Trump-Anhänger stürmen das US-Kapitol. (Archivbild vom 6. Januar 2021)
analyse

Jahrestag der Kapitol-Erstürmung Trumps loyale Fangemeinde

Stand: 06.01.2024 16:18 Uhr

Vor drei Jahren galt Trump nach dem Sturm fanatischer Anhänger auf das US-Kapitol als politisch erledigt. Nun steht er vor einem Comeback. Denn er kann auf das zynische Kalkül der Republikaner und die schlechte Stimmung in den USA setzen.

Wie konnte das passieren? Heute vor drei Jahren war das Entsetzen über den rasenden Mob, der gewaltsam in das ehrwürdige US-Kapitol eindrang, um Joe Bidens Wahlsieg zu blockieren und Donald Trump im Amt zu halten, parteiübergreifend groß.

Entsetzen herrschte über den Galgen, den die Randalierer vor dem Kapitol errichtet hatten und dazu "Hängt Mike Pence!" skandierten. Entsetzen herrschte über die Volksvertreter, die sich in Todesangst in Sicherheit bringen mussten vor den wutentbrannten Trump-Anhängern.

Entsetzt waren Teile der Öffentlichkeit auch über das Idol der Aufrührer: Stundenlang hatte Trump die Gewalteskalation untätig am Fernsehschirm verfolgt. Und als er den Mob schließlich zurückpfiff, war das mit einer Liebeserklärung verbunden.

Jahrestag des Kapitol-Sturms - Biden warnt vor Trump-Präsidentschaft

Torben Börgers, ARD Washington, tagesthemen, 06.01.2024 23:30 Uhr

Trump vor dem Comeback?

Vor drei Jahren galt Trump als politisch erledigt. Heute jedoch steht er unmittelbar vor einem sensationellen politischen Comeback: Die republikanische Präsidentschaftskandidatur hat er so gut wie in der Tasche. In Meinungsumfragen liegt Trump in entscheidenden Swing States vor Amtsinhaber Biden. Wie konnte das passieren?

Die Gründe sind vielschichtig. Sie haben viel mit dem Zynismus von Trumps Parteifreunden zu tun, die sehr schnell realisierten, dass ihre Wahlchancen ohne die fanatisierte, Trump-loyale Fangemeinde, die der Ex-Präsident für die Republikaner erschlossen hatte, deutlich sinken würden.

Und sie haben mit dem Geschäftsmodell der rechten Medien zu tun, denen Trump Quote bringt und für den sie sogar die Wahrheit zu verdrehen bereit sind. Auch wenn sie für das Verbreiten der Trump-Lügen Millionenstrafen berappen müssen, so wie es FOX News tun musste.

Biden zog lieber seine Reformagenda durch

Aber ein Teil der Gründe lässt sich auch bei US-Präsident Biden und seinen Demokraten finden. Bidens zentrales Wahlversprechen war es, die Wogen im Lande wieder zu glätten, die Bitterkeit und das Chaos der Trump-Jahre zu überwinden und für ein zivileres Miteinander zu sorgen.

Biden hatte sich als Übergangspräsident empfohlen: Er wollte der Grandseigneur der alten Schule sein, dessen Alterswerk im Heilen der Wunden bestehen sollte, die sich das zerrissene Land in seinem fortwährenden Kulturkampf selber zugefügt hatte.

Von diesem Wahlversprechen war schnell keine Rede mehr: Biden zog lieber seine Reformagenda durch. Immerhin hatte er seine Parteifreunde noch vor dem zweiten Amtsenthebungsverfahren gegen Trump gewarnt. Wohl wissend, dass das aussichtslose Impeachment des ohnehin abgewählten Ex-Präsidenten vor allem eines bewirken würde: Die Reihen der Republikaner zu schließen.

Supreme Court will über Trumps Vorwahlbeteiligung entscheiden - Torben Börgers, ARD Washington

tagesthemen, 06.01.2024 23:30 Uhr

Reale Existenznöte vieler Amerikaner

Und dann hat sich das Lebensgefühl in den drei Jahren seit dem Kapitolsturm dramatisch verschlechtert. Das Land ächzt unter eskalierten Preisen für Energie und Lebensmittel. Als Inflationstreiber gilt auch Bidens Ausgabenpolitik: Milliarden für Klimaschutz, Milliarden für Soziales, Milliarden für Infrastruktur, Milliarden für Kriege am anderen Ende der Welt.

Geschickt nutzen die Republikaner die realen Existenznöte vieler Amerikaner, um Stimmung gegen Biden zu machen. Dass der zunehmend alt, gebrechlich und verwirrt wirkt, trägt auch nicht zur Beruhigung bei.

Und so konnte es passieren, dass das politische Leitmotiv für einen möglicherweise sogar wahlentscheidenden Teil der Bevölkerung lautet: Biden muss weg! Wer so empfindet, dem erscheint der Anstifter vom 6. Januar 2021 inzwischen als das kleinere Übel.

Sebastian Hesse, ARD Wasington, tagesschau, 06.01.2024 15:23 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 06. Januar 2024 um 12:37 Uhr.