Trump-Anhänger vor dem US-Kapitol in Washington. (Archivbild: 06.01.2021) | AP

Ein Jahr nach Kapitolsturm Die Macht erhalten - mit allen Mitteln

Stand: 06.01.2022 03:03 Uhr

Vor einem Jahr entwarfen Anhänger Trumps fieberhaft Pläne, um den abgewählten US-Präsidenten an der Macht zu halten. Es ging um Eingriffe in einen verfassungsmäßigen Ablauf, aber auch um den Notstand.

Von Arthur Landwehr, ARD-Studio Washington

"Ich freue mich, dass Amerika endlich aufsteht", sagt Misha am 6. Januar 2021. Sie ist zum Kapitol gekommen, um Donald Trump zu helfen, Präsident zu bleiben. So wie mehr als 10.000 andere auch, die vorher Donald Trump vor dem Weißen Haus zugehört haben und glauben, dass er sie aufgefordert habe, aktiv zu werden. Sie ziehen zum Kapitol, mehr als 1000 von ihnen durchbrechen die Absperrungen, dringen ins Kapitol ein und verlangen, dass Trump zum Sieger der Präsidentschaftswahl erklärt wird. Misha ist fest davon überzeugt, dass Joe Biden nur durch Betrug gewählt wurde. Neben ihr steht George, der sagt, dass es Zeit für eine Revolution sei, weil die Regierung nicht mehr das Volk repräsentiere.

Arthur Landwehr ARD-Studio Washington

Was vor einem Jahr wie ein spontaner Akt von enttäuschten Anhängern des abgewählten Präsidenten aussieht, stellt sich zunehmend als geplante Aktion heraus. Der frühere Staatsanwalt Glenn Kirschner nennt es in einem Fernsehinterview "eine Verschwörung gegen die Vereinigten Staaten, um eine Präsidentschaftswahl aufzuheben".

Was dem Stabschef gefiel

Aber wie hätte das gelingen sollen, mit welchem Szenario? Kürzlich ist eine 38-seitige Strategie-Powerpoint-Präsentation des pensionierten Oberst Phil Waldron aufgetaucht. Er hatte mehrfach an Strategiesitzungen mit Donald Trumps Stabschef Marc Meadows teilgenommen. Über andere kam die Präsentation an den Stabschef und er soll gesagt haben: "Ich liebe das."

Das Szenario: Die Wahlmaschinen sollen als von ausländischen Kommunisten manipuliert dargestellt werden, damit Vizepräsident Mike Pence demokratische Stimmen für ungültig erklären kann. Als Bösewicht wird der venezolanische Staatschef Hugo Chavez ausgemacht, obwohl der da schon sieben Jahre tot ist, trotzdem in den USA immer noch Abwehrreflexe auslöst. "Wir haben bei der Überprüfung gesehen, dass Präsident Chavez Programme hatte, um Stimmen zu manipulieren", so Waldron bei einem Vortrag.

Pence im Fokus

Und mindestens ein republikanischer Abgeordneter schreibt Meadows, dass Vizepräsident Pence eigenhändig Stimmen herausnehmen solle, die er für verfassungswidrig hält. So zitiert der Demokrat Adam Schiff im Untersuchungsausschuss aus einer E-Mail an Meadows. Das sollte reichen, um den nationalen Notstand auszurufen und Trump als Präsidenten zu erhalten.

In einem anderen Szenario erkennt Pence vor allem republikanische Wahlleute an und erklärt die aus demokratischen Staaten für nicht gewählt. Mit der neuen Mehrheit wird dann Trump gewählt. Nur: Pence weigert sich, dies zu tun, was Trump ihm bis heute vorwirft: Pence habe einfach der Mut gefehlt, sagt er. Hätte Pence den aufgebracht, wäre er heute Präsident.

Nach der Verzögerung wird es gewalttätig

Bleibt ein anderes Szenario ohne Pence: Republikanische Abgeordnete verzögern durch Anträge die Bestätigung von Joe Biden als Präsident. Das war am 6. Januar 2021 bereits ab Mittag über passiert.

So hätte es im Sinne eines Staatsstreiches weiter laufen können: Der Angriff auf das Kapitol wird gewalttätig, es brennt, es kommt zu Schusswechseln, zu Toten. Die Bestätigung für Biden wird abgebrochen, der damit weiter amtierende Präsident Trump wird gebeten, den nationalen Notstand auszurufen, die Nationalgarde zu aktivieren und vorübergehend weiter im Amt zu bleiben, bis die Situation wieder beruhigt ist. Generalstabschef Mark Milley nennt das "Trumps Reichstagsbrand-Moment für einen Coup" - in Anspielung auf 1933, als nach dem Reichstagsbrand in Berlin die Grundrechte außer Kraft gesetzt wurden.

Dazu ist es in Washington nicht gekommen und wahrscheinlich wird es nie einen Beweis für einen solchen Plan geben - nur Indizien. Zu denen zählen, dass die Nationalgarde in Bereitschaft stand, aber nicht um den Kongress, sondern um Trumps Anhänger zu schützen. Außerdem, dass sich Trump für Stunden weigerte, in der gewalttätigen Situation einzugreifen und seine Anhänger zum Rückzug aufzufordern.

Viele drängen ihn, darunter sein Sohn und viele Abgeordnete. Trump aber schaut sich den Angriff auf das Kapitol für mehrere Stunden im Fernsehen an. Erst um 16:22 Uhr, zweieinhalb Stunden nach Beginn des Angriffs, veröffentlicht er eine Videobotschaft, in der er die Angreifer lobt und dann auffordert nach Hause zu gehen. Zuvor behauptet er noch einmal, die Wahl sei gestohlen worden.

Noch einmal zwei Stunden später rechtfertigt er den Angriff als normale Reaktion, wenn großartigen Patrioten der Sieg genommen werde. "Geht mit Liebe und in Frieden nach Hause", schreibt er auf Twitter. "Erinnert euch für immer an diesen Tag."

 

Über dieses Thema berichtete Inforadio am 05. Januar 2022 um 17:10 Uhr.