
First Lady Jill Biden Sie und Joe
Jill Biden tourt als "First Lady" im US-Wahlkampf durch die USA - und kommt gut an: Sie wirkt fitter, nahbarer als der Präsident. Doch sie allein wird den Wahlkampf nicht retten können - und ihr politisches Engagement bleibt heikel.
Stürmischen Applaus bekommt Jill Biden nicht immer - aber sie bekommt ihn derzeit häufig, jedenfalls vor Anhängern der demokratischen Partei. Die First Lady ist im Endspurt vor den "Midterms" bei vielen Kandidatinnen und Kandidaten der Demokraten beliebter als ihr Mann, US-Präsident Joe Biden.
Die Demokraten sind unter Druck, die jüngsten Umfragen sehen wieder die Republikaner im Vorteil. So gaben in einer von der "New York Times" vergangenen Montag veröffentlichten Umfrage 49 Prozent der Befragten an, sie würden die Republikaner bevorzugen, 45 Prozent tendierten zu den Demokraten. Und als Wahlkämpfer sticht der Präsident selbst nur bedingt: Seine Popularitätswerte bleiben mit Zustimmungsraten um die 40 Prozent niedrig.
Jill Biden dagegen tourt verstärkt allein, ohne Joe, kreuz und quer durchs Land. Am vergangenen Wochenende waren es laut Weißem Haus elf Auftritte in den Bundesstaaten Georgia und Florida. "Diese Kämpfe fühlen sich enorm kräftezehrend an, und das sind sie auch", rief Jill Biden in Orlando (Florida) demokratischen Wahlkampfhelfern zu. "Aber am Ende machen die kleinen Dinge den Unterschied. Der eine Anruf beim Nachbarn, der vielleicht vergessen hat, zu wählen, die eine Mitfahrgelegenheit zum Wahllokal."
Standardformulierung: "Joe und ich"
Während Joe Biden sich um die harten Themen, etwa den russischen Krieg in der Ukraine kümmern muss, mit seinen fast 80 Jahren manchmal unkonzentriert wirkt und sich bei Reden oft verhaspelt, wirkt die 71-jährige Jill Biden fitter, nahbarer, holt ihr Publikum bei den weichen Themen ab - etwa wenn es um ihre größte Leidenschaft geht, Bildung, das Unterrichten, wie hier bei einem Auftritt vor Lehrkräften in Milwaukee im Bundesstaat Wisconsin: "Wenn wir die Mittelschicht wieder stärken, Frauenrechte und soziale Sicherheit schützen wollen, brauchen wir Führung, Führungskräfte, die für ihre Schülerinnen und Schüler einstehen", sagt sie da.
Jill Biden unterrichtet selbst weiter an zwei Tagen in der Woche als College-Professorin. Sie ist die erste First Lady, die auch während Ihrer Zeit im Weißen Haus einem Beruf nachgeht. Auch das kommt ihr nach Überzeugung demokratischer Wahlstrategen zugute. Tatsächlich ist im Publikum bei vielen Solo-Auftritten der First Lady spürbar: Ihr wird zum einen inhaltliche Kompetenz und Eigenständigkeit zugesprochen, zum anderen kann sie menschliche Nähe und Wärme vermitteln, ist stets zu Gruppenfotos und Selfies bereit.
Gleichzeitig betont sie den Zusammenhalt mit ihrem Ehemann: Die Formulierung "Joe and I…", "Joe und ich...", gehört zu ihrem Standardrepertoire. Und Joe betont immer wieder, wie sehr er auf die Unterstützung seiner Frau setzt. "Sie kennt mich besser als ich mich selbst kenne", sagte er in einem CBS-Interview.
Schmaler Grat in der Wahrnehmung
Allerdings: Jill Biden allein wird den demokratischen Wahlkampf nicht retten können. Schon ihre Vorgängerinnen mussten Kritik einstecken - aus verschiedenen Richtungen.
Michelle Obama wurde streckenweise vorgeworfen, politisch zu wenig für ihren Ehemann Barack Obama getan zu haben. Bei Hillary Clinton war es das Gegenteil: Sie hatte sich an der Seite von Bill Clinton vor Zwischenwahlen persönlich für eine Gesundheitsreform stark gemacht - zu viel Einsatz, hieß es im Anschluss.
Jill Biden bemüht sich, die Waage zu halten: Sie nimmt so viele Termine wie möglich wahr. Gleichzeitig lässt sie nie den Eindruck aufkommen, dass sie wie Hillary Clinton eigene politische Ambitionen hat. Sie kämpft für ihre Themen, die demokratische Partei - und für ihn: Joe.

"Erneuert Roe" steht auf einem Wahlplakat - Jill Biden setzt sich damit im Wahlkampf für das Recht auf Abtreibung ein.
"Ein attraktiver Ersatz für den Präsidenten"
Unter dem Strich hat ihre Überzeugungskraft aber Grenzen. Im Sommer kam eine Umfrage des Fernsehsenders CNN zum Ergebnis, dass 34 Prozent der US-Amerikanerinnen und US-Amerikaner eine positive Haltung zu Jill Biden haben, 29 Prozent eine negative Haltung. 28 Prozent der Befragten waren unentschieden, neun Prozent hatten nie vor ihr gehört.
"Es ist ein sehr schmaler Grat, welches Maß an Einsatz die Öffentlichkeit für akzeptabel hält. Aber am Ende gilt gerade für Jill Biden: Sie ist ein attraktiver Ersatz für den Präsidenten", sagt Lauren Wright, die an der Universität Princeton über First Ladies forscht, im Radiosender NPR: "Die Terminfülle ist enorm. Der Erwartungsdruck auf First Ladies bleibt zu den verschiedensten Anlässen während einer Präsidentschaft hoch."