Menschen ziehen sich Schutzanzüge an und nehmen an einem Kurs teil, um später zu Arbeitern in einer Chipfabrik ausgebildet zu werden.
Weltspiegel

USA Mit aller Kraft raus aus Silicon Desert

Stand: 02.10.2022 14:45 Uhr

US-Präsident Biden will mit Milliarden-Investitionen die Abhängigkeit von der Chip-Produktion in Asien reduzieren - vor allem wegen des Konflikts mit China. Doch der Weg zu Halbleiter "Made in America" ist weit.

Von Daniel Schmidt, zurzeit Mesa (US-Bundesstaat Arizona)

Im Kleinen beginnt Amerikas globale Aufholjagd um die technologische Vorherrschaft in einem kargen, fensterlosen Klassenzimmer in Arizona. Russell Dondero schaut in müde Augen, als er seinen Kursteilnehmern an einem Mittwochmorgen Ende September den Ernst der Lage beibringt: In der Fabrik müssten sie aufpassen, ja nichts zu verunreinigen. "Ein Staubkorn", sagt er, während er sich vorne am Lehrerpult in einen weißen Ganzkörper-Overall zwängt, "kann eine gesamte Produktion lahmlegen".

Wenn alles gutgeht, stehen die zwölf Männer und Frauen, die da jetzt vor Dondero sitzen und zuschauen, wie man Arbeitskleidung in der richtigen Reihenfolge anlegt, bald in ähnlichen Overalls in einer überdimensionalen Fabrik eines amerikanischen Chip-Herstellers. Sie alle haben sich am Mesa Community College, einer örtlichen Fachhochschule, für einen zweiwöchigen Crashkurs angemeldet: In zehn Tage sollen sie zu einem sogenannten Semiconductor Technician ausgebildet werden.

Die Hälfte von ihnen hat keine technische Vorerfahrung, einige sogar nur einen High-School-Abschluss. Halten sie bis zum Ende durch, wird ihnen ein Job-Interview garantiert.

In Zwölf-Stunden-Schichten werden sie dann vielleicht eines Tages für rund 25 Dollar pro Stunde die filigranen Roboter warten und reparieren, die fingernagelkleine Halbleiter zusammenbauen.

Der internationale Kampf um die strategischen Chips

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Es beginnt mit einem Lösungsbewusstsein

"Was sie hier lernen, sind bloß die Grundlagen. Es geht darum, ein Bewusstsein fürs Problemlösen zu entwickeln", sagt Dondero, nachdem er die Teilnehmer und Teilnehmerinnen in den gleichen Overall, wie er ihn trägt, gesteckt und vor eine Werkbank mit lauter Muttern und Schraubenschlüsseln gestellt hat.

Nach zwei Tagen Theorie im mausgrauen Klassenzimmer wird am dritten Tag im Labor zum ersten Mal rumgeschraubt. Ginge es nach US-Präsident Joe Biden, würde das alles noch etwas schneller gehen.

China und die Handelsketten

Die amerikanische Tech-Industrie braucht dringend qualifizierte Arbeiter, und Biden braucht die amerikanische Industrie, um China politisch in Schach zu halten. Im Konflikt um Taiwans Souveränität hat er wie sein Vorgänger gemerkt, dass kein Verlass darauf ist, dass Peking sich an Regeln hält. Während der Pandemie wurde schnell klar, wie sehr die Handelsketten über Asien das Leben in den Vereinigten Staaten beeinflussen - und einschränken können.

Besonders bei der Elektronik machte sich das bemerkbar. Mikrochips stecken in Telefonen, Computern, Kühlschränken, Autos, und ebenfalls amerikanischen Waffensystemen. Aus dem Alltag sind sie längst nicht wegzudenken.

Früher hatten die USA bei der Herstellung einen Marktanteil von 37 Prozent. Der ist auf zwölf Prozent zusammengeschrumpft. Produziert wird in Asien, vor allem in Taiwan, das im bedrohlichen Schatten Chinas um seine Unabhängigkeit bangt.

China auf Abstand halten

Im August hat Präsident Biden den CHIPS Act unterzeichnet, ein milliardenschweres Investitionspaket, an dem Demokraten und Republikaner gemeinsam gearbeitet haben, auch um China wirtschaftlich wie militärisch auf Abstand zu halten.

Darin sind allein 52 Milliarden US-Dollar für Subventionen und Steueranreize vorgesehen, um die Produktion von Halbleitern wieder in den Vereinigten Staaten anzusiedeln. Im Großen ist Amerikas globale Aufholjagd um die technologische Vorherrschaft ein teures Unterfangen.

Zwei Fabriken für 20 Milliarden Euro

20 Autominuten entfernt von Donderos Klassenzimmer baut das amerikanische Unternehmen Intel in Chandler, einem Vorort von Phoenix in Arizona, Mitten in der Wüste zwei neue Chip-Fabriken. Zusammen kosten sie 20 Milliarden Euro. Mehrere Tausend gut bezahlte Jobs und Millionen von Halbleitern "Made in America" verspricht die Firma.

Sie hat mit der Fachhochschule den Crashkurs entwickelt, um unkompliziert und schnell fähige Leute zu finden. Das Konzept für den zehntägigen Lehrplan stammt von Ken Hackler. Er ist Programmdirektor für angewandte Naturwissenschaften am Mesa Community College.

Die Industrie erlebe einen enormen Boom, den Firmen falle es schwer, genug Leute mit ausreichender Erfahrung zu finden, um den Bedarf zu decken. "Sie nennen uns hier die Silicon Desert! Wir haben im Sommersemester angefangen, alle zwei Wochen startet jetzt ein neuer Kurs", sagt er in der Mittagspause beim Spaziergang über den Campus. "Inzwischen haben wir 1000 Leute auf der Warteliste."

Menschen in Schutzanzügen nehmen an einem Kurs teil, um später zu Arbeitern in einer Chipfabrik ausgebildet zu werden.

Noch ist ungewiss, ob diese Kursteilnehmer am Ende einen Platz in der Chibfabrik in Arizona bekommen werden. Doch das Projekt selbst ist zum Erfolg verdammt.

Hoffen auf bessere Aufstiegmöglichkeiten

Sibit Lam hatte Glück, er hat einen Platz ergattert. Im Labor steht er im Overall neben Ausbilder Dondero an der Werkbank. Bis vor Kurzem hat der 35-Jährige sich noch mit Gelegenheitsjobs durchgeschlagen, unter anderem als Bauarbeiter sein Geld verdient. Er hoffe, durch den Kurs einen Fuß in die Tür zu bekommen: "Ich glaube, dass ich hier bessere Aufstiegsmöglichkeiten habe und so meine Lebensumstände deutlich verbessern kann."

Die Milliarden, die die Vereinigten Staaten plötzlich in die Herstellung von Halbleitern pumpen, lassen Sibit Lam träumen. Washington ist alarmiert, die ersten Spatenstiche sind gemacht.

Wenn die USA jetzt keinen Boden gutmachen, könnte sich das Projekt für die USA als kostspieliger Albtraum entpuppen - finanziell, wirtschaftlich und politisch.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete das Erste im "Weltspiegel"am 02. Oktober 2022 um 18:30 Uhr.