In Rafah im Gazastreifen warten Kinder mit leeren Töpfen und Behältern auf Essen.

Lage im Gazastreifen Ringen um Hilfen gegen den Hunger

Stand: 05.03.2024 14:37 Uhr

Mehr als eine halbe Million Menschen im Gazastreifen sind den UN zufolge vom Hungertod bedroht. Die Appelle, mehr Hilfen zuzulassen, mehren sich. Doch in Israel sagen manche: Das wäre das Todesurteil für die Geiseln.

Die Videos von Hazem Srourr aus dem Gazastreifen auf Instagram werden von Zehntausenden gesehen. Manche haben, in all dem Elend, fast etwas Tragikomisches - zum Beispiel, wenn der junge Mann den Inhalt eines US-Hilfspakets auspackt: Chilli mit Bohnen, Hühner-Nudeln und Spaghetti mit Rindfleisch steht auf den Plastikpackungen. Neben allerlei kleinen Päckchen mit viel Plastik, liegt auch eine Packung Süßigkeiten.

Wer so ein Paket bekommt, hat Glück gehabt: Rund 38.000 Mahlzeiten haben die USA in den vergangenen Tagen aus der Luft abgeworfen. Nach Angaben der Vereinten Nationen sind weit mehr als 500.000 Menschen im Gazastreifen vom Hungertod bedroht.

"Die Menschen essen Blätter von Bäumen"

Das Leid der Menschen in Gaza war sogar im Radio der israelischen Armee zu hören. Da liefen zur besten Sendezeit Stimmen aus dem Gazastreifen, wie von diesem Mann aus dem Norden: "Im Norden des Gazastreifens essen die Menschen Blätter von Bäumen und auch Tierfutter. Dort gibt es kein Essen", berichtete er. Die Hilfslieferungen kämen dort nicht hin.

Ein anderer Mann berichtete, was passiert, wenn die Hilfsgüter abgeworfen werden: "Wenn die Hilfe zum Beispiel auf dem Dach eines Hauses landet, wird sie gleich von den Bewohnern genommen. Und wenn sie auf einem freien Platz landet, dann stürmt eine Menge darauf los, obwohl es nur wenig ist."

Nach palästinensischen Angaben sind bereits erste Kinder an Unterernährung gestorben. Die Angaben lassen sich allerdings nicht überprüfen.

Konfliktparteien als Quelle

Angaben zu Kriegsverlauf, Beschuss und Opfern durch Stellen der palästinensischen und der israelischen Konfliktparteien können in der aktuellen Lage zum Teil nicht unmittelbar von unabhängiger Stelle überprüft werden.

USA sehen Israel in der Pflicht

Am vergangenen Donnerstag waren mehr als 100 Menschen während einer versuchten Lieferung von Hilfsgütern in den Norden des Gazastreifens ums Leben gekommen. Dabei war es offenbar zu einer Massenpanik gekommen, israelische Soldaten hatten das Feuer eröffnet, Lkw hatten Menschen überrollt.

US-Vizepräsidentin Kamala Harris wählte daraufhin harte Worte gegenüber Israel: "Die Menschen in Gaza hungern. Die Bedingungen sind inhuman - und wir sind verpflichtet zu handeln." Israels Regierung müsse mehr tun, damit die Hilfslieferungen deutlich mehr werden. "Keine Ausreden", forderte Harris, "sie müssen neue Grenzübergänge öffnen und unnötige Beschränkungen aufheben". Israel müsse sicherstellen, "dass humanitäre Helfer, Orte oder und Konvois nicht beschossen werden". Und es müsse eine grundlegende Ordnung in Gaza geschaffen werden, "damit mehr Nahrung, Wasser und Treibstoff die erreicht, die sie brauchen".

Laut UN wären 500 Lkw-Ladungen pro Tag nötig

500 Lkw-Ladungen mit Hilfsgütern werden nach Angaben der Vereinten Nationen jeden Tag im Gazastreifen gebraucht. In den vergangenen Tagen kamen etwas mehr als 100, im Februar im Schnitt rund 83 pro Tag.

Auch deshalb sollten mehr Hilfsgüter aus der Luft kommen, fordert Daniel Hagari, der israelische Armeesprecher. Israel habe humanitäre Hilfe in den Gazastreifen koordiniert, durchgeführt durch das US-Zentralkommando und die jordanische Luftwaffe. "Das ist bedeutend, wir unterstützen alle Bemühungen um den leidenden Zivilisten in Gaza zu helfen. Wir haben insgesamt 21 Luftabwürfe in Nord-Gaza mit Frankreich, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Ägypten und den USA koordiniert", betonte Hagari.

Ex-Sicherheitsberater Israels lehnt mehr Hilfslieferungen ab

Doch es gibt auch andere Töne in Israel - von Menschen, denen die Lieferungen von Hilfsgütern nach Gaza ein Dorn im Auge sind. Giora Eiland zum Beispiel: Er ist ehemaliger Chef des Nationalen Sicherheitsrats Israels und sagte in einem Radiointerview: "Wenn die Palästinenser wirklich dringend humanitäre Hilfe benötigen, dann muss ihnen gesagt werden: Wenn sie Essen wollen, müssen sie auf ihre Regierung Druck ausüben, damit diese einen Geisel-Deal eingeht."

Es gebe eine Lösung, sagte Eiland weiter. Es sei nur so, dass die andere Seite dafür nachgeben müsse. "Wenn Israel die humanitären Hilfslieferungen in den Gazastreifen erhöht, wird es keinen Geisel-Deal geben", zeigte sich Eiland überzeugt: "Und ich gehe noch einen Schritt weiter: Durch die Ausweitung der humanitären Hilfslieferungen verhängen wir über die entführten Israelis, die sich im Gazastreifen befinden, ein Todesurteil."

Die Freilassung von Geiseln und eine Feuerpause würde die Lage der Menschen im Gazastreifen verbessern - so viel ist sicher. Doch ob es dazu in den nächsten Tagen kommt, ist völlig offen.

Jan-Christoph Kitzler, ARD Tel Aviv, tagesschau, 05.03.2024 13:25 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Inforadio am 05. März 2024 um 09:05 Uhr.