Gefällte Bäume aus dem Amazonas-Regenwald

Berechnung für 2022 Tropischer Urwald so groß wie die Schweiz zerstört

Stand: 27.06.2023 18:00 Uhr

Mehrere Millionen Hektar tropischer Urwald sind laut dem World Resources Institute im Jahr 2022 vernichtet worden. Demnach wurden Milliarden Tonnen CO2 freigesetzt. Besonders betroffen seien Brasilien und die DR Kongo.

Weltweit sind im vergangenen Jahr einem Bericht zufolge rund 4,1 Millionen Hektar tropischer Urwald zerstört worden. Damit ist Wald mit einer Fläche der Schweiz verloren gegangen, zu einem kleineren Teil durch Brände, hauptsächlich aber durch andere Gründe wie zum Beispiel Abholzung. Umgerechnet sind pro Minute Baumbestände von einer Größe von elf Fußballfeldern verschwunden, wie aus einer neuen Berechnung des World Resources Institute (WRI) in Washington hervorgeht.

Die Gesamtfläche des binnen eines Jahres zerstörten tropischen Urwaldes war laut Bericht in den vergangenen 20 Jahren nur 2016, 2017 und 2020 größer. So seien im vergangenen Jahr zehn Prozent mehr tropischer Urwald zerstört worden als 2021, damals waren es rund 3,75 Millionen Hektar. "Es sind nicht nur die Wälder, die die Menschheit in Rekordzeit zerstört, es ist unsere Lebensgrundlage", sagte Susanne Winter, Programmleiterin Wald bei der Naturschutzorganisation WWF Deutschland.

Mehr Abholzung und Brände unter Bolsonaro

Besonders stark sei weiterhin der tropische Wald in Brasilien und in der Demokratischen Republik Kongo betroffen, hieß es vom WRI. Rund 729.000 Quadratkilometer wurden im brasilianischen Amazonasgebiet nach Angaben des Nationalen Instituts für Weltraumforschung (Inpe) bis zum Jahr 2020 insgesamt bereits abgeholzt, was 17 Prozent des Ökosystems entspricht. Das brasilianische Amazonasgebiet gilt als wichtiger CO2-Speicher, erstreckt sich über neun Bundesstaaten und entspricht flächenmäßig der Größe Westeuropas. Es hat eine wichtige Funktion im internationalen Kampf gegen den Klimawandel.

Nach einem früheren Rückgang waren Abholzung und Brände in der Amtszeit des im Oktober abgewählten rechten Präsidenten Jair Bolsonaro wieder sehr stark angestiegen. Bolsonaro sah die Region vor allem als ungenutztes wirtschaftliches Potenzial und wollte weitere Flächen für Landwirtschaft und Bergbau erschließen lassen. Die Umwelt- und Kontrollbehörden wurden geschwächt.

Bolsonaros Nachfolger, der Linkspolitiker Luiz Inácio Lula da Silva, galt in seinen früheren beiden Amtszeiten (Anfang 2003 bis Ende 2010) zwar nicht als Grüner, hat nun aber versprochen, den Umwelt- und Klimaschutz zu stärken. So ging die Polizei zuletzt mit einem Großeinsatz gegen illegale Goldsucher in indigenen Gebieten vor. Allerdings schloss Lula auch eine umstrittene Ölbohrung nahe der Mündung des Amazonas-Flusses in den Atlantik nicht aus.

Erdöl und Erdgas im Kongobecken vermutet

Nach dem Amazonas-Regenwald ist das Kongobecken das größte verbliebene tropische Waldgebiet - und eines der außergewöhnlichsten Ökosysteme der Welt. Die "Lunge Afrikas" erstreckt sich von der Demokratischen Republik Kongo auch in die angrenzenden Länder Gabun, Kamerun, Zentralafrikanische Republik, Äquatorialguinea und die Republik Kongo. Laut WWF gibt es im Kongobecken rund 10.000 Arten tropischer Pflanzen, von denen knapp ein Drittel nur in dieser Region vorkommen.

Dank dieser vielfältigen, dichten Vegetation gehört der Regenwald des Kongobeckens zu den wichtigsten Kohlenstoffsenken weltweit. Das heißt, der Wald entzieht der Atmosphäre Kohlenstoffdioxid - laut Wissenschaftlern der Universität Leeds jährlich 1,5 Milliarden Tonnen. Gleichzeitig werden im Kongobecken große Mengen an Erdöl und Erdgas vermutet. Das will die kongolesische Regierung künftig fördern und hat im vergangenen Jahr trotz Protesten von Natur- und Klimaschützern entsprechende Projekte ausgeschrieben.

In Ghana, Bolivien und Angola habe der Verlust des Waldes am stärksten zugenommen, hieß es vom WRI. Unter anderem Indonesien und Malaysia hätten dagegen den Verlust ihrer Wälder auf niedrigem Niveau halten können.

2,7 Milliarden Tonnen CO2 freigesetzt

Mit Hilfe der Plattform Global Forest Watch beobachten zahlreiche Naturschutzorganisationen unter Leitung des WRI seit 2014 unter anderem mit Satellitentechnik Veränderungen von Waldlandschaften weltweit. Das WRI erstellte den darauf basierenden Report jährlich gemeinsam mit Forschenden der Universität Maryland.

Urwald, also vom Menschen weitgehend unberührter Naturwald, hat eine große Bedeutung bei der Erhaltung von Biodiversität und ist bei der Speicherung von Kohlendioxid - kurz CO2 - besonders wichtig. Durch die 2022 zerstörte Fläche seien 2,7 Milliarden Tonnen CO2 freigesetzt worden, rechneten die Autoren der Studie vor. Dies entspreche ungefähr den jährlichen Emissionen durch fossile Brennstoffe in Indien. "Mitten in der Biodiversitäts- und Klimakrise können wir uns das schlichtweg nicht leisten", sagte Winter vom WWF Deutschland.

Julia Kastein, ARD Washington, tagesschau, 28.06.2023 06:13 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 27. Juni 2023 um 18:21 Uhr.