Weltspiegel

Reportage aus Guatemala Können Klimaversicherungen helfen?

Stand: 06.11.2022 13:17 Uhr

Dürre, Stürme, Fluten - in den Bergdörfern von Guatemala geht es ums nackte Überleben. Der Klimawandel hat die Lage dramatisch zugespitzt. Können sogenannte Klimaversicherungen den Menschen helfen?

Bernardo Díaz ist hier in der Gegend aufgewachsen, er kennt die Dörfer, die Berge, die Armut. Als Kind hat er manchmal seine Großmutter begleitet, die in benachbarten Bergdörfern Milch und Eier verkaufte. Aber jetzt ist er derjenige mit der blauen Mütze und der Aufschrift des "PMA", der spanischen Abkürzung des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen. Der mit dem weißen Jeep mit Fahrer.

Die Fahrt geht nach Lima, ein Bergdorf nah an der Grenze zu Honduras. Hier steht er inmitten von Frauen, die nicht wissen, wie sie in den nächsten Wochen ihre Familien durchbringen sollen, weil der letzte Hurrikan die Ernten zerfetzt, die Häuser zerstört hat.

Kleinbäuerinnen in Guatemala leiden unter Folgen der Klimakrise

Stefanie Dodt, ARD Mexiko, zzt. Guatemala, Weltspiegel 18:30 Uhr

Absicherung gegen Klimaschäden

"Als einzelner fühlt man sich manchmal machtlos, wenn man all diesen Nöten gegenübersteht", sagt Díaz. "Dennoch tut es gut, zumindest ein bisschen helfen zu können, die Auswirkungen des Klimawandels abzumildern - auch wenn es nur ein kleiner Beitrag ist."

Díaz ist gerade mal 23 Jahre alt, dies ist sein erster Job, er kommt frisch von der Uni. Gemeinsam mit der Organisation MiCRO, einem Startup, das Klimaversicherungen entwirft, versucht er hier, möglichst viele Familien gegen Klimaschäden abzusichern.

Die Probleme, die ihm dabei entgegenschlagen, gehen weit über die Versicherungsleistungen hinaus. Kranke Senioren, die aus finanziellen Gründen nicht zum Arzt gebracht werden, Mütter, die Einwegwindeln trocknen, weil sie sich keine neuen leisten können, und Gefahren überall.

Klimawandel nimmt letzte Existenzgrundlage

Erst vor einem Monat sind 19 Menschen aus einem benachbarten Bergdorf tödlich verunglückt, als sie auf einem Pickup stehend in den nächsten Ort fahren wollten, um sich Unterstützungsleistungen des Welternährungsprogramms abzuholen. Ein tragisches Unglück auf einer der schlammigen, löchrigen Feldstraßen an Berghängen, an denen es keine alternativen Transportmittel gibt.

In Ägypten wird bei der UN-Klimakonferenz diskutiert, wie die internationale Gemeinschaft dem Klimawandel begegnen kann und was die Industrienationen, die für die weltweit meisten Emissionen verantwortlich sind, für die ärmeren Länder tun können, die die Konsequenzen der Klimaveränderung am meisten zu spüren bekommen.

Hier in den Bergdörfern von Guatemala geht es schon lange ums pure Überleben. Der Klimawandel nimmt den Menschen die letzte Existenzgrundlage. In den letzten Jahren häufen sich die Dürren und Stürme, entweder gibt es zu wenig Wasser oder zu viel. "Wovon sollen diese Kleinbauern leben, die keine andere Überlebensgrundlage haben? Was bleibt Ihnen dann noch?", fragt Díaz.

Klimaversicherungen in Mode

Klimaversicherungen sind gerade in Mode. Immer mehr Länder geben Geld: Endlich mal ein ganz konkreter Lösungsansatz, mit dem die reichen Länder zeigen können, dass sie Verantwortung übernehmen - auch wenn sie auf keinen Fall sagen wollen, dass sie tatsächlich verantwortlich sind.

Hier in dieser Gegend von Guatemala haben die EU, die kanadische Regierung und der Internationale Fond für landwirtschaftliche Entwicklung seit 2020 eine halbe Million Dollar für die Entwicklung und Verbreitung der Versicherungen bereitgestellt. Inzwischen sind knapp 10.000 Menschen darüber gegen Klimaschäden versichert, nächstes Jahr sollen es doppelt so viele werden.

Wenn ein Hurrikan über die Gemeinde hinwegfegt und zu viel Regen fällt, bekommen die Versicherten Geld. Das funktioniert über zuvor festgelegte Parameter, die MiCRO mithilfe von Satellitendaten erarbeitet.

Unbürokratische Hilfe - theoretisch

Für das Bergdorf Lima heißt das: Sobald mehr als 122 Milliliter Regen innerhalb von zwei Tagen fallen oder sobald mehr als 24 Tage innerhalb von 60 Tagen gar kein Regen fällt, zahlt die Versicherung einen festgelegten Mindestbetrag. Fällt noch mehr Regen, oder hält die Trockenheit noch länger an, erhöht sich die Summe.

Der Vorteil: Die Zahlungen sind automatisiert, innerhalb weniger Wochen können sich die Versicherten ihr Geld bei der nächsten Bank abholen, weil nicht erst aufwändige Gutachten erstellt werden müssen. Einer der Nachteile: Die ausgezahlte Summe hat nichts mit dem tatsächlich entstandenen Schaden zu tun, und schon gar nicht mit den Bedürfnissen darüber hinaus.

Die weiteren Nachteile: Allein die Anfahrt zur nächsten Bank ist lebensgefährlich und teuer. Und manchmal klappt es einfach nicht mit den Benachrichtigungen, die eigentlich als SMS an die Versicherten gehen sollten - so dass diese gar nicht wissen, dass sie nun Geld bekommen.

"Das reicht für einen Monat"

Vor Ort hält niemand Klimaversicherungen für eine echte Lösung, weder das Welternährungsprogramm, noch MiCRO, noch die Versicherten. "Das Problem ist natürlich viel größer", sagt Beatriz Vaca Dominguez, die die Klimaversicherung in Zentralamerika von Seiten des Startups betreut. "Das einzige, was diese Versicherung bewirkt, ist, dass die Menschen für 15 Tage bis zwei Monate genug zu essen haben oder im besten Fall sogar ihre Verluste ausgleichen können."

Nufio Esquivel bekommt jetzt umgerechnet 19 Euro aus der Versicherung. "Ich denke, das reicht jetzt für einen Monat, zumindest für das Nötigste", sagt die 40-Jährige. "Danach wird uns schon etwas einfallen, wie wir überleben." Sie steht an einem Berghang inmitten von abgeernteten Maispflanzen und zieht einen grünen Bohnenstrauch aus dem Boden. "Die Pflanze kann jetzt nicht mehr wachsen, sie hat keine Wurzel mehr". Ihre Ernte ist fast komplett zerstört. Hurrikan "Julia" war vor vier Wochen auch über ihr Feld gefegt und ein Bild der Zerstörung hinterlassen. Einer von vielen Stürmen. Erst Erst im Juni nächsten Jahres kann sie wieder neu säen.

Angst, dass alles schlimmer wird

Bernardo Diáz würde gern vieles ändern, angefangen bei den gefährlichen Straßen. "Wir suchen jetzt nach Alternativen für die Zahlungen - aber da sind wir noch auf der Suche nach dem sichersten möglichen Weg". Aber auch dann bleiben die fehlende Gesundheitsversorgung, fehlende Bildung, die Mangelernährung.

Die Klimaversicherung bleibt hier in den Bergdörfern von Guatemala ein Tropfen auf dem heißen Stein. Das müssten sich die Politiker auf dem Weltklimagipfel klar machen, sagt Beatriz Vaca Dominguez - und dringend handeln. "Ich habe nicht viel Hoffnung", sagt sie unter Tränen. "Ich hoffe, dass alle jetzt anfangen, anzupacken. Das, was man hier sieht, ist: Entweder es bewegt sich jetzt etwas, oder.... es wird immer schlimmer."

Diese und weitere Reportagen sehen Sie im Weltspiegel - am Sonntag um 18.30 Uhr im Ersten.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete der Weltspiegel am 06. November 2022 um 18:30 Uhr.