In Nolensville (US-Bundesstaat Tennessee) betreten Wähler ein Wahllokal | dpa
Interview

US-Zwischenwahlen "Die meisten wählen aus Parteiloyalität"

Stand: 09.11.2022 11:31 Uhr

Ein klarer Sieg der Republikaner - dieses Szenario hat sich bei den Midterms nicht erfüllt. Der US-Experte Thimm führt das auf die zunehmend gefestigten politischen Lager zurück. Im Interview erklärt er, was das für kommende Wahlen bedeutet.

tagesschau.de: Die Auszählung der Midterms läuft noch und manches ist noch ungewiss. Was sind für Sie die zentralen Erkenntnisse an diesem Vormittag?

Johannes Thimm: Bei den Kongresswahlen ist die zentrale Erkenntnis, dass die Republikaner im Repräsentantenhaus eine Mehrheit erreichen werden und dass diese Mehrheit sich im Mittelfeld der Erwartungen befindet. Es war erwartet worden, dass es eine sehr deutliche Mehrheit der Republikaner im Repräsentantenhaus geben werde - das scheint sich nicht zu bewahrheiten.

Die zweite Erkenntnis ist, dass es für den Senat ein sehr knappes Ergebnis geben wird. Das aber entspricht den Vorhersagen. Wer diese Kammer gewinnen wird, ist noch nicht klar - da kommt es auf jeden einzelnen Sitz an. Insgesamt ist die große Überraschung ausgeblieben.

Johannes Thimm  | Johannes Thimm
Zur Person

Johannes Thimm ist stellvertretender Leiter der Forschungsgruppe Amerika bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.

"Gute Nachrichten" für die Demokraten

tagesschau.de: Gilt das auch für die Gouverneure?

Thimm: Die Demokraten haben für sie wichtige Gouverneursposten gewonnen, also Bundesstaaten, die sie gewinnen mussten, damit sie auch bei künftigen Wahlen noch konkurrenzfähig sind - Michigan und Wisconsin zum Beispiel. Bei den Gouverneurswahlen geht es ja neben der Landespolitik immer auch darum, wer künftige Wahlen organisiert, kontrolliert und zertifiziert.

Mit Blick auf die Präsidentschaftswahlen 2024 ist wichtig, dass das Gouverneure sind, die an einen geordneten Wahlprozess und nicht an die große Lüge von der gestohlenen Wahl 2022 glauben. Hier sind die Ergebnisse aus den genannten Bundestaaten, aber auch aus Pennsylvania gute Nachrichten für die Demokraten.  

"Spezifische Faktoren" weniger wichtig

tagesschau.de: Ein mögliches Szenario war, dass es zu einem Erdrutschsieg der Republikaner kommen könne, einer sogenannten roten Welle. Das zeichnet sich nicht ab. Wie erklären Sie sich das?

Thimm: Wir müssen zunächst auf die Ausgangslage schauen: Die Beliebtheit von Präsident Joe Biden war über das vergangene halbe Jahr hinweg konstant niedrig. Die Leute sind mit seiner Amtsführung überwiegend unzufrieden. Grund ist der Zustand der Wirtschaft und insbesondere die hohe Inflation. Für beides wird immer der Präsident verantwortlich gemacht, obwohl die Wirtschaft insgesamt ein gemischtes Bild abgibt, es gibt nahezu Vollbeschäftigung, ordentliche Wachstumsraten, aber eben auch eine sehr hohe Inflation. Dass die sogenannte rote Welle voraussichtlich ausbleibt, liegt meines Erachtens daran, dass die meisten Wähler inzwischen nach Parteiloyalität wählen und sich gar nicht mehr so stark von spezifischen Faktoren wie dem Zustand der Wirtschaft beeinflussen lassen.

"Die großen Umschwünge bleiben aus"

tagesschau.de: Die Demokraten haben nach dem Urteil des Obersten Gerichtshofs zum Abtreibungsrecht stark auf dieses Thema gesetzt. Hat das funktioniert?

Thimm: Es scheint den Demokraten gelungen zu sein, ihre Wählerinnen und Wähler zu mobilisieren und einen Teil der Wechselwähler trotz der vermeintlich schlechten Wirtschaft dazu zu bringen, die Demokraten zu wählen. Da kann die Frage der Abtreibung eine Rolle gespielt haben, da kann aber auch die Frage, ob die republikanischen Kandidaten zu extrem sind, eine Rolle gespielt haben. Aber generell lässt sich feststellen, dass der Anteil der Wechselwähler immer geringer wird und deswegen die ganz großen Umschwünge ausbleiben.

Die Bedeutung des Wahlrechts

tagesschau.de: Das heißt aber dann auch, dass ein demokratisches Wahlrecht und ein geordneter Ablauf und die Möglichkeit der Beteiligung an Wahlen noch einmal wichtiger werden, als sie es ohnehin schon sind.

Thimm: Wir haben es mit einer Situation zu tun, wo sehr wenige Wähler in sehr wenigen Bundesstaaten den Ausschlag geben. Das hat mit dem amerikanischen Wahlrecht zu tun, dem Mehrheitswahlrecht und mit dem Zweiparteiensystem. Gerade bei knappen Wahlausgängen ist besonders wichtig, dass die Wahlen ordnungsgemäß ablaufen. Bei den Republikanern gab es viele Kandidaten, die das Ergebnis der Präsidentschaftswahlen 2020 nicht anerkennen und zweifelhafte Ansichten über die Integrität von Wahlen haben.

tagesschau.de: Davon kommen jetzt aber viele in die Parlamente auf Landes- und Bundesebene. Was bedeutet das?

Thimm: Das ist besorgniserregend. Andererseits sind in den wichtigen Swing States Pennsylvania, Michigan und Wisconsin Gouverneure gewählt worden, die Wahlen ordnungsgemäß durchführen werden.

"Qualität der Kandidaten spielt kaum noch eine Rolle"

tagesschau.de: Es zeigt sich aber auch, dass der Einfluss von Donald Trump auf die Republikaner ungebrochen ist, mit langfristigen Folgen.

Thimm: Man kann das Ganze von zwei Seiten sehen. Man kann pessimistisch sagen, die Republikaner haben teilweise extreme und auch unqualifizierte Kandidaten aufgestellt, auch unter dem Einfluss von Trump. Darüber hat sich im Sommer auch der Mehrheitsführer der Republikaner im Senat, Mitch McConnell, beschwert. Dennoch werden die Republikaner wahrscheinlich das Repräsentantenhaus gewinnen. Dennoch sind einige der Rennen im Senat und um die Gouverneursposten sehr knapp - eben weil sich die Wähler so sehr auf eine Partei festgelegt haben, dass die Qualität der Kandidaten kaum noch eine Rolle spielt.

Die optimistische Sichtweise ist, dass sich an zentralen Stellen die extremsten Kandidaten wie der republikanische Gouverneurskandidat für Pennsylvania, Doug Mastriano, anscheinend nicht durchgesetzt haben. Und wo sie es doch getan haben - nehmen wir die republikanische Abgeordnete Marjorie Taylor Greene - spielt auch eine Rolle, dass sich gerade in sicheren Wahlkreisen der Republikaner extreme Bewerber die Kandidatur gesichert haben.

Das Gespräch führte Eckart Aretz, tagesschau.de

Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 09. November 2022 um 11:00 Uhr.