Ein palästinensischer Mann weint auf den Trümmern eines zerstörten Gebäudes in Chan Yunis.

Lage im Gazastreifen Mehrere Tote bei Einschlägen im Norden und Süden

Stand: 18.11.2023 19:07 Uhr

Bei einem Raketeneinschlag in einer Schule im nördlichen Gazastreifen sollen zahlreiche Menschen getötet worden sein. Der Ursprung des Geschosses ist noch unklar. Auch in der Evakuierungszone im Süden starben Menschen nach Luftangriffen.

Beim Einschlag eines Geschosses in einer UN-Schule im nördlichen Gazastreifen soll es zahlreiche Tote gegeben haben, unter ihnen auch Kinder. Ein Sprecher des von der Terrororganisation Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums in Gaza berichtete von vielen Toten und Verletzten in der Schule im Flüchtlingsviertel Dschabaliya. Er warf der israelischen Armee vor, das Gebäude angegriffen zu haben. Diese teilte mit, man prüfe die Berichte.

Augenzeugen zufolge wurde eine überfüllte Unterkunft des UN-Palästinenserhilfswerks (UNRWA) getroffen. Der Einschlag habe massive Zerstörungen in der Fachura-Schule in Dschabaliya angerichtet. Bilder aus Dschabaliya zeigten mehrere Tote in Leichentüchern. UNRWA-Chef Philippe Lazzarini schrieb bei X, vormals Twitter, er habe schreckliche Bilder und Videos von getöteten und verletzten Menschen erhalten. "Diese Angriffe dürfen nicht alltäglich werden, sie müssen aufhören", schrieb Lazzarini. Er forderte eine sofortige humanitäre Waffenruhe. Nach Angaben Lazzarinis hatten in dem Gebäude Tausende Binnenflüchtlinge Zuflucht gesucht.

Karte Gazastreifen mit den von der israelischen Armee kontrollierten Gebieten

Graue Flächen: Bebaute Flächen im Gazastreifen. Schraffur: Israelische Armee

Offenbar weiterer Angriff auf Schule

Der Sprecher des von der Terrormiliz Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums in Gaza sagte zudem, es habe auch einen zweiten Angriff auf eine Schule gegeben, im nördlichen Beit Lahia. Es habe Tote und Verletzte gegeben. Auch Lazzarini berichtet von "entsetzlichen Aufnahmen", die von dort bei ihm eingegangen seien. Die Armee teilte mit, auch hier würden die Berichte geprüft. Israels Armee fordert die Einwohner des nördlichen Gazastreifens seit mehr als einem Monat immer wieder dazu auf, zu ihrer eigenen Sicherheit in den Süden des Küstenstreifens zu fliehen.

Konfliktparteien als Quelle

Angaben zu Kriegsverlauf, Beschuss und Opfern durch Stellen der palästinensischen und der israelischen Konfliktparteien können in der aktuellen Lage zum Teil nicht unmittelbar von unabhängiger Stelle überprüft werden.

Israelischer Angriff oder palästinensische Rakete?

Die israelische Nachrichtenseite ynet schrieb, es sei unklar, ob es sich um einen israelischen Angriff oder eine fehlgeleitete Rakete palästinensischer Terroristen handelte. Aus dem Gazastreifen wurden am Samstag nach israelischen Militärangaben erneut mehrere Raketen auf israelische Grenzorte sowie die Küstenstadt Aschkelon abgefeuert. Nach Darstellung der israelischen Armee geht etwa ein Fünftel der abgefeuerten Raketen im Gazastreifen nieder.

Ägypten verurteilte den mutmaßlichen Beschuss als "schrecklichen Bombenanschlag der israelischen Besatzungstruppen". Das Außenministerium erklärte, man betrachte den Vorfall als ein weiteres Kriegsverbrechen, das untersucht werden müsse und dessen Täter zur Rechenschaft gezogen werden müssten. Auch Jordanien verurteilte in einer Erklärung des Außenministeriums die "abscheulichen und anhaltenden Kriegsverbrechen" Israels auf das Schärfste. Dazu zähle auch der jüngste Angriff auf die UN-Schule. Es handele sich um "einen eklatanten Verstoß gegen das Völkerrecht".

Mehr als 80 Prozent der Bewohner von Dschabaliya im Norden des Gazastreifens sind Flüchtlinge oder Nachkommen von vertriebenen Familien aus den Kriegen der Palästinenser mit Israel. Es war 1948 von der UNWRA errichtet worden.  

Nahostkonflikt: Tote im Norden des Gazastreifens beim Beschuss einer UN-Einrichtung

Sophie von der Tann, ARD Tel Aviv, tagesschau, 18.11.2023 20:00 Uhr

Raketeneinschläge auch im Süden

Im südlichen Gazastreifen sollen bei israelischen Luftangriffen auf Wohnblocks mindestens 32 Menschen getötet worden sein. In der Nacht habe es bei einem Luftangriff auf ein mehrstöckiges Gebäude am Rande der Stadt Chan Yunis 26 Tote und 23 Verletzte gegeben, teilte der der Hamas unterstehende Gesundheitsdienst mit. Einige Kilometer entfernt seien sechs Palästinenser nach einem Luftangriff auf ein Haus gestorben.

Zu Beginn des Krieges hatte das israelische Militär die Zivilbevölkerung aufgefordert, aus dem nördlichen Gazastreifen zu fliehen, der das Ziel seiner Bodenoffensive ist. Gleichzeitig wird aber auch die Evakuierungszone im Süden, in der Chan Yunis liegt, immer wieder angegriffen.

Israels Armee rief auch am Samstag erneut die Bewohner mehrerer Viertel in Gaza-Stadt zur Evakuierung auf. Bis 16 Uhr Ortszeit sollten Anwohner zu ihrer eigenen Sicherheit aus den Stadtteilen im nördlichen Gazastreifen in den Süden fliehen, schrieb ein Sprecher der Armee auf Arabisch auf X. Zur Evakuierung aufgerufen waren auch Bewohner von Dschabaliya. Zivilisten, die von der Terrororganisation Hamas an der Flucht gehindert würden, könnten sich per Telefon oder über die Plattform Telegram an die israelische Armee wenden, hieß es.

Die Armee kündigte zudem eine vierstündige "taktische" Kampfpause im Flüchtlingslager Schabura in Rafah im Süden des Gazastreifens aus humanitären Gründen an. In der Gegend liegt auch der Grenzübergang nach Ägypten. Einer Schätzung der palästinensischen Statistikbehörde im Westjordanland zufolge sollen sich noch Hunderttausende Menschen im nördlichen Gazastreifen aufhalten.

Al-Schifa-Krankenhaus weitgehend evakuiert

Das von israelischen Soldaten eingenommene Al-Schifa-Krankenhaus in Gaza ist unterdessen nach palästinensischen Angaben weitgehend evakuiert worden. In der größten Klinik des Gazastreifens befänden sich nur noch 32 Frühgeborene und 126 Verletzte, die sich nicht selbst in Sicherheit bringen könnten, sagte die palästinensische Gesundheitsministerin Mai al-Kaila vor Journalisten in Ramallah im Westjordanland. Die "zurückgelassenen" Patienten müssten nun in andere Kliniken verlegt werden, entweder nach Ägypten oder ins Westjordanland, forderte die Ministerin. Nach der Evakuierung seien nur noch fünf Ärzte in dem Krankenhaus verblieben.

Die genauen Umstände der weitgehenden Evakuierung sind noch unklar: Nach palästinensischen Angaben wurden Patienten, Schutzsuchende und Mitarbeiter am Samstagmorgen gezwungen, die Klinik innerhalb einer Stunde zu verlassen. Israels Armee hingegen erklärte, zu keinem Zeitpunkt die Evakuierung von Patienten oder medizinischem Personal angeordnet zu haben. Die Ausweitung der Evakuierung geschehe auf Wunsch des Klinikdirektors, erklärte das Militär.

Erste Tanklaster erreichen Gazastreifen

Die humanitäre Lage im Gazastreifen ist weiter kritisch. Spritmangel vor allem für Lastwagen und die Stromerzeugung behindert die Grundversorgung der Zivilbevölkerung. Einen Tag nach der Zusage Israels, für humanitäre Zwecke täglich die Einfuhr einer begrenzten Menge Treibstoff in den Gazastreifen zu erlauben, erreichten nach Angaben von Helfern erste mit Diesel befüllte Tankwagen das Gebiet.

Der Generalsekretär des Ägyptischen Roten Halbmondes (ECR), Raed Abdel Nasser, sagte der Nachrichtenagentur dpa, dass drei mit rund 129.000 Litern Diesel beladene Lastwagen eingetroffen seien. Das Hilfswerk UNRWA erklärte, für humanitäre Einsätze sei viel mehr nötig als die Menge, die angekommen sei. Nach UNRWA-Angaben erlaubten die Israelis nur die Einfuhr von rund 120.000 Litern aus Ägypten in das abgeriegelte Küstengebiet - also etwas weniger als vom Roten Halbmond angegeben.

UNRWA erklärte, die aktuelle Lieferung "ist viel zu wenig, um den Bedarf der Entsalzungsanlagen, Kläranlagen, Krankenhäuser, Wasserpumpen in Unterkünften, Lastern für Hilfsgüter, Krankenwagen, Bäckereien und für das Kommunikationsnetzwerk ohne Unterbrechung zu decken". Nach Angaben von UN-Nothilfekoordinator Martin Griffiths sind für eine minimale humanitäre Versorgung täglich rund 200.000 Liter nötig.

Clemens Verenkotte, ARD Tel Aviv, tagesschau, 18.11.2023 19:20 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 18. November 2023 um 20:00 Uhr.