Das Ehepaar Alijew beim Formel-1-Rennen in Baku

Aserbaidschan Alijew zieht die Zügel an

Stand: 03.08.2023 10:26 Uhr

Aserbaidschan präsentiert sich als modernes Land am Kaspischen Meer. Doch nach 20 Jahren Präsidentschaft lässt Ilham Alijew kritischen und unabhängigen Stimmen kaum noch Raum.

Erneuerbare Energien, smarte Dörfer und modernste Infrastruktur - Präsident Ilham Alijew wird nicht müde, sein Land als auf die Zukunft ausgerichtet zu präsentieren.

Doch nach inzwischen 20 Jahren als Staatspräsident war er vor allem in einem erfolgreich: Die Macht seiner Familie zu festigen. Seine Frau Mehriban Alijewa ist seit 2017 als Erste Vizepräsidentin zweitmächtigste Person und das freundliche Gesicht an der Spitze des Staates.

Die Hoffnungen waren groß, dass sich bei der Parlamentswahl Anfang 2020 auch innerhalb der Regierungspartei jüngere und liberalere Kräfte durchsetzen würden. Doch viele dieser Hoffnungen wurden enttäuscht.

Oppositionsparteien vor dem Aus

Oppositionelle und unabhängige Kräfte in der Gesellschaft wurden seither weiter marginalisiert. Nun müssen die drei prominentesten Oppositionsparteien ganz mit dem Aus rechnen. Grund ist ein neues "Gesetz über politische Parteien", das Alijew Anfang des Jahres unterschrieb.

Die Parteien müssen sich neu registrieren und dazu unter anderem einen Nachweis über 5000 Mitglieder erbringen. Meldet das Justizministerium die Partei mangels Erfüllung der Kriterien ab, darf sie nicht mehr politisch aktiv werden.

Inzwischen lehnte das Ministerium den Antrag der Partei REAL ab, die bei der Parlamentswahl 2020 noch einen Abgeordnetensitz erhalten hatte. Ihr Vorsitzender Ilgar Mammadow teilte auf Facebook mit, dass das Ministerium nach Überprüfung der Adressangaben nur 463 Mitglieder als gültig anerkannt habe. Es bleibe nun ein Monat Zeit, die Nachweise über die fehlenden Mitgliederdaten zu erbringen.

Ähnlich erging es den traditionellen Parteien Musavat und Volksfront. Volksfront-Chef Ali Karimli kündigte Widerstand an, man werde keinen Einparteien-Staat hinnehmen.

Prominenter Kritiker verhaftet

Kurz darauf wurde der bekannte Ökonom und Regierungskritiker Gubad Ibadoglu verhaftet. Ein Gericht in Baku warf ihm Beteiligung an "Vorbereitung, Erwerb oder Verkauf von Falschgeld oder Wertpapieren durch eine organisierte Gruppe" vor und verhängte fast vier Monate Untersuchungshaft gegen ihn. Ihm drohen bis zu zwölf Jahre Gefängnis.

Ibadoglu wurde mit seiner Frau festgenommen. Nach ihrer Freilassung beklagte sie, sie und ihr Mann seien in Polizeigewahrsam geschlagen worden. Auch werde es ihr verwehrt, ihm seine Medikamente zu bringen. Der Fall sorgte international für Aufmerksamkeit, weil Ibadoglu als Gastwissenschaftler an der London School of Economics lehrt und an weiteren renommierten Universitäten in den USA und Europa gearbeitet hat.

Das ehemalige Musavat-Mitglied hatte eine eigene Partei gegründet und kritisierte auf einem YouTube-Kanal regelmäßig die Wirtschaftspolitik der Regierung. Aufhorchen ließ zudem seine Aussage, man werde mit Institutionen der USA, Großbritanniens und der EU zusammenarbeiten, um Gelder sicherzustellen, die aserbaidschanische Beamte aus Korruption gewonnen haben.

Dorf abgeriegelt

Ibadoglu ist kein Einzelfall. Neben einer Anzahl von 50 bis 100 politischen Gefangenen werden auch immer wieder Führer der schiitischen Gemeinden unter Terrorismusvorwürfen zu langer Haft verurteilt, über deren Hintergründe und Schicksale wenig bekannt wird.

Da nur noch wenige unabhängige Akteure in den Medien und anderen gesellschaftlichen Bereichen verblieben sind, nahm die Zahl der großen, organisierten Demonstrationen ab. Jedoch kommt es immer wieder zu spontanen Protesten, dies auch auf dem Land, wo die Polizei oft besonders brutal agiert und für Empörung sorgt - so auch am 20. Juni im Dorf Sojudlu in der Region Gadabay.

Mit Tränengas und Gummigeschossen trieben Polizisten einen Protest auseinander, zu dem sich überwiegend ältere Frauen und Männer zusammengefunden hatten. Ihre Wut richtete sich gegen eine Goldmine beim Dorf, aus der Zyanid und andere giftige Abfälle in einen See geleitet werden. Der unsachgemäße Bau eines zweiten Sammelbecken ließ sie fürchten, dass das Trinkwasser vergiftet wird.

Die Polizei hielt das Dorf einen Monat lang abgeriegelt und vertrieb Journalisten, bis sich Alijew zur Lage äußerte: Die Sorgen seien berechtigt, der Protest aber unangemessen gewesen. Doch die täglich verbreiteten Bilder vom Präsidentenpaar bei der Einweihung neuer Straßen und Gebäude können die Menschen nicht darüber hinwegtäuschen, dass im Land vieles im Argen liegt und sehr viel Geld durch Korruption verloren geht.