fragen der Gegenwart", sagt sie.

Dann erzählt sie doch. Als junge, gut gebildete Ehefrau sei sie - wie in Indien üblich - zu ihren Schwiegereltern gezogen. Die hätten sie misshandelt, es sei nur ums Geld, um die Mitgift gegangen. Am Ende hätten sie sie von einem Balkon gestoßen.

Wirbelsäulenbrüche, eine teilweise Querschnittslähmung: Mehr als 17 Jahre habe sie nur liegen können, oft mit unvorstellbaren Schmerzen. Doch Poonam Rai hat wieder laufen gelernt. Mit einem Gehgestell bewegt sie sich fort. Langsam, mit viel Willen und Kraft, aber sie geht.

Poonam Rai

Poonam Rai ist heute teilweise gelähmt, bewegt sich aber mit einem Gehgestell wieder fort.

Geschlechter-Hierarchie

Häusliche Gewalt gegen Frauen, gerade von den Schwiegereltern, sei in den 1990er-Jahren nicht selten gewesen, sagt die Frauenaktivistin Vasanthi Raman, und so sei es heute in Indien leider immer noch: "Wenn Schwiegereltern feststellen, dass die Frau ihres Sohnes gut gebildet ist, vielleicht sogar so eine Art Karrierefrau, dann wollen sie sie brechen. Denn sie wollen eine Schwiegertochter, die zu Hause eine Sklavin ist."

Es sei zwar etwas besser geworden in den vergangenen 20, 30 Jahren, seit Poonam Rai Gewalt zugefügt wurde. Aber gut sei es noch lange nicht. Vor einigen Tagen wurden neue Zahlen veröffentlicht. Demnach gab es in der Corona-Pandemie 25 Prozent mehr Beschwerden von Frauen wegen häuslicher Gewalt. 

"Es gibt viele Menschen, die sich mit dem Thema Gewalt gegen Frauen befassen und auch mit dem Thema Mitgift, das eng damit verbunden ist. Aber es aber nicht um Strafrecht, sondern um Zivilrecht", sagt Raman. "Nur an Orten, wo es eine aktive Zivilgesellschaft gibt, bekommen Frauen Unterstützung, um vor Gericht zu gehen."

Das brauche in Indien noch Zeit, meint sie: "Das Kastendenken ist tief in unserer Gesellschaft verankert, einer hierarchischen Gesellschaft. Und bei der Erhaltung der Hierarchie ist auch das Geschlecht entscheidend."

"Nur Männer durften Nein sagen"

Poonam Rai hat die Initiative ergriffen - mit ihrer Organisation, die Mädchen stärken will in einer Gesellschaft, die trotz allen modernen Anstrichs noch immer von frauenfeindlichen Traditionen geprägt ist.

Die junge Generation gebe ihr Hoffnung, sagt Poonam. "Ja, es gibt einige Veränderungen. Ich muss nur meine Tochter anschauen, sie ist 24. Ich mache keinen Druck, dass sie jetzt heiraten soll. Sie soll unabhängig sein. Nur wenn es mal wirklich passt, dann soll sie meinetwegen heiraten."

Früher hätten Mädchen bei der Eheschließung kein Mitspracherecht gehabt - "nur Männer durften nein sagen", sagt Rai. Aber das sei in ihrer Familie anders.

Poonam Rai präsentiert stolz ihr gemeinsames Foto mit Indiens Premier Narendra Modi.

Poonam Rai ist stolz auf ihr gemeinsames Foto mit Indiens Premier Narendra Modi.

An der Wand ihres Büros hängen die vielen Auszeichnungen, die Rai für Ihre Arbeit bekommen hat. Auf ein Bild mit dem Ministerpräsidenten Narendra Modi ist sie besonders stolz.

Einige Mädchen nahmen an Wettkämpfen auf nationaler Ebene teil, einige gingen sogar zu den Olympischen Spielen, einige von ihnen stellten Weltrekorde auf und standen im Guinness-Buch der Rekorde.

Anerkennung habe sie viel bekommen, sagt sie, dennoch werde sie immer weitermachen. "Noch hinken die Frauen hinterher, aber ich will sie gleichberechtigt sehen. Was ein Mann kann, kann ich auch", betont sie. "Ich spüre den unteren Teil meines Körpers nicht mehr, aber mit meiner schieren Willenskraft gehe ich immer noch mit dem Gehgestell nach draußen und unterrichte und motiviere die Mädchen. Das macht sie stärker."

 

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 20. Januar 2022 um 05:50 Uhr.